The Leisure Seeker ist der Name des Wohnmobils, mit dem Ella und John seit Ewigkeiten schon in den Urlaub fahren – früher mit den beiden Kindern, später dann zu zweit, und zumeist ging es in den alten Süden in die Ecke von Savannah, weil Ella von dort stammt. Und nun machen sich die beiden in dem mittlerweile antiquierten Gefährt nochmal auf den Weg: Er Mitte achtzig, sie Ende siebzig, er zunehmend demenzkrank, sie schwer krebskrank, er ein würdig ergrauter, distinguierter ehemaliger Englischlehrer, sie eine noch immer vitale Southern Belle. Sie hat ihn einfach ans Steuer gesetzt und ihm den Weg von Massachusetts runter nach Süden gezeigt, aber diesmal ganz nach Süden, bis zu den Florida Keys, wo sie endlich mal das Haus Ernest Hemingways besichtigen wollen, den John immer so bewundert hat. Ihre Kinder Will und Jane sind völlig außer sich, beißen sich an der sturen Mama aber die Zähne aus beim Versuch, sie zur sofortigen Umkehr zu bewegen. Ella ist entschlossen, diese eine letzte Reise mit ihrem Mann zu unternehmen, einmal noch sie beide zusammen so wie früher. Die Reise geht von Campingplatz zu Campingplatz, zum größten Teil eine Reise in die Vergangenheit, animiert von Ellas allabendlichen Diavorführungen, mit denen sie versucht, John irrlichterndes Gedächtnis anzukurbeln, mit wechselndem Erfolg allerdings. Kleine und größere Katastrophen begleiten ihren Weg, der sie aber tatsächlich bis nach Florida bringt, wo Ella dann einen Zusammenbruch erleidet, der vorübergehend für ein großes Chaos sorgt und wohl auch dafür, dass Ella, denen die Ärzte bescheinigen, dass sie eigentlich längst gestorben sein müsste, sich schlussendlich dafür entscheidet, ihrer beider Leben direkt vor Ort zu beenden, mithilfe einer Schlaftinktur und ausreichend Kohlenmonoxid nämlich. Zur Beerdigung erklingt dann Janis Joplin: Freedom’s just another word for nothing left to lose…
Ein italienischer Filmemacher schaut auf Amerika und macht auch noch ein Road Movie daraus, das hatten wir schon, beispielsweise beim Herrn Antonioni, das war damals schon reizvoll und ist es diesmal auch. Zumal sich Paolo Virzì just jene eigenartige und erschreckende Zeit ausgesucht hat, da ein gewisser Mr. Trump der neue Präsident der westlichen Welt wurde und viele viele Amerikaner auf die Straße gingen und sich selbst und ihr tolles Land feierten, gleichzeitig klarstellten, dass Moslems und Mexikaner von nun an nicht mehr erwünscht seien. John lässt sich in seiner Demenz kurzzeitig mitreißen und jubelt mit, bis ihn seine Ella trocken daran erinnert, dass er stets die Demokraten wählte und dies hier garantiert nicht seine Welt sei. Und natürlich ist es allgemein Ellas Aufgabe, ihren Gatten, der noch immer eine höchst imponierende Erscheinung ist, immer wieder zurück auf den Weg zu holen, wobei sie selbst pausenlos Schmerzpillen einwirft, um überhaupt weitermachen zu können. Das hätte eine ausgewachsene Tragödie über Altern, Krankheit und Tod werden können, doch mischt Virzì Themen und Tonfall sehr geschickt, kreiert immer wieder äußerst komische Szenen, vor allem aber auch zärtliche, denn eigentlich ist dies die Geschichte einer tollen Liebe, die so innig und kompromisslos war, dass sich sogar die eigenen Kinder gelegentlich ausgeschlossen fühlten, und auch jetzt über die letzten Wochen und Jahre trägt, da ein „normales“ Zusammenleben immer weniger möglich ist. Ellen ist einerseits klarsichtig und realistisch genug, um die weitere Zukunft sehen zu können, doch andererseits hat sie noch immer diese Lebens- und Abenteuerlust in sich, die sie in die Lage versetzt, viele Hindernisse aus dem Weg zu räumen, um ihren allerletzten Traum verwirklichen zu können. Allerdings erfährt sie zufällig, dass John einst, als sie selbst schwanger war, eine Affäre mit ihrer Nachbarin und besten Freundin hatte, und darüber kommt sie dann doch nicht so ganz hinweg. Er macht andererseits einen auf Gabriel Conroy und hackt plötzlich auf Ellas erstem Boyfriend namens Dan herum, der in ihrem Leben schon seit Jahrzehnten überhaupt keine Rolle mehr spielt, auf den er aber auf einmal total eifersüchtig ist. Dazu gehört auch, dass er James Joyce genauso fehlerlos zitieren kann wie seinen geliebten Hemingway, mit dem er unterwegs Bedienungen und Nachbarn auf dem Campingplatz nervt, und zwischendurch kommt der geistreiche, witzige, kultivierte Akademiker nochmals durch, der sich dann in der nächsten Nacht wieder einnässt oder vollkommen die Orientierung verliert und nicht mal mehr den Namen seiner Kinder erinnert. Die traurige Beklommenheit dieser Augenblicke bleibt für sich stehen und wird auch nicht durch irgendwelchen comic relief relativiert, und das hat Virzì sehr gut gemacht, gerade im Vergleich zu solchen Unsäglichkeiten wie Til Schweigers Demenzschomzette. Turbulente Komik hat an anderer Stelle genug Platz, und dann ist da ja immer auch der Blick auf Amerika, der zwangsläufig ein anderer als der eines amerikanischen Regisseurs sein muss. Virzì zeigt Land und Leute mit grundsätzlicher Neugier, Offenheit und auch Sympathie, deshalb hat er sich wohl das Motiv der Reise dafür ausgesucht, und er nimmt sich ausreichend Zeit dafür, bleibt dabei stets selbst ein Tourist, ein Fremder. Für die entsprechenden Kommentare zur Lage der Nation hat er ja die scharfzüngige Ella und den überzeugten Alt-Linken John. Im Grunde ist dies sowieso eine Zwei-Personen-Show, und was könnte man schon dagegen haben, wenn da zwei so wunderbare Schauspieler wie Helen Mirren und Donald Sutherland sind, die ihre Rolle mit soviel Souveränität, Würde und Esprit spielen, dass ich einfach nur viel Spaß dabei hatte, ihnen zuzusehen. Fernab von Kitsch oder Sentimentalität leben sie sich in die Situation dieses Paares ein, arbeiten die vielen Nuancen zwischen Ernst und Komik heraus und vermögen es auch, den einen oder anderen kleinen Durchhänger zu überspielen, den der fast zweistündige Film durchaus hat.
Filme über Demenz und Krankheit sind ebenso reichlich wie zumeist unbefriedigend. Dieser hier gehört sicherlich zu den besseren, was er zum einen den eleganten Bildern, vor allem aber den beiden Hauptdarstellern zu verdanken ist. (16.1.)