L’amant double (Der andere Liebhaber) von François Ozon, Frankreich/ Belgien, 2017. Marine Vacth, Jérémie Renier, Jacqueline Bisset, Myriam Boyer, Dominique Reymond
M. Ozon goes Cronenberg, so ließe sich dieser neue Film aus der ewigen Wundertüte dieses bemerkenswerten Filmemachers wohl am besten zusammenfassen. Das haben schon einige vor ihm versucht, doch nach meinem Wissen ist noch niemand dem Werk des Master of Mutation so nahe gekommen wie „L’amant double“. Natürlich denkt man sofort an Jeremy Irons und Geneviève Bujold in „Dead Ringers“, von denen Ozon so einige Elemente übernommen hat, doch wie von ihm gewohnt kupfert er niemals nur ab, er integriert diese Elemente in seinen ganz eigenen, komplexen, schillernden Kinokosmos, der uns nun schon seit fast zwanzig Jahren mit immer neuen Überraschungen versorgt.
Marina Vacth ist nach „Jung und schön“ wieder dabei, diesmal spielt sie Chloé, eine junge, an chronischen Depressionen, Angstzuständen und entsprechenden körperlichen Begleiterscheinungen wie zum Beispiel Bauchschmerzen leidende junge Frau. Sie landet im Sessel von Paul Meyer und kurz darauf auch in seinem Bett, und weil Frauen nun mal so sind, wie sie sind, merkt sie bald, dass er eine Menge Geheimnisse hütet und nun schnüffelt und bohrt und fragt sie, bis sie kapiert, dass er nicht bereit ist, alles von sich preiszugeben. Der Zufall kommt ihr zu Hilfe, sie sieht einen Mann auf der Straße, der genau aussieht wie Paul, der aber nicht Paul gewesen sein kann. Der Mann hat ebenfalls eine Praxis als Psychiater, heißt Louis und trägt Pauls ehemaligen Familiennamen Delord. Louis ist Pauls Zwillingsbruder und das genaue Gegenteil von ihm – grob, rücksichtslos, aber ziemlich sexy, und Chloé fühlt sich, ob sie will oder nicht, sofort zu ihm hingezogen. Sie forscht weiter nach der Geschichte der beiden Zwillinge, die schon lange den Kontakt zueinander abgebrochen und sicherlich irgendeinen dunklen Fleck in ihrer Vergangenheit haben, doch weder Paul noch Louis sind eine wirkliche Hilfe. Dann lernt sie noch Mme Schenker kennen, die Mutter eines schwer kranken jungen Mädchens, das ihr selbst zu ähneln scheint. Tja, und mit zunehmender Dauer beginnt die ohnehin vertrackte Geschichte mehr und mehr zu desintegrieren, weil Chloé eben mehr und mehr den Boden unter den Füßen verliert.
Und wir mit ihr, bis am Ende alles wieder ganz anders ist und wir annehmen müssen, dass ein Großteil der Story lediglich Chloé überhitzter, neurotisch und erotisch aufgeladener Imagination entsprungen ist. Und sie selbst plötzlich zu einem parasitären Zwilling geworden ist, der noch im Mutterbauch den zweiten Fötus verschlungen hat und ihn nun für immer in sich trägt. Okaaay. Wie viele Psychothriller dieser Art spielt auch „L’amant double“ ein Spiel mit Realität und Wahn und präsentiert beides mit vollkommener Selbstverständlichkeit, sodass sie nicht voneinander zu unterscheiden sind. Meine frohlockende, an zahlreichen ähnlich gearteten Geschichten geschulte Phantasie geht eigentlich zunächst in eine ganz andere Richtung. Alles beginnt im normalen Bereich als Liebesgeschichte aus der Sicht einer überaus empfindsamen und verletzlichen jungen Frau, die erste Brüche im Verhältnis zu ihrem Liebhaber wahrnimmt. Als dann Louis auf den Plan tritt, entwickelt sich eine obsessive erotische Dreiecksgeschichte, die sich erstmals mit dem Zwillingsmotiv beschäftigt. Dieses Motiv wird später eine monströse Variante erfahren, nämlich das des parasitären Zwillings, und schließlich gibt’s noch den ultimativen Cronenberg-Moment, wenn Chloés Hysterie sich in eine ziemlich unappetitliche Szene steigert. Eine Eskalation, die irgendwie unvermeidlich ist und von Ozon mit der für ihn typischen Chuzpe ganz cool präsentiert wird. Auch so ist seine Kunst als Regisseur, sein ganz besonderer Touch jederzeit spürbar. Das Tempo ist sehr gemäßigt, die Ruhe unheimlich, die Musik fies suggestiv, und da wir ganz auf Chloés Sicht der Dinge angewiesen sind, erscheinen uns die Ereignisse zunehmend beunruhigend und desorientierend zu sein. Und das, obwohl Chloé jedenfalls für mich nicht gerade die ideale Identifikationsfigur ist, sie kommt zu kühl, zu distanziert, zu neurotisch daher, und dennoch sind Regie und Konstruktion der Geschichte so zwingend und überzeugend, dass ich durchgehend sehr absorbiert zugesehen habe. Die zwischendurch aufgeworfene Frage nach Identität und Doppelung wird durch das bizarre Parasitenmotiv auf eine überaus physische Ebene transportiert, der Ozons gläserner Regiestil zunächst eher zu widersprechen scheint, doch steigert er die Spannung und das Unwohlsein extrem gekonnt, um uns dann fünf Minuten vor Schluss in ein tiefes Loch stürzen zu lassen, wenn uns klar wird, dass fast nichts so war, wie wir es gesehen haben.
Das ätherische Ex-Model Marina Vacth ist durchaus eine adäquate Wahl für die Rolle der Chloé, wirklich spektakulär ist aber viel eher Jérémie Renier in der Doppelrolle Paul/Louis, die er mit teuflischer Perfektion gestaltet. Dazu Ozons brillant klare, einfache Bilder, ein dezent an den Nerven zupfender Soundtrack und ein paar wohldosierte Schocks gegen Ende ergeben zusammen einen sehr effektvollen, perfekt gestylten Erotik-Horror-Psychothriller von einem, der scheinbar fast alles kann und vor allem auch fast alles macht. Mal sehen, womit er uns als nächstes überrascht. Ich freu mich jedenfalls schon drauf… (30.1.)