Phantom thread (Der seidene Faden) von Paul Thomas Anderson. USA, 2017. Daniel Day-Lewis, Vicky Krieps, Leslie Manville, Camilla Rutherford, Brian Gleeson, Harriet Sansom Harris, Gina McKee

   Also, auf “Fashion” geb‘ erst mal gar nix, für mich nur einer der vielen üblen Auswüchse überflüssigen Reichtums. Filme über Mode würde ich mir dementsprechend gar nicht erst ansehen, es sei denn, sie werden von Robert Altman inszeniert – oder Daniel Day-Lewis spielt mit. Ich gebe zu, dass dies präzise der einzige Grund für mich war, diesen Film, überhaupt anzusehen, und es hat für mich tatsächlich bis zur zirka einhundertzwanzigsten (von einhundertdreißig) Minuten gedauert, bis aus diesem Film plötzlich doch noch etwas mehr wurde als nur eine „schicke“ Lovestory.

   Die spielt im London der 50er. Mr. Reynolds Woodcock ist ein ebenso exzentrischer wie gefeierter Modedesigner, dessen Marke für höchste Qualität, höchste Ansprüche und exklusivste Kundenkreise steht. Er führt sein Imperium von zuhause aus, lebt notorisch allein, und nur seine Schwester Cyril hat Schneid (grad wollt ich „Eier“ schreiben…) genug, ihm die Stirn zu bieten, die einzige Frau, die er überhaupt ernstnimmt, an seiner Seite duldet und respektiert, die mehr ist, als Modell, Kleiderträger und bestenfalls mal eine kurze Episode bis zur nächsten Überdrüssigkeit. Cyril kennt die einzelnen Phasen auf dem Effeff und sie ist es schließlich auch, die die abgelegten Ladies mit unbewegter, leicht bedauernder Miene zur Tür hinausbegleitet. Dieses fest zementierte Schema gerät ins Wanken, als Reynolds eines Tages auf Alma trifft, die als Kellnerin arbeitet, eine schlanke, groß gewachsene junge Frau, die zunächst mal Reynolds‘ Idealvorstellung eines Models verkörpert, die zudem aber auch noch etwas an sich hat, das ihn anzieht. Spannungen sind vorprogrammiert, als Cyril klar wird, dass diese Dame nicht gewillt ist, sich klaglos in die gewohnte Hackordung im Hause Woodcock einzureihen, sondern stattdessen so dreist ist und Anspruch auf eine Sonderstellung anmeldet. Auch Reynolds ist bald genervt von Almas unermüdlichen Versuchen, ihn etwas mehr für sich zu haben, und just als Alma ihre Felle schwimmen sieht, bereitet sie ein schmackhaftes Pilzgericht zu, in dessen Folge der Herr von unerklärlichen Beschwerden befallen wird. Und siehe da – sie pflegt ihn, sie ist zur Stelle, sie ist unentbehrlich, und urplötzlich besinnt er sich eines anderen, zieht sie gar vor den Traualtar. Nur geht es danach unweigerlich wieder bergab, solange, bis sie eines schönen Tages mal wieder in den Wald geht…

 

   Dieser Moment ganz zum Ende hin, als er auf einmal erkennt, was sie vorhat, ihn nämlich wieder mit Pilzen zu vergiften, der hat es in sich. Die beiden tauschen lange Blicke, beide wissen genau, was Sache ist und dass der andere es auch weiß, und dann isst er die erste Gabel Pilzomelette, wohl wissend, was danach geschehen wird, und weiterhin sehen sich die beiden sehr intensiv in die Augen, und da haben wir eine echte amour fou vor Augen, zwei Besessene, die sich als ebenbürtig erkannt haben und die Spaß an ihrem kranken Spiel finden und es wohl bis ans Ende ihrer Tage spielen werden. Hier kommt, spät aber immerhin, tatsächlich so etwas wie Spannung auf, doch was ist mit den zwei Stunden davor? Irgendein Kritiker hat den Namen Hitchcock ins Spiel gebracht, leichtfertig, wie ich finde, sehr leichtfertig. Klar könnte man an „Rebecca“ denken, Rivalität, Besessenheit, Morbidität, und all das ist auch hier vorhanden, keine Frage, oder an die Blicke zwischen Silvia Sidney und Oscar Homolka in „The secret agent“. Eine etwas düstere, abgründige Liebesgeschichte bahnt sich an, der große Unbekannte und das Mauerblümchen, das dann aber doch mehr Widerstandskraft entwickelt, als man ihm anfänglich zutrauen mochte. Und natürlich ist „Phantom thread“ ein äußerst gekonnt inszeniertes Stück Kino: Jede Einstellung akribisch kadriert, jedes Ausstattungsdetail perfekt, jedes Kostüm, jede Einstellung, jede Geste, alles sitzt. Optisch ein Genuss, Johnny Greenwoods Soundtrack bietet dazu dezent ominöse Klänge, und niemand würde auf die Idee kommen, Andersons Kunstfertigkeit als Autor und Regisseur in Frage zu stellen. Hab ich auch bei „The Master“ oder „Inherent Vice“ nicht gemacht, hat mir aber trotzdem nicht viel geholfen, denn so richtig toll fand ich die beiden Filme nicht, und auch diesen hier nicht. Was ihm fehlt, vor allem im Unterschied zu Hitchcock, wenn man denn seinen Namen schon ins Spiel bringt, ist mit einem Wort umrissen: Leben. Hitchcock macht bei Tageslicht besehen auch nicht mehr als ein ganz gewöhnliches Routinemelodrama, aber ihm gelingt es immer, mich zu erreichen, zu bewegen, meine Gefühle zu manipulieren. Anderson schafft das irgendwie nicht. Frag ich mich selbst, wie das kommt, kann ich das gar nicht mal konkret sagen, es ist einfach so, dass ich diesen Film ohne große innere Anteilnahme gesehen habe, mit Ausnahme eben jener letzten fünf Minuten. Und da hilft all die erlesen Fassade wenig, jedenfalls mir nicht. Da hilft sogar Daniel Day-Lewis wenig, obwohl der diesen monomanischen, auf feste Rituale fixierten Egozentriker sicherlich bis in jede Nuance ausleuchtet und seine phänomenale Präsenz so gut wie möglich zur Geltung bringt. Da hilft auch Vickie Krieps wenig, obwohl ich es schon bewundernswert finde, wie gut sie diesem Kinogiganten Paroli bietet und ihre Rolle zwischen mädchenhafter Unbefangenheit und jähen Abgründen perfekt ausbalanciert. Und da hilft auch Leslie Manville wenig, obwohl die eine tolle Rolle hat als die Schwester, wachsam, fürsorglich und unerbittlich, wenn es darum geht, den Bruder immer wieder auf Kurs zu bringen und vor unliebsamen Ablenkungen abzuschirmen. Diese drei tollen Darsteller, all die tollen Bilder, die sorgfältige Ausstattung, der effektvolle Soundtrack, das clevere konstruierte Drehbuch, all dies macht paradoxerweise doch keinen guten Film, wenn der Regisseur vergisst, dem ganzen Konstrukt etwas Seele zu verpassen. Bei „Boogie Nights“ hat er das noch wunderbar geschafft, in „Magnolia“ auch, und in „There will be blood“ sowieso. In seinen letzten drei Filmen aber ist ihm diese Seele etwas abhandengekommen, ich kann nur hoffen, dass er sie möglichst bald wiederfindet, denn eigentlich ist er unter den US-Regisseuren einer der wenigen wirklich interessanten und eigensinnigen. (12.2.)