Der Trafikant von Nikolaus Leytner. Österreich/BRD, 2018. Simon Morzé, Johannes Krisch, Bruno Ganz, Emma Drogunova, Karoline Eichhorn, Regina Fritsch
Die beiden Literaturkennerinnen, denen ich mich angeschlossen hatte, versicherten nachher eher zögernd als voll überzeugt, der Film sei durchaus in gewisser Hinsicht werkgetreu, wenn auch insgesamt recht oberflächlich ausgefallen. Ich muss ihnen das glauben. Denn ich kenne den Roman mal wieder nicht, und bin auch nicht so ganz sicher, ob ich ihn nach diesem Film noch kennenlernen möchte. Ungerecht, weiß ich, aber so ist das Leben…
Franz ist siebzehn und ein Burschi vom Attersee, lebt dort mit seiner Mama, die sich gern im Wald an einen Baum gelehnt vögeln lässt. Nach dem Vögeln hüpft ihr Lover eines schönen Abends in den See, leider bei Gewitter, und leider trifft ihn just in dem Moment der Blitzschlag. Nach dieser Szene hätt ich das Kino eigentlich schon räumen können, denn das alles sieht so nach „Literatur“ aus, dass es mir keinen Spaß macht. Der Burschi Franz hält sich zeitgleich am liebsten unter Wasser auf und gibt sich seinen morbiden Träumen und Visionen hin – noch mehr Literatur, und in dem Moment war mir auch klar, dass ich den Roman niemals würde lesen wollen. Überhaupt ist die erste halbe Stunde ganz schlimm, denn nach diesem schrägen Auftakt geht es schön klischeehaft weiter: Der Franz wird von der Mama nach Wien geschickt, um bei einem alten Freund, dem Trafikanten Otto in die Lehre zu gehen, weil er hier draußen in der Provinz nichts Gescheites werden kann. Der Franz atmet die Großstadt mit vollen Sinnen ein, besonders interessiert ihn natürlich die Frage, wie er seinen Hormonstau vernünftig ableiten, sprich sich ein Maderl an Land ziehen kann. Und weil er ganz unbefangen und ländlich geprägt ist, quatscht er auf dem Rummel einfach so eine fesche Brünette an, das ist die Anezka aus Böhmen, mit reizendem Akzent und noch niedlicherer Zahnlücke. Fortan beherrscht sie seine Sehnsüchte und Träume, und weil all dies eine echte Literaten-Männer-Fantasie ist, wird der gute Burschi vom Attersee alsbald von dieser Anezka in die Geheimnisse der körperlichen Liebe eingeweiht. Das Glück indes ist nicht von langer Dauer, die Angebetete verschwindet urplötzlich, Franz weiß nicht wohin und weshalb, und es ist nur gut, dass da dieser alte Professor zu Ottos Stammkunden gehört, denn der heißt Siegmund Freud und versorgt den ratlosen Burschi regelmäßig mit elementaren Lebensweisheiten. Wie zum Beispiel: Hol sie dir zurück, oder vergiss sie! Franz stöbert die Anezka schließlich in einem überaus zwielichtigen Etablissement auf, in dem sie als mehr oder weniger nackte Indianerin auftritt, und als er sie empört zur Rede stellt, erklärt sie ihm, dass so halt das Leben sei und jeder auf seine Weise überleben müsse. Das begreift unser Burschi nun gar nicht. Parallel dazu tauchen immer mehr Leute mit Hakenkreuzen am Arm und Heil Hitler auf, kurz darauf wird Österreich „angeschlossen“, und alles wird anders. Was nun folgt, kann man sich vorher schon an allen Knöpfen abzählen: Otto, der bisher dem stramm rechten Nachbarsmetzger immer aufrecht und forsch begegnet war, und sein alter roter Mitstreiter verschwinden, bzw. kommen auf verschiedene Weise ums Leben. Franz führt das Geschäft noch weiter, folgt einem Rat Freuds, schreibt seien Träume auf und heftet die Zettel draußen ans Schaufenster. Zunächst hält er still, fragt nur hartnäckig bei der Gestapo nach Otto, doch schließlich lässt auch er sich zu einer Trotzgeste des Widerstandes hinreißen, hisst dessen Hose am Fahnenmast vor der Zentrale, und wird von der Gestapo abgeführt. Die Anezka weiß sich zu arrangieren und hat sich rechtzeitig einen Nazioffizier gegriffen. Und die Mama draußen am See erwehrt sich den Nachtstellungen eines anderen Nazis, kündigt ihre Stellung und blickt am Schluss düster auf den See hinaus.
Ich bin wirklich keiner von denen, die immer stöhnen und sagen „Noch ein Nazifilm, kann damit nicht ein Mal Schluss sein?“. Was ich aber sehen will, ist eine Geschichte, die mich rührt, die mich bewegt, die irgendwie an mich geht. Das ist hier nicht passiert. Wie ein steriles Ausstattungsstück von der Stange läuft der Film vor meinen Augen ab, routiniert und glatt gestaltet, und zu keiner Zeit habe ich mich irgendwie hineingezogen gefühlt, zu keiner Zeit konnte ich näheren Kontakt zu den Personen und ihren Schicksalen herstellen. Jeder Stereotyp sitzt an seinem Platz, jeder literarische „Kunstgriff“ ist sofort erkennbar, nur hat der Film das Problem, dass er beispielsweise Franzls lebhafte Träume nie so recht in die Handlung integrieren, ihnen einen wirklichen Sinn geben kann. Ich weiß nicht, ob das in Buch besser klappt, aber ich werd es auch nicht herausfinden. Die lebenserfahrene Anezka ist ebenso ein plattes Klischee wie der lebensunerfahrene Burschi Franz, in Ottos Umfeld sind Gut und Böse sauberst getrennt und sofort zuzuordnen, sobald die Nazis an die Macht kommen, und ja, dann schleicht ja auch noch der Freud durch die Szenerie, von Bruno Ganz gespielt wie ein altersmilder, etwa müder Alm-Öhi, der ständig profunde Sentenzen absondert, jedenfalls werden sie uns als solche präsentiert und sind bei Tageslicht besehen natürlich nur Plattitüden. Vielleicht mag man denken, dass es kühn und originell ist, diese Realfigur in die fiktive Story einzubinden, ich persönlich hatte keinen besonderen Gewinn davon, und Franzls innigster Wunsch, sich auch mal auf die Couch zu legen und analysiert zu werden, passt überhaupt nicht zu seinem sonstigen Wesen. Er sieht in Freud scheinbar einen Ratgeber für‘s Leben, ein Vorbild, eine Vaterfigur, wobei mir in den gemeinsamen Szenen der beiden jegliche Substanz fehlt, die das irgendwie untermauern würde.
Mit der Substanz ist das überhaupt so eine Sache hier. Noch wichtiger ist aber die Frage, ob der Film mich an irgendeiner Stelle beeindruckt oder sonstwie getroffen hat, und da kehre ich zum Ausgangspunkt zurück und muss sagen: Nö. Und solch ist Film, siehe weiter oben im Jahr, ist schlicht und einfach schlecht. (5.11.)