Woman walks ahead (Die Frau, die vorausgeht) von Susanna White. USA/England, 2018. Jessica Chastain, Michael Greyeyes, Sam Rockwell, Ciarán Hinds, Michael Nouri, Bill Camp

   Während des Schauens dacht ich die ganze Zeit bei mir, dammit, das ist doch kein Film des 21. Jahrhunderts, der gehört original in die 90er, mitten in den Ethnoboom, der damals plötzlich ausbrach, so als könne man jetzt noch wiedergutmachen, was hundert Jahre und mehr zuvor an den amerikanischen Ureinwohnern verbrochen worden war. Also wirklich, Bilder, Musik, Kostüme, einfach alles sollte eigentlich geradewegs ins 90er-Jahre-Museum getragen werden (und dort auch gefälligst für immer bleiben…). Edle Menschen reiten auf edlen Pferden über die weite Prairie und führen edle Konversation. Die edle weiße Frau und der edle Wilde. Wie einst der edle Kevin Costner während des Bürgerkriegs zu den Lakota ging, um für ihre Rechte zu streiten, so geht jetzt die edle Jessica Chastain gute fünfundzwanzig Jahre später wiederum zu den Lakota, um für ihre Rechte zu streiten. Soviel weißer Zuspruch – und trotzdem isses schief gegangen… Es geht um einen neuen Parzellierungsvertrag, der noch unterschrieben werden muss, der soundsovielte miese Beschiss, der soundsovielte Trick des weißen Mannes, um sich noch mehr Land unter den Nagel zu reißen. Zumal alle von Anfang an wissen, dass es, wenn der Vertrag nicht unterzeichnet wird, automatisch wieder zum Krieg kommen wird, denn die Weißen dürsten noch immer auf Rache für die Schlappe am Little Big Horn vor dreizehn Jahren.

   Aber eigentlich ist die Dame aus New York gar nicht deshalb in den Westen gereist – sie ist nämlich Malerin, heißt Caroline Weldon, und hat schon immer davon geträumt, einmal den legendären Häuptling Sitting Bull porträtieren zu dürfen. Die Militärs vor Ort verdrehen nur die Augen und wollen die naive Lady gleich in den nächsten Zug zurück gen Osten stecken, doch der Häuptling hat einen Neffen bei der Armee, und der bringt die weiße Frau zum roten Mann, der gerade auf dem Acker kniet und Kartoffeln erntet. Mrs. Weldon muss einsehen, dass nicht sie für ihr Gemälde bezahlt werden wird, sondern dass umgedreht der alte Häuptling Kohle sehen will, und zwar gleich eintausend Pfund. Mitten rein in diese ganze Abwicklung platzt dann die Politik, denn Bulls Neffe erklärt ihm, dass viele Stämme noch immer zu ihm aufblicken und ein Statement erwarten, während er sich lieber zurückziehen und Farmer sein will. Mithilfe des energischen Zuredens und der tatkräftigen Unterstützung durch Mrs. Weldon (die dafür ordentlich auf die Fresse kriegt) kommt Bull aber doch noch in die Puschen, zieht wieder seine Prachtgewänder an und wendet sich an seine Leute, macht ihnen klar, welchen Betrug der weiße Mann ausgeheckt hat. Ganz nebenbei wird aber auch noch ein Bild gemalt. Und es bahnt sich eine Romanze zwischen der weißen Frau und dem roten Mann an. Dann geschieht, was geschehen musste: Die Armee rückt an, Sitting Bull wird bei seiner Verhaftung aus dem Hinterhalt von Indianeragenten erschossen, die Indianer werden mit Gewalt vertrieb, und spät im Jahr 1890 am Wounded Knee holt sich die glorreiche Army ihre Genugtuung für die zuvor erlittene Demütigung, indem sie hunderte von Männern, Frauen und Kindern niedermetzelt…

 

   Ein gepflegtes Romantikepos einer Regisseurin, die bislang eigentlich eher im BBC-Universum unterwegs war und Dickens und Konsorten sowie Nanny McPhee auf die Leinwand brachte. Welche Verbindung sie ausgerechnet zu dieser Story hat, bleibt mir beim Zuschauen unerfindlich, und wenn ich böse sein wollte, könnte ich den Eindruck haben, sie habe lediglich nach einem politisch korrekten Setting für eine Seifenoper gesucht. So kraftlos und konventionell gerät die gesamte Darstellung, so klischeehaft sind die Charaktere gezeichnet, so wenig Tiefgang wird ihnen abverlangt. Nur vereinzelt finden sich kurze Sequenzen, die andeuten, dass vielleicht doch eine brauchbare Romanze mit politisch-historischem Background hätte entstehen können, wenn Drehbuch und Regie sich zu mehr Schärfe und mehr konkreter Stellungnahme entschlossen hätten. Und vor allem dazu, nicht wieder die ewig gleichen edlen Indianer zu präsentieren und nicht immer die gleichen edlen Weißen, die ihnen letztendlich in den Sattel helfen müssen, denn dieser Film suggeriert sehr deutlich, dass ohne Mrs. Weldons hartnäckiges Einschreiten nichts passiert wäre. Immer wieder stößt man in solchen Filmen auf diese Struktur, die die ganze Verlogenheit der Produktion aufzeigen: Die Wilden sind uns zwar lieb und teuer, aber ohne die Organisation der Weißen kriegten sie doch nichts gebacken. Diese Denke gehört in die Abstellkammer der Geschichte, so dachte ich bis heute, wurde nun aber eines besseren belehrt. Wieder was gelernt. Tja, Jessica Chastain wird für ihre Darstellung allgemein gelobt, aber ich persönlich fand dabei nix Besonderes, dazu ist ihre Rolle auch einfach zu eindimensional und gipfelt am Ende in einer besonders melodramatischen Szene, in der Sitting Bull ermordet wird und sie plötzlich wieder nur eine ganz normale selbstsüchtige heulende Kuh ist. Soviel zum Thema „starke Frauen“. Ich seh schon, mich packt die Wut, wenn ich noch mehr drüber nachdenke, und darum lass ich’s lieber und vergesse den Film ganz schnell, was wohl auch kein Problem sein wird, denn er hat wirklich nichts, was sich mir positiv eingeprägt hätte, mit Ausnahme vielleicht der schönen Landschaftsbilder, aber die kann ich auch im Fotobuch haben. (12.7.)