Pokot (Die Spur) von Agnieszka Holland. Polen/BRD/Schweden/Tschechien, 2017. Agnieszka Mandat, Patrycja Volny, Wiktor Zborowski, Jakub Gierszal, Miroslav Krobot, Borys Szyc, Katarzyna Herman, Tomasz Kot

   Ist bestimmt zwanzig Jahre her, dass ich zuletzt einen Film von Agnieszka Holland im Kino sah; danach vielleicht noch den einen oder anderen im TV, aber sonst ist diese höchst interessante und unberechenbare Filmemacherin seit langem schon von meinem Kinoradar verschwunden – was ganz sicher nicht daran liegt, dass ich sie links liegen gelassen hätte. Nun also endlich, fast ein Jahr nach der Berlinale-Premiere, mal wieder ein Film von ihr in unserer kleinen Stadt, und er bestätigt in jeder Hinsicht ihren Ruf als ungewöhnliche und eigenwillige Regisseurin.

   Sie erzählt uns eine Geschichte aus dem polnisch-tschechischen Grenzgebirge, einer abwechselnd rauen und verwunschenen Berg- und Waldlandschaft. Dort lebt in einem Haus im Wald Duszejko, eine etwas betagtere, aber noch höchst vitale Dame, die noch keine Lust auf Ruhestand hat, sondern lieber noch ein paar Stunden Englisch an der lokalen Schule unterrichtet, und die sich vor allem nachhaltig für den Tierschutz einsetzt. Und das heißt automatisch, dass sie mit vielen Herren in der gegen mächtig Ärger hat, mit all den Wilderern und Fallenstellen und Tierquälern und sogenannten „Jägern“, die aber nur aus Lust am Töten jagen, sich nachher mit den Opfern des Massakers stolzgeschwellt fotografieren lassen und die erfolgreiche Jagd vorzugsweise mit ein paar Huren aus Osteuropa begießen. Und da diese Herren mehrheitlich den oberen Zehntausend der Gegend angehören, hat Duszejko auch null Chancen, sie mal dranzukriegen, und so wandern ihre vielen Briefe an die Polizei unweigerlich in die Ablage P. So macht sie sich natürlich sehr unbeliebt, obendrein gilt sie als Exzentrikern und Esoterikerin, die sich mit Astrologie befasst und jede Menge Blödsinn verzapft. Immerhin hilft sie einem jungen Mädchen, das sie liebevoll Dobra Nowina nennt (gute Nachrichten auf Deutsch) und das sich in unheilvoller Abhängigkeit von einer dieser Jäger befand. Außerdem schließt sich ihnen ein junger Polizeibeamter an, der ein Auge auf das Mädchen geworfen hat, und dann gibt’s da noch Duszejkos alten Nachbarn Matoga, der ebenfalls in der Not beisteht. Und das wird auch nötig sein, denn nachdem Duszejkos geliebte Hunde verschwunden sind, ein anderer Nachbar tot aufgefunden wird und Duszejko in seinem Haus ein Jagdfoto findet, häufen sich die Leichenfunde, und die Ursache dafür wird unser verschworenes kleines Grüppchen in höchste Alarmstufe versetzen…

   In der Tat ist dies ein höchst außergewöhnlicher Film, eine Mischung aus skurrilem Mysterienspiel, düsterem Ökothriller, höchst erdverbundenem Sozialdrama und einer Art Märchen, was dazu führt, dass sich am Ende alles irgendwie zunächst in ein bukolisches Idyll und schließlich in Nichts auflöst – Duszejkos ist mit ihren zwei neuen Hunden in sonnenüberfluteter Natur zu sehen, um dann gleich einer Fata Morgana buchstäblich in der Luft zu verschwinden. Dieser poetische Ausklang gefällt uns Romantikern, die sich so oft wünschen, dass einmal die Richtigen erwischen möge und dass einmal die Richtigen davonkommen mögen – ich meine, man wird ja wohl noch etwas träumen dürfen. Aber genau dies geschieht hier – Duszejko rächt sich grausig an den Tier- und Frauenpeinigern, an den Machoschweinen, den allmächtigen Herren am Ort, denen, die glauben, sie stehen über allen und seien unantastbar aufgrund ihres Wohlstands und der gesellschaftlichen Position. Nun, die energische Aktivistin belehrt sie nachdrücklich eines Besseren und legt auch noch eine fiese Spur aus, lässt es so aussehen, als haben Tiere die Männer getötet, und als die Wahrheit dann doch ans Licht kommt, kann sie sich gemeinsam mit ihren Freunden rechtzeitig absetzen und anderswo ein neues friedliches Leben beginnen. Ich hab’s ihnen gegönnt, denn sie streiten immerhin für die gerechte Sache und gegen Machtmissbrauch und Grausamkeit und Tyrannei. Die Männergesellschaft ist widerlich, doch mit den üblichen Mitteln kaum zu stellen, denn Polizei, Justiz und Hochfinanz sind sämtlich durchsetzt mit Mitgliedern des Jagdvereins. Die machen ihre eigenen Regeln, und Tiere und Frauen sind darin nur Objekte, über die nach Belieben verfügt werden kann und derer man sich ebenso beliebig entledigen darf, ohne irgendwelche Konsequenzen fürchten zu müssen. Immer wieder schleichen sich Elemente einer garstigen Gesellschaftssatire in die Erzählung, dann wieder wird’s mystisch oder unheimlich, und bissiger Humor kommt auch noch vor. Holland schlägt dabei ein recht gemäßigtes Tempo an, braucht gut über zwei Stunden, um die Geschichte zu entfalten, und das tut ihr im ganzen auch sehr gut, denn die Atmosphäre ist besonders intensiv, und vor allem die großartige Bildgestaltung kommt wunderbar zur Entfaltung. Ganz dem Thema oder speziell Duszejkos Anliegen entsprechend spielt die Natur hier eine gleichberechtigte Hauptrolle – der tief verschneite Winter, der leuchtende Sommer und die Tiere in den verschiedenen Jahreszeiten. Die entwickeln tatsächlich ein prägnantes Eigenleben, und fast wäre ich der einfallsreichen Dame auch auf den Leim gegangen, denn so wie Holland die Sache aufbaut, ist ganz einfach nichts unmöglich, auch eine handfeste Rache der gepeinigten Kreaturen an ihren Mördern. Ist ja auch ein reizvolles Gedankenspiel, nach den Motto, was wäre, wenn. Und Holland sorgt mit ihren mitunter fast karikaturmäßig angelegten Charakteren auch dafür, dass wir dieses Gedankenspiel gern bis zum Ende mitspielen, und das ganz ohne moralische Skrupel, jedenfalls soweit es mich betrifft.

 

   Hinzu kommt eine sehr geschickte Verquickung von poetisch verträumten, surrealen Momenten und sehr realem Drama aus der modernen Welt, die natürlich längst ihre hässlichen Fühler bis in die entlegensten Winkel ausgefahren hat. Und Agnieszka Mandat entfaltet eine derart einnehmende, eindrucksvolle Präsenz, dass ich zumindest jederzeit auf ihrer Seite war. So entsteht ein wirklich origineller und toller Film jenseits jeden Mainstreams und jeder leichten Einsortierung, sicherlich nicht gerade für den schnellen Konsum zwischendurch geeignet, sondern auf seine subversive Art durchaus herausfordernd. Eine sehr schöne Sache also, Frage bleibt nun, wie lange es dauert bis zum nächsten Wiedersehen mit der Agnieszka... (22.1.)