Hostiles (Feinde) von Scott Cooper. USA, 2017. Christian Bale, Rosamund Pike, Wes Studi, Jesse Plemons, Adam Beach, Q’orianka Kilcher, Rory Cochrane, Ben Foster, Tanaya Beatty, Xavier Horsechief, Timothée Chalamet, Peter Mullan, Stephen Lang

   Eigentlich finde ich diese Spätwestern oder Neowestern, oder wie auch immer man sie nun betiteln will, ganz spannend, weil sie haben die Riesenchance, neuen Wein in alte Schläuche zu gießen und vor allem, all die Schweinereien, all das Unrecht, das im klassischen Western mit schönster Regelmäßigkeit verharmlost, beschönigt, verfälscht wurde, endlich mit klarem Blick gerade zu rücken und die Dinge so zu zeigen, wie sie vielleicht wirklich waren. Viele der neuen Western erzählen aber weiterhin Geschichten nach hergebrachtem Muster, nur mit etwas moderneren Mitteln (leider manchmal auch im Hochglanz-MTV-Style) und modernerem Duktus, was okay ist, solange ein vernünftiger Film dabei rausspringt. Manche aber gehen dann doch tiefer, gehen der Historie auf den Grund, ohne sich dabei grundsätzlich vom Western-Schema zu lösen, profitieren vor allem davon, dass sie nicht mehr vom reaktionären 50er-Jahre-Geist geprägt sind.

   So wie „Hostiles“: John Fords meets Robert Aldrich, „The Searchers“ meet „Ulzana’s Raid“ oder so ähnlich, viele der Motive, viele der Bilder und Einstellungen wirken vertraut, wirken wie respektvolle Zitate, und dennoch ist dies ein ganz und gar eigener Film, ein großer Wurf und endlich mal wieder ein Film, der so richtig schön nachklingt, wenn ich aus dem Kino raus bin. Hatte ich in diesem vermaledeiten Kinojahr bisher noch nicht so oft.

   Ausgerechnet der in vielen Jahren der Kriege zum verbissenen Indianerfeind gewordene Captain Joe Blocker erhält den Auftrag, den alten Cheyenne-Chief Yellow Hawk mitsamt seiner verbliebene Familie  von New Mexiko bis rauf in dessen alte Heimat nach Montana zu bringen, wo er in Würde sterben dürfen soll. Früher ein gefürchteter, grausamer Krieger, ist Yellow Hawk nun ein von Krankheit gezeichneter alter Mann, der mit dem Reste seines Clans wie ein Tier im Fort gefangen gehalten wird. Blocker will den Befehl zunächst verweigern, doch schließlich gibt er nach, stellt sich eine kleine Truppe zusammen und macht sich auf die weite Reise. Unterwegs lesen sie eine Frau auf, Rosalee, die gerade bei einem Angriff einer wilden Komantschen-Meute ihren Mann und ihre drei kleinen Kinder verloren hat, und die sie nun sicher in die nächste größere Stadt mit einem Bahnhof bringen wollen. Die Komantschen sind aber noch da und müssen bekämpft werden, wie später noch ein Haufen Pelzjäger und ein zum Tode verurteilter Ex-Soldat und Kamerad von Blocker, der zur Vollstreckung des Urteils gebracht werden soll. Blockers Gruppe wird radikal dezimiert, und zugleich nähert er sich den Cheyenne an, die immer wieder helfen und ihn schließlich davon überzeugen können, dass sie keine Feinde mehr sind. Durch extreme Strapazen kommen sie doch ans Ziel, ins Tal der Bären nach Montana, wo Yellow Hawk zeremoniell bestattet wird, und just als man glaubt, alles sei gut, taucht ein Viehrancher mit seinen Jungs auf und will den Leichnam von „seinem“ Land entfernt haben. Es kommt zu einem letzten Scharmützel, an dessen Ende nur noch Blocker, Rosalee und Yellow Hawks jüngster Enkel Little Bear am Leben sind. Blocker will die beiden schon in den Zug nach Chicago setzen und einsam davongehen, doch im letzten Moment besinnt er sich und springt auch auf den Zug.

   Düstere Melancholie, elegische Ruhe, wilde Gewaltausbrüche, epische Landschaft, eine Reise durch ein trotz überwältigender Schönheit zerstörtes Land voller zerstörter Menschen. Selten hat ein Film dies so eindrücklich und konsequent vorgeführt: Menschen, die von jahrzehntelangem Krieg, jahrzehntelanger Gewalt zermürbt, entwurzelt, zerstört wurden. Die Opfer, die Ureinwohner: Geschändet, vertrieben, vernichtet. Entweder eingepfercht in Reservate oder Gefängnisse oder umherziehend als amoklaufende Mordbanden, die schreckliche Bluttaten an Siedlerfamilien verüben. Die Täter, die Siedler und ihre Soldaten: Vom ewigen Kreislauf aus Hass, Angst, Aggression, Misstrauen und Gewalt erschöpft und demoralisiert. Auch sie Opfer, Gefangene ihrer eigenen Gier. Der rassistische Abscheu gegen die Rothäute reiner Selbstzweck, die notwendige Legitimation an der Oberfläche, doch darunter ahnen und spüren viele von ihnen, welches Unrecht sie den Ureinwohnern zugefügt haben, und nun leben sie in ewiger Furcht vor der Vergeltung, wohl wissend, wie grausam die Indianer sein können. Im Süden finden sich viele traumatisierte Kriegsveteranen, so wie Blocker, noch immer gezeichnet und gedemütigt von der Niederlage und nun auf der Suche nach einer Aufgabe, einem Platz, einer Identität. Der Krieg gegen die Indianer kommt da gerade recht, und so wie Blocker stürzen sich viele mit wilder Entschlossenheit in den Kampf gegen den Feind. Sie verüben furchtbare Verbrechen, die sie früher oder später einholen, und wir erleben Blocker, der genau das erlebt. Die Fassade des kompromisslosen Indianerhassers lässt sich nach all den Jahren nicht längere aufrechterhalten, es kostet zu viel Kraft, und zudem erlebt Blocker, dass die Cheyenne seinen Respekt, seine Hochachtung, seine Zuneigung genauso verdienen wie jeder weiße Mensch, und das geschieht, weil er ihnen näher kommt, weil er sich einmal darauf einlässt, sie zu beobachten, ihnen zuzuhören. Die weite Reise von New Mexico nach Montana wird somit auch zu einer Art Initiationsreise, an deren Ende Blocker nicht mehr der ist, der er vorher war. Ein guter Western kann sowas leisten.

 

   Scott Cooper inszeniert das fast elegisch und getragen, lässt den Raum, die Landschaften atmen, nimmt sich sehr viel Zeit für Blicke, die in diesem Film sehr viel mehr sagen als Worte. Die eine Schwäche in „Hostiles“ liegt ganz klar im Drehbuch, genauer gesagt den Dialogen, die man bestenfalls als holzig bezeichnen kann, häufig arg klischeehaft und banal und absolut nicht auf der Höhe mit den Darstellern, die diese Sätze irgendwie von sich geben müssen. Gottlob sind diese Darsteller aber so gut, wie sie sind,  und so kann ich über manchen gestelzten Quark hinweghören und ihnen nur in die Gesichter sehen. Rosamund Pike ist die Witwe mit den schwarzen Augen, zunächst paralysiert, aufgezehrt von Trauer und Leere, schließlich vorangetrieben von ihrem Glauben, den sie sich erhält und von dem, was sie um sich herum sieht, auch in den Cheyennes, denen sie sich viel rascher annähert als Blocker. Sie hat nur den einen Moment, da sie an den vier Gräbern ihrer ermordeten Familie steht und sich selbst auch das Leben nehmen möchte, doch von dort an entwickelt sie zunehmend Stärke, Überlebenswillen und Entschlossenheit. Pike hat ein paar großartige, herzzerreißend intensive Pantomimen zu spielen und sie tut dies mit Bravour – sicherlich eine ihrer bisher allerstärksten Rollen. Christian Bale ist genauso eindrucksvoll in der Rolle des Blocker, eines Mannes, der sein Inneres und auch sein gewissen viele Jahre lang abschirmen, einkapseln konnte und der nun nicht mehr dazu imstande ist. Er muss sein Weltbild revidieren, was auch bedeutet, dass er sein bisheriges Weltbild niederreißen muss, viel mehr noch, dass er sich dem stellen muss, was er bisher als gut und richtig angesehen hat. Anders als einige langjährige Weggefährten ist er entschlossen, weiter zu leben, nicht aufzugeben, für seine Zukunft zu kämpfen. Allein sein Blick, als er den letzten Mann in der Geschichte getötet hat und sich zu uns umdreht, sagt mehr als viele Worte, ein Blick, der so total unter die Haut geht wie schon länger nichts mehr im US-Kino. Seine ganze Verzweiflung, seine Schuld und zugleich die Bereitschaft, diese Schuld anzuerkennen und auf sich zu nehmen, als dies bündelt sich in diesem kurzen Moment, der ganz sicher zu den erinnerungswürdigsten des neuen Western gehört.

    „Hostiles“ gehört sowieso zu den Großen des Western, ein wirklich tief bewegender, beeindruckender Film, sowohl inhaltlich als auch künstlerisch (Max Richters wunderbarer Soundtrack muss unbedingt auch noch erwähnt werden). Wenn ich mich auch manchmal schon fragte, ob man diese neuen Western überhaupt braucht, dann gehört dieser hier zu denen, die ganz klar dafürsprechen. Großes Kino! (4.6.)