Foxtrot von Samuel Maoz. Israel/BRD/Frankreich/Schweiz, 2017. Lior Ashkenazi, Sarah Adler, Yonaton Shiray, Shira Haas, Yehuda Almagor, Ilia Grosz, Karin Ugowski
“Foxtrot” ist einer von den leider nur wenigen Filmen, die es mir verbieten, sofort was darüber zu sagen. Zu vielgestaltig sind die Eindrücke, zu widersprüchlich die Gefühle, zu heftig die Achterbahnfahrt zwischen Erschütterung und Komik. Also erstmal eine Nacht drüber schlafen und am nächsten Morgen frisch ans Werk.
Das Ehepaar Feldman bekommt Besuch – zwei Männer in Uniform klingeln an der Tür. Dafna hat sofort einen Zusammenbruch und wird von den beiden routinierten Herren in einen mehrstündigen Tiefschlaf gespritzt, Michael hingegen muss hören, dass ihr Sohn Jonathan im Einsatz fürs Vaterland gefallen ist. Er ist zunächst wie erstarrt, nur hin und wieder bahnt sich die Trauer eruptiv ihre Bahn. Bruder und Schwägerin kreuzen auf und sind abwechselnd hilfreich und lästig. Michael verlangt, seinen toten Sohn sehen zu dürfen, die ausweichenden Antworten der Uniformträger versetzen ihn in Misstrauen und Zorn, und so zieht er erstmal los, um seiner alten, in einem Heim lebenden Mutter die Nachricht beizubringen. Die alte Frau, die Auschwitz überlebt hat, versteht zwar, was er sagt, kann aber nicht emotional auf den Tod ihres Enkelsohns reagieren, sie ist lange schon tief in sich verkapselt. Etwas später kreuzt ein weiterer Uniformträger auf und geht mit Michael im Detail den vorgeschriebenen Ablauf für ein militärisches Heldenbegräbnis durch, und alles ist eigentlich durchgeplant, als plötzlich eine neue Nachricht eintrifft: Es ist zwar ein Jonathan Feldmann gefallen, aber nicht der Jonathan von Dafna und Michael, es liegt also eine bedauerliche Verwechslung vor und man ist untröstlich. Michael rastet nun endgültig aus und verlangt vehement, dass man seinen Sohn unverzüglich von seinem Posten irgendwo draußen an irgendeiner Grenze abziehe und zu ihnen nach Hause schicke, und nach einigem Hin und Her geben die Uniformträger schließlich nach. Schnitt: Ein bemannter, bewaffneter Grenzposten im Nirgendwo zwischen Wüste und Wüste. Ein paar Jungs schieben dort ihren Dienst, unter ihnen Jonathan. Nichts passiert den lieben langen Tag, mit Ausnahme vielleicht eines Kamels, das regelmäßig Durchlass begehrt. Ab und zu mal ein Auto, und sonst schlägt man die Zeit mit Zocken und Geschichtenerzählen tot und prüft anhand einer rollenden Dose, wie stark wie Baracke sich täglich weiter seitlich neigt, denn die Erde ist vom vielen Regen in der unwirtlichen Höhenlage aufgematscht. Jonathan bedient MG und Scheinwerfer für die Nacht, und alles ist träge und langweilig, bis eines Nachts ein Auto mit jungen Leuten an die Grenze kommt. Das hübsche arabische Mädchen auf dem Beifahrersitzt nimmt Blickkontakt zu Jonathan auf, die gern zurückschaut. Sie öffnet schließlich ihre Tür, weil sie darauf hingewiesen wird, dass ein Stück ihres Kleides eingeklemmt wurde. Ein Gegenstand rollt heraus, und in Panik schreit einer der Grenzposten „Granate“. Jonathan schießt den Wagen zusammen, und dann erst sehen sie, dass es nur eine Bierdose war. Anderntags wird das Auto samt der Insassen tief im Boden vergraben, und ein Offizier erklärt den verstörten Jungs, dass dies nun mal der Krieg sei und Kollateralschäden vorkommen können. Außerdem überbringt er Jonathan die Nachricht, dass er sich augenblicklich zuhause einzufinden habe. Er besteigt etwas ratlos den LKW und fährt mit den Übrigen fort. Schnitt: Dafna und Michael zuhause. Es wird nach einiger Zeit klar, dass die beiden nun getrennt leben und dass Jonathan tatsächlich tot ist. Anlässlich seines 20. Geburtstags entzünden die Eltern Kerzen, danach will Dafna, dass Michael geht, doch der kann sie überreden, dass er noch bleibt und die beiden miteinander sprechen. Dafna macht ihm klar, dass er für sie nie der große, starke Held war, für den er sich gern ausgegeben hätte, sondern dass sie immer ahnte, dass irgendwo eine Schwäche, ein Trauma in ihm steckt, über das er nur niemals reden wollte und das nun angesichts des vermeintlichen Todes Jonathan wieder aufbrach. Er erzählt nun, was er selbst im Krieg erlebte und womit er sie und die Kinder niemals belasten wollte. Eine Episode, bei der er nur durch Zufall überlebte, und die ihn dazu brachte, so strikt auf Jonathans sofortige Heimkehr zu bestehen. Diese Heimkehr führte, wie wir abschließend sehen, zu Jonathans Tod durch einen grotesken Verkehrsunfall mit Kamelbeteiligung. Dafna hat ihrem Mann offenkundig die Schuld gegeben und sich von ihm getrennt. Nun sitzen die beiden in der Küche, und wir sehen deutlich, wie nahe sie sich noch sind. Michael erzählt vom Foxtrot, einem einfachen Tanz, bei dem man immer wieder an seinen Ausgangspunkt gelangt. Er macht sie Schrittfolge ein paarmal vor, dann steht sie auf, und gemeinsam wiegen sie sich im langsamen Rhythmus einer Musik.
Ich finde den Film ganz großartig, bewegend, irritierend, völlig unberechenbar. Nie weiß man, was um die nächste Ecke kommen wird. Das Psychodrama über Schmerz und Trauer mit überlauten, nervösen Geräuschen und schwindelerregenden Kameraeinstellungen weicht einer coolen Militärsatire mit Sequenzen, auf die ein Kaurismäki oder ein früher Jarmusch ehrlich stolz gewesen wären und mündet schließlich in ein stilles Ehedrama, sehr intim, sehr zart, in der vor allem Michael sich endlich öffnet, seiner Frau und auch uns. Zuvor erzählt sein Sohn den Kumpels eine Geschichte (die letzte Gutenachtgeschichte, um genau zu sein), die uns zeigt, dass auch Michael mal ein ganz normaler junger Kerl war, der von einem Pin-Up-Girl so fasziniert war, dass er die wertvolle, uralte Familienthora glatt gegen das rosa Heftchen eintauschte, das nun anstelle der alten Thora von Vater zu Sohn weitergereicht wird. Ein wahnwitziges Sakrileg, denn die alte Schrift war der Mutter in Auschwitz vom sterben Großvater übergeben und danach wie ein Heiligtum gehütet worden und muss nun einer drallen Blondine mit einem X über den Brustwarzen weichen, die zudem im Laufe der Zeit vom Ejakulat zahlreicher Halbwüchsiger verklebt wurde. Eine wüste Tricksequenz illustriert die Gewissensnöte, die der pubertierende Michael mit sich auszufechten hat, als ihm die Reichweite seiner Dummheit klar geworden war. Und so ist der ganze Film – provozierend, witzig, bestürzend, bissig. Politik und Militär kommen allgemein nicht gut weg (weswegen der Film in Israel außerordentlich unbeliebt in gewissen Kreisen ist), die sinnlose Grausamkeit und Absurdität der kriegerischen Auseinandersetzung wird auf vielfältige Weise sinnfällig, die furchtbaren Auswirkungen auf Opfer, Täter, Hinterbliebene sowieso. Wie schon in seinem Film „Lebanon“, der schon viel zu lang zurückliegt, neigt Maoz zu Drastik und Polemik und mischt die Tonarten radikal, entzieht sich damit gekonnt den Zwängen der Political Correctness. Hier ist ein Freigeist im besten Sinn am Werk, und auch sein neuer Film zeugt davon, ein Film, der viel zu sagen und zu zeigen hat und der sich die Freiheit nimmt, dies auf seine Weise zu tun, sperrig, eigenwillig, fernab jeder Gefälligkeit. (7.8.)