Kona fer í stríð (Gegen den Strom) von Benedikt Erlingsson. Island/Frankreich, 2018. Halldóra Geirharðsdóttir, Jóhann Sigurðarson, Juan Camillo Roman Estrada, Jörundur Ragnarsson, Davíð Þór Jónsson, Magnús Trygvason Eliasen, Ómar Guðjónsson, Iryna Danyleiko, Galyna Goncharenko, Susanna Karpenko

   Eine Frau zieht in den Krieg, das wäre die direkte Übersetzung des Originaltitels, aber dieses eine Mal (ein einziges Mal wohl gemerkt!) gefällt mir der deutsche Titel auch gut, er ist auf seine doppelbödig-witzige Art äußerst passend für dieses filmische Unikum. Ein Öko-Abenteuerthriller vor schier atemberaubender Landschaft, ein Porträt einer entschlossenen Frau, eine giftige Politsatire über allerlei Verflechtungen der Mächtigen und eine warme Empfehlung des isländischen Tourismusverbandes für Backpacker mit Fahrrad…

   Halldóra ist eine Kriegerin: Sie baut sich einen Hochleistungsbogen zusammen, zieht mit Gepäck raus aufs Land, dorthin, wo die Hochspannungsleitung das nahegelegene Aluminiumwerk mit Energie speist. Dann schießt sie mit einem Pfeil ein Seil über die Leitung, zieht ein Stahlseil hinterher und löst einen netten kleinen Kurzschluss aus, der die Arbeit im Werk mal wider lahmlegt. Mal wieder, weil Halldóras Attacken immer wieder kommen und ihr mittlerweile einen handfesten Ruf als Terroristin eingebracht haben. Sehr zum Unmut der Industrie, die sich eine lukrative Kooperation mit potenten ausländischen Investoren erhofft, und weil die einheimischen Kräfte der Guerillakämpferin nicht das Handwerk legen können, holen sie sich Hilfe aus dem kriegserprobten Ausland. So schickt der CIA Know-how und Material, und bald schwirren Drohnen über die kargen Moorlandschaften, und die Straßen werden von der Polizei abgeriegelt. Die gesamte Bevölkerung wird plötzlich überwacht, und das bringt Halldóra nicht nur Fans ein. Die ist in ihrem richtigen Leben eine ganz liebe Chorleiterin und allgemein sehr beliebt, und auch hier passiert Dramatisches, als ihr nach vierjähriger Wartezeit endlich ein kleines Mädchen aus der Ukraine zugesprochen wird, das sie adoptieren wird. Der Zwiespalt scheint unauflöslich, auch wenn sie Unterstützung von ihrer Zwillingsschwester Ása und einem tatkräftigen Schafzüchter erhält, der ihr mehrmals aus der Patsche hilft. Letztlich ist die Polizeimacht erfolgreich und schnappt die „Terroristin“, doch die Geschichte ist damit noch nicht zu Ende…

   Mit wenig Personal und wenig Aufwand, dafür mit viel Einfallsreichtum ist ein höchst origineller und wunderbar skurriler Film entstanden, der mit seiner klaren, kraftvollen Bildsprache und seiner trickreichen Handlungsführung besticht. Wir erleben eine Überzeugungstäterin, eine wahre Naturliebhaberin, die erfahren hat, dass Engagement gegen die korrupte, gierige, rücksichtslose Industrie nur dann wirksam ist, wenn es wehtut, wenn es das Räderwerk ins Stolpern bringt, und genau das tut sie, ohne Menschen zu gefährden oder zu verletzen. Die öffentliche Meinung wird lange von der staatstragenden Medienberichterstattung und den Presseerklärungen des Konzernchefs beeinflusst, und Halldóra steht allgemein als gefährliche Fanatikerin da, die Deals mit den Amerikanern und Chinesen vereitelt und damit der Volkswirtschaft gravierend schadet. Tatsächlich hat ihre wortkarge Entschlossenheit etwas Beunruhigendes, aber nur, wenn man auf Seiten der Macht steht. Immerhin erinnern ihre waghalsigen Fluchtaktionen im Hochland, wo sie sich mit Hightech-Equipment der Gegner messen muss, an handfeste Actionsequenzen – tja, und dann steht da plötzlich eine Band mitten in der Gegend, musiziert auf Schlagzeug, Posaune und Harmonium eine Art Jazzpolka, oder manchmal taucht auf einmal ein Trachtentrio auf und intoniert flehende östliche Weisen, und es scheint direkt, als begleiteten diese Musiker Halldóra auf ihrem riskanten Feldzug gegen jenem, die Umwelt und Klima zerstören im Dienst des Profits. Die Illusion wird damit jäh unterwandert, der Unterhaltungseffekt abrupt irritiert, aber keineswegs im negativen Sinne. Und als wäre damit noch nicht genug, kreuzt immer wieder ein lockenköpfiger südamerikanischer Tourist mit Rucksack und Drahtesel unseren Weg und sorgt für einen liebevollen running gag, denn mehr als einmal wird ihm übel mitgespielt, und er landet sogar als vermeintlicher Saboteur geradewegs im Knast. „Welcome to Iceland“, schmettern ihm die Schließer bei seiner Entlassung fröhlich und frei von schlechtem Gewissen nach, und seine auf Spanisch gebrummte Antwort fällt alles andere als freundlich aus…

 

   Manchmal also geht es höchst burlesk zu, mal auch sehr spannend, manchmal herrscht pure Poesie, mal betören die Bilder der isländischen Natur, mal die Klänge des magischen Chorgesangs, und am Ende erinnert uns Halldóras Reise in die Ukraine zur kleinen Nika daran, dass in anderen Ländern der Öko-Kollaps längst angekommen ist. Island ist hier längst kein Paralleluniversum mehr, kein Insel fernab der großen weiten Welt, Island ist längst vereinnahmt worden von derselben, es gibt Geschäfte, Abhängigkeiten, Begehrlichkeiten. Abgesehen von allem anderen ist Halldóras Kampf auch ein Art Mahnung gegen die Maßlosigkeit, die uferlose Gier, die alles und jeden auf dem Weg zu verschlingen bereit ist. Ein Film mit Botschaft, ohne Frage, aber auch ein Film mit Selbstironie, und genau das macht ihn so schön. (17.12.)