Grace Jones: Bloodlight and Bami von Sophie Fiennes. England/Irland, 2017.

   Die gute Nachricht zuerst: Dies ist kein gewöhnlicher Dokumentarfilm, also keine jener Produktionen, die uns nicht mehr als eine unentwegte Abfolge zehnsekündiger Interviewschnipsel zu ebenso unentwegter Dauerberieslung vorsetzen, um nur ja unsere MTV-geschädigte Aufmerksamkeitsspanne nicht zu strapazieren. Davon hab ich eh längst genug und war zunächst mal froh, dass es diesmal anders war.

   Die nicht so gute Nachricht gleich hinterher: Ein besonders guter Dokumentarfilm ist dies dennoch nicht, also gut im Sinne von spannend, weniger von informativ. Informativ ist er in gewissem Sinne durchaus, nur nicht im herkömmlichen. Es wird also keine schlichte Chronologie abgefrühstückt, es kommen nicht die unvermeidlichen Weggefährten und Musikerkollegen zu Wort, es gibt auch keine Schnappschüsse aus Kindheit und Jugend und so weiter, da hatte Sophie Fiennes offensichtlich etwas anderes im Sinn. Sie hat Grace Jones über viele Jahre mit der Kamera begleitet, hat Konzerte gefilmt, hat ein bisschen Backstage-Footage aufgenommen, hat sich vor allem bemüht, sie in einem halbwegs „privaten“ Rahmen zu erwischen, hat sie sogar bis nach Jamaika begleitet, dorthin, woher sie stammt und wo ihre Familie noch immer lebt. Hier gibt’s dann natürlich ein paar Eindrücke einer Künstlerin als Teil des Familienclans, abseits vom Stardasein, es gibt ein paar amüsante Momente mit den Omas und Mamas und Tantchen und Geschwistern und so weiter, und lustig ist auch, wie die strenge Grace mit Sly & Robbie meckert, weil die mal wieder zu faul und unzuverlässig sind – aber so richtig spannend finde ich das alles leider nicht. Erst recht nicht über die Dauer von zwei geschlagenen Stunden, und die merkt man diesmal sehr. Eine halbe Stunde weniger hätte es auch getan, finde ich. Abgesehen davon bleibt für mich die Frage, was ich wirklich über den Menschen Grace Jones erfahre, wenn schon nichts über ihre Karriere oder so. Und die Antwort lautet was mich betrifft: Herzlich wenig. Okay, die karge Kindheit, der prügelnde Vater, das Verhältnis zu den Brüdern, aber was sie daraus macht, was dann zum Beispiel Einzug hält in ihre Songtexte, das sind vielfach nur Phrasen, das ist vor allem eine Fassade. Die war sicherlich mal notwendig und die hat sie perfektioniert, da ist sie wirklich Vollprofi, und zwar so sehr, dass niemand mehr dahinter blicken kann, wenn sie es nicht will. Und Sophie Fiennes gehörte offenbar nicht unbedingt zum Kreise der Auserwählten, war auch logischerweise nicht in der Position, zu fragen und vor allem zu hinter-fragen, und das hat zur Folge, dass die Perspektive dieses Porträts denkbar einseitig ist: Wir kriegen genau das, was Grace uns zugesteht, nicht mehr und nicht weniger. Sie lässt uns genau so nahe an sich, ihr Leben, ihre Vergangenheit, ihr Umfeld heran, wie sie erlaubt, und weiter kommen wir nicht, und es ist niemand da, der sich zumindest bemüht, ein wenig in die Tiefe vorzudringen.

   So leisten wir Grace zwei Stunden lang Gesellschaft, vorzugsweise bei ziemlich belanglosen Tätigkeiten und Begegnungen, und nicht nur angesichts der späten Sendezeit schweifte meine Aufmerksamkeit zwischendurch immer mal wieder in die Ferne. Was bewegt Grace Jones als Künstlerin, was macht sie als Künstlerin aus? Wie ist die zu dem geworden, was sie wurde? Gibt’s Entwicklungen, Veränderungen, wo liegt die Diskrepanz zwischen dem exzentrisch gestylten und durchaus fremdbestimmten und fremderschaffenen Kunstwesen Grace Jones und dem Menschen? Naja, als Beispiel eben. Hätte mich interessiert. Ist natürlich nicht Sophie Fiennes‘ Job, meinen Erwartungen zu entsprechen, sie hat ihr ganz eigenes Ding gemacht, und das verdient auf jeden Fall Respekt, keine Frage. Das große Aber dabei hab ich oben zu erklären versucht.

   Was bleibt, sind die Impressionen einer noch immer beeindruckenden Performerin, die auch mit gut über Sechzig noch über eine starke Bühnenausstrahlung verfügt, und mit deren Musik ich mich jetzt im Folgenden doch mal beschäftigen werde. Und damit hat der Film dann doch was Gutes…(31.1.)