Submergence (Grenzenlos) von Wim Wenders. BRD/Frankreich/Spanien, 2017. Alicia Vikander, James McAvoy, Alexander Siddig, Reda Kateb, Celyn Jones, Mohammed Hakeemshady, Godehard Giese
Für die Spielfilme (nur die Spielfilme wohlgemerkt) von Wim Wenders interessiere ich mich seit dreißig Jahren eigentlich nicht mehr. Bei fast jedem seit „Der Himmel über Berlin“, um genau zu sein, komm ich aus dem Kino raus und frage mich, warum hat der den gemacht, was hat ihn an der Story interessiert, was wollte er uns damit sagen. Wenders ist im Laufe der Jahre zu einer echten Sülzbacke mit Hang zum Pathos geworden, und im besten Fall rettet sein nach wie vor ausgeprägter Sinn fürs Ästhetische den jeweiligen Film vor der totalen Bedeutungslosigkeit. Tja, und dann geh ich trotzdem immer wieder hin und guck mir fast jeden an. Da kenn sich einer aus…
In diesem Fall liegt der Grund klar auf der Hand, ich konnte an der Besetzung einfach nicht vorbeigehen und hoffte wahrscheinlich, dass die Alicia und der James das Ding schon irgendwie retten - und Tatsache, sobald sie Zeit und Raum kriegen, schaffen sie das sogar. Aber eben nur dann…
Eigentlich ist das nicht mehr und nicht weniger als eine Liebegeschichte – boy meets girl, diesmal in einem schicken Hotel an der Küste bei Dieppe, wo beide eine Atempause vom beruflichen Alltag genießen wollen. Sie ist Professorin, erforscht mathematisch die Tiefsee und hat einen bahnbrechenden Tauchgang hoch oben im Nordatalantik vor sich, von dem sie sich prestigeträchtige Entdeckungen zum Ursprung des Lebens erhofft – oder so ähnlich. Er ist britischer Agent, vor allem im Einsatz gegen die Bombenmilizen der Taliban und hat einen Einsatz im Somalia vor sich, wo er getarnt als Wasserbauingenieur einen berüchtigten IS-Kommandanten ausfindig machen will, gegen die Warnungen seiner Dienststelle. Man schlürft Drinks, promeniert am Strand, plaudert, flirtet, kommt sich näher, landet schließlich im Schlafzimmer, und plötzlich merken die beiden sonst eher global agierenden und bindungsscheuen Typen, dass dies mehr ist als ein belangloses Stelldichein für den kleinen Hunger zwischendurch. Dieser Teil, proportional leider nicht ganz die erste Hälfte des Films, ist durchaus okay, stimmungsvoll, luxuriös, sexy, und eben gestaltet von zwei Leuten, die wissen, wie das mit der Chemie geht und die zusammen eine beachtliche Intensität entwickeln.
Davon ist im zweiten Teil dann wenig bis nichts mehr zu spüren, denn sie werden durch ihre unterschiedlichen Berufswelten getrennt. James geht nach Somalia, wird dort sofort von den IS-Kämpfern eingesperrt, geprügelt, lange gefangen gehalten und muss täglich um sein Leben fürchten. Danielle bereitet ihre Expedition vor, ist jedoch nicht mehr mit ganzem Herzen bei der Sache, sondern viel eher in Sorge, weil sie nichts mehr von ihm hört und keinen Kontakt zu ihm herstellen kann. Während sie also fahrig und unkonzentriert dabei ist, den für sie enorm wichtigen Tauchganz vorzubereiten, gerät er doch noch in Kontakt zu wichtigen Leuten, macht unter anderem die Bekanntschaft eines Arztes und kann wenigstens vorübergehend die ständige Todesangst abschütteln, bis er schließlich auf eine Expedition in den Süden bis nah an die kenianische Grenze mitgenommen wird, wo es dann mit seiner Hilfe (er hat nämlich den Peilsender in seiner Zahnprothese aktiviert) zu einem, amerikanischen Militäreinsatz kommt, dem die Taliban wohl weitgehend zum Opfer fallen, den er aber auch nur vielleicht überlebt. Währenddessen erlebt Danielle während des Tauchgangs auf mehr als dreitauend Meter Tiefe eine kurze Krise, als der Strom an Mord des Tauchbootes ausfällt und die drei Besatzungsmitglieder hektisch bemüht sind, via Notaggregat wieder die Kontrolle zu bekommen. Das gelingt ihnen schließlich auch, und sie können wieder auftauchen.
Zwei Dinge haben wir in diesem zweiten Teil Probleme bereitet. Das erste ist ein für mich deutlich spürbares Dringlichkeits- oder vielleicht besser Spannungsgefälle zwischen den beiden parallel ablaufenden Geschichten. Tiefseeforschung ist für mich nämlich ungefähr genau relevant wie Weltraumforschung – ich denke immer noch, dass unsere oberirdischen Probleme sämtliche Ressourcen erforderten, und dass es mehr als fragwürdig ist viele Milliarden in diese Projekte zu pumpen, die am Ende vielleicht nicht viel mehr einbringen als Ruhm und Ehre für einige wenige. Was James erlebt, erscheint symptomatisch für unsere Zeit, was Danielle erlebt, ist im Vergleich dazu eher nichtig, und dieses Gefälle beeinträchtigt natürlich erheblich die Ausgewogenheit der Erzählung. Das zweite Problem hat sicherlich auch mit dem ersten zu tun und damit, dass Wenders fast immer dann, wenn es mal interessant werden könnte, wieder rüberblendet zum anderen Schauplatz, so als wolle er um jeden Preis eine tiefergehende Diskussion vermeiden. Und das ist doch komisch, denn ich hatte schon den Eindruck, dass er die beiden Betätigungsfelder seiner Protagonisten für eine Betrachtung unserer Welt im Ganzen nutzen wollte. So aber wirkt der zweite Teil eher etwas fahrig, baut stellenweise durchaus Spannung auf (und zwar ausschließlich in Bezug auf James‘ Geschichte), zerstört diese dann aber durch unmotiviertes Umschneiden, und alles ist wieder für die Katz. So wird auch der einzig wirklich spannende Moment zwischen den beiden im ersten Teil abgewürgt, als James versucht, sie für das Thema Taliban und Bomben undsoweiter zu interessieren, und sie fast provozierend ignorant als Wissenschaftlerin im Elfenbeinturm reagiert, was ihn, der durchaus mit einer Mission und einer Überzeugung unterwegs ist, sichtlich anfrisst, und statt hier zu verweilen und den Konflikt auszuspielen, geht Wenders einfach drüber weg, geht weiter zur nächsten Szene, und das ist schade und ärgerlich. Etwas besser gelingt James‘ Begegnung mit Dr. Shadid im Taliban-Camp, die zumindest etwas Raum für Gespräch und Reflexion bietet, während draußen, recht plakativ, eine junge Frau zu Tode gesteinigt wird. Immerhin sorgt das Auftauchen Alexander Siddigs dafür, dass sich schauspielerisch wenigstens in diesem Erzählstrang des zweiten Teils etwas tut, denn auf diese Weise hat James McAvoy mal wieder einen gleichwertigen, hochkarätigen Gegenpart, während Vikander mit Stichwortgebern zufrieden sein muss, die kaum eigenes Profil bekommen. John Donnes berühmter Satz „Niemand ist eine Insel“, der noch heute die ultimative Regel für unser Zusammenleben sein sollte und der hier James‘ Leitspruch zu sein scheint, wird jedenfalls wenig überzeugend in Danielles Geschichte integriert, eher schon in seine. Und letztlich sorgen erdrückende Themen wie globaler Terrorismus, religiöser Fanatismus, die große Not in Afrika dafür, dass die Geschichte von James und Danielle auf das reduziert wird, was sie bei Tageslicht besehen ist – eine Banalität, eine Nichtigkeit im Vergleich zum großen Ganzen. Zumal Wenders im zweiten Teil auch nur höchst banale Bilder einfallen, um die Bindung der beiden zu verdeutlichen.
Und so weiter. Schöne Bilder durchgehend, manchmal durchaus auch ein bisschen mehr, doch ergibt sich kein überzeugendes, geschlossenes Ganzes. „Grenzenlos“ zerfällt in zwei Teile, die nicht zwingend verknüpft werden und die einander letztlich eher entwerten als ergänzen. Wer die Küste der Normandie und Alicia Vikander liebt, wird im ersten Teil voll auf seine Kosten kommen, während ich im zweiten Teil bemüht war, die interessanteren Aspekte rauszufiltern und leider immer wieder aus dem Takt kam, weil diese ganze Tiefseekacke halt so irrelevant ist, wenn man bedenkt, womit die Menschheit sich momentan rumzuschlagen hat. Also mal wieder: Ein halbguter Film bestenfalls. Und Wenders hat längst all das verloren, was ihn einst zu einem der wichtigsten Protagonisten des neudeutschen Kinos machte. Oder sollte man die alten Filme vielleicht nochmal mit mehr Abstand ansehen…? (6.8.)