Gundermann von Andreas Dresen. BRD, 2018. Alexander Scheer, Anna Unterberger, Milan Peschel, Peter Schneider, Thorsten Merten, Axel Prahl, Eva Weißenborn, Kathrin Angerer
Gundermann? Gerhard Gundermann? Liedermacher aus der DDR? Nie gehört! Typisch sowas, oder, hat nicht mal was mit der Ost-West-Trennung zu tun, denn Gundermann war noch jahrelang nach der „Maueröffnung“ als Künstler tätig, sondern eher damit, welche Leute er ansprach mit seinen Liedern, wem er nahekam in seinen Texten. Der Baggerfahrer aus der Lausitz, Braunkohleabbau nahe Hoyerswerda, dorthin gehörte er, dort verortete er sich selbst und dort arbeitete er fast sein gesamtes Berufsleben lang, egal ob er Konzerte gab, wochenlang auf Tour war, und seinen frühen Tod 1998 mit gerade mal 43 Jahren hat er sicherlich auch diesem aufreibenden, oft schlaflosen Leben zu verdanken. Also ein echter Held des Volkes, die ehrliche, wahre Stimme des Kommunismus, einer von uns, der von unseren täglichen Sehnsüchten, Träumen, Gefühlen sang? Das vielleicht, aber auch einer, der sich ab 1976 für fast zehn Jahre von der Stasi als IM anwerben ließ, das hieß er dann Grigori, und bei der Gauck-Behörde existierten eine Töter-Akte und auch eine Opfer-Akte, denn natürlich wurde auch er bespitzelt und zwar von Leuten, die er selbst wiederum auch bespitzelte. Und richtig rauskommt das Ganze erst, als ein alter Freund, ein Puppenspieler, ihn direkt damit konfrontiert und ihn damit zwingt, sich endlich mit diesem Teil seiner Biographie auseinanderzusetzen, den er offenbar zuvor ziemlich erfolgreich verschüttet und verdrängt hatte. Gundermann ist sowas wie ein wandelndes Paradoxon – auf der einen Seite konsequent, rücksichtslos ehrlich, kritisch, schwierig, ein aufrechter, überzeugter Kommunist, der sich gern auch mal mit Kaderleuten anlegt, seine Parteizugehörigkeit aufs Spiel setzt und Anzugträgern ihren öffentlichkeitswirksamen Auftritt versaut, andererseits aber eben auch einer, der in einem einzigen entscheidenden Moment mal nicht „nein“ sagen kann und schwupps in Räderwerk der Stasi gefangen ist und dem es auch viel später noch immer schwer fällt, sich dieser Verantwortung zu stellen, sich selbst Rechenschaft darüber abzulegen, was er möglicherweise angerichtet, wen er ins Gefängnis gebracht, wessen Leben er nachhaltig verändert hat, und der sich vor allem nicht der Frage stellen mag, wieso um alles in der Welt er das nur getan hat. Er versucht nun, wenigstens teilweise offen zu sein, outet sich bei mehreren Gelegenheiten, einmal sogar vor versammeltem Publikum, riskiert viel und stellt sich dar als ein Mann, der nicht um Verzeihung bitten wird, der sich andererseits selbst aber nicht verzeihen kann. Seine Frau Conny, die er einst seinem Bandkollegen ausspannte, wird zu ihm halten, und am Schluss hat man auch den Eindruck, dass das Publikum ungeachtet der unbequemen, überraschenden Beichte ihm weiter zuhören wird.
Am meisten beeindruckt hat mich an diesem ohnehin sehr beeindruckenden Film, wie Andreas Dresen mit dem scheinbar unauflösbaren Widerspruch in Gundermanns Person umgeht. Kein großes Drama, kein moralisierendes Wehklagen, eine dezente, ruhige, teilweise fast nüchterne Darstellung, die alle beteiligten Seiten und Facetten stehen lässt, nichts beschönigt, nichts bewertet. Was wäre passiert, wenn der verbitterte Puppenspieler nicht hergegangen wäre und seinen alten Freund mit dessen Vergangenheit konfrontiert hätte? Hätte Gundermanns frappierende Verdrängungstaktik weiterhin erfolgreich wirken können? Oder hätte er sich früher oder später doch gestellt, auseinandergesetzt, geoutet? Nachdem, was ich hier gesehen habe, könnte ich nicht guten Gewissens mit „ja“ antworten, ohne dass Gundermann deswegen zu verteufeln wäre. Offenbar hat er diesen Teil seiner Vergangenheit jahrelang komplett abgespaltet, so als sei IM Grigori eine andere Person gewesen und nicht er. Dresen hält die Ambivalenz konsequent durch: Wenn Gundermann sagt, er könne sich nicht erinnern, kann es tatsächlich sein, dass das so ist und keine faule Ausrede. Er selbst wirkt ratlos, hilflos, überrascht, weiß nicht, wie er damit umgehen soll, zieht sich zugleich noch immer in Verdrängungstaktiken zurück, erweckt den Anschein, als wolle er seine Mitarbeit verharmlosen, herunterspielen. Eine Journalistin klärt ihn darüber auf, dass er an wesentlich mehr Vorgängen beteiligt war, als er wahrhaben will, und die Frage eines Bandmitglieds, ob er auch jemanden in den Knast gebracht habe, wischt er brüsk vom Tisch, so als sei dies vollkommen abwegig. Seine Weigerung, sich bei irgendjemandem zu entschuldigen, trifft auf eine zum Teil drastische Selbstanklage, die aber wiederum nicht zu seinen Ausweichmanövern zu passen scheint. Gundermann bleibt ein undurchsichtiger Mensch, für mich jedenfalls, und Dresen unternimmt auch nicht den Versuch, ihn uns bis in den letzten Winkel zu erklären – wie sollte er auch. Allein die betroffenen Gesichter derjenigen, denen er sich erklärt, sprechen Bände, ebenso wie ein Blick in die Gauck-Behörde, in die riesigen Aktenschränke randvoll mit Unglück, Verrat, Heimtücke und staatlich betriebener Bespitzelung im Dienste des totalen Kommunismus. Dresen muss da nichts groß dramatisieren oder kommentieren - es genügt mir vollkommen, die dicken Aktenordner zu sehen, um mir eine Vorstellung davon zu machen, wieviel Leid die Stasi und ihre Mitarbeiter verursacht haben.
Die Erzählung springt zwischen 1975 und 1991 hin und her, berichtet davon, wie Gundi seine Conny eroberte, wie er vom Stasimann Axel Prahl angeheuert wurde, wie er im Betrieb und der Partei immer wieder aneckt und provoziert, zweigt ihn in Aktion auf Konzerten, beim Proben mit der Band, auf seinem Bagger im Tagebau, bei Kadersitzungen, die für ihn immer wieder zu Rechtfertigungsübungen werden. Er hat ein treues Publikum, ist einer von ihnen, spricht ihre Sprache und bewegt die gleichen Themen, singt zarte Liebeslieder oder typische DDR-Sehnsuchtslieder, die bloß nicht zu deutlich werden durften. Er wirkt authentisch, glaubwürdig, ehrlich, und wenn man nur die Songs hört und ihn dabei sieht, glaubt man, eine Persönlichkeit aus einem Guss vor sich zu haben. Dresen legt viel Wert auf alltägliches Geschehen zwischen Beruf, Familienleben und Künstlerdasein, und obwohl die Erzählung zweigeteilt ist, ist sie außerordentlich flüssig. Das Gefühl für Mensch und Milieu ist perfekt, Begegnungen, Gespräche, Konflikte werden feinfühlig und detailliert beobachtet, und immer wird mir bewusst, dass hinter Gundermanns Biographie die Geschichte des Staates steht, der ihn hervorbrachte und prägte, und zwar in jeder Hinsicht.
Alexander Scheer spielt und singt grandios, sicherlich seine bislang faszinierendste Rolle, und er wird flankiert von einer großen Zahl nicht minder grandioser Kollegen, mit denen er jeweils eine ganz besondere Chemie herstellt. Es macht schon viel Freude, diesen Leuten bei der Arbeit zuzuschauen, zumal Dresen sich einmal mehr als fantastischer Schauspielerregisseur bewiesen hat, dem es immer gelungen ist, das Maximum aus seiner Crew herauszuholen. Die ist ein weiterer großartiger Film in einer großartigen Filmographie, ein Film, der lange nachwirken wird und mit dem Dresen seinen Status als einer der allerbesten und verlässlichsten deutschen Filmemacher dick unterstreicht. (3.9.)