In den Gängen von Thomas Stuber. BRD, 2018. Franz Rogowski, Sandra Hüller, Peter Kurth, Andreas Leupold, Michael Specht, Henning Peker, Ramona Kunze-Libnow, Gerdy Zint

   In den Gängen, das bedeutet in den Gängen eines Großmarktes, der irgendwo auf der grünen Wiese steht, dort, wo einst die VEB sonstewas war, die dann nach der Wende abgewickelt und von Investoren mitsamt Personal aufgekauft wurde, und so wurde aus dem LKW-Fahrer Bruno der Stapelwagenfahrer Bruno. Der ist zuständig für Getränke und jetzt für Einarbeitung Christians, denn der kommt neu in den Markt. Christian ist sehr still und erstmal auch recht ungeschickt, aber Bruno hat Geduld und merkt, dass der Neue ein guter Kerl ist, obwohl seine vielen Tattoos auf eine ungesunde Vergangenheit hindeuten. Christian wird später bestätigen, dass er als junger Mann für allerhand Unfug zwei Jahre abgebrummt hat. Vorerst verguckt er sich aber mal in die kesse Marion von den Süßwaren, die ihn „Frischling“ tauft und recht unverblümt flirtet. Bruno versucht ihm klarzumachen, dass mit Marion nicht alles so easy ist, wie es aussieht, und das merkt Christian selbst, nachdem sich die beiden doch näher gekommen waren und Marion ganz plötzlich einen Rückzieher macht und total abtaucht. Denn sie hat zuhause einen Ehemann, und der ist alles andere als nett zu ihr. Christian überzeugt sich selbst davon, als er sich einmal in ihr Haus schleicht und sie beim Baden beobachtet, vor allem die Spuren in ihrem Gesicht sieht. Ansonsten rücken ihm noch die Kumpels aus seiner unrühmlichen Vorgeschichte auf die Pelle, doch nach einem letzten gemeinsamen Abend kann er sich von ihnen endgültig distanzieren. Er lernt auch Brunos Zuhause kennen, und spürt vermutlich als einziger der Kollegen, dass Bruno eigentlich sehr einsam ist, und es vor allem die Ehefrau, die er hier und da erwähnt hat, in Wahrheit nie gegeben hat. Kurz darauf erhängt sich Bruno, und alle im Großmarkt sind konsterniert. Marion taucht wieder auf und bändelt wieder mit Christian an, so als sei nichts gewesen. Christian übernimmt Brunos Stelle und ist jetzt ein anerkannter Mann im Getränkebereich. Und vielleicht wird’s mit ihm und Marion ja doch was…

   Eine schöne, poetisch-melancholische Ossiballade mit starkem Kaurismäki-Einschlag. Einer wie Peter Kurth wäre ja überhaupt ein idealer Kaurismäki-Schauspieler, und der Ton insgesamt ist angemessen männlich wortkarg, schwermütig, aber eben, genau wie der alte Finne, nie depressiv oder resignativ aussichtslos. Im Miteinander der Kollegen im Großmarkt schwingt sehr viel mehr ehemalige DDR mit, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Man hat damals schon zusammengearbeitet, ging dann zusammen durch die Wirren der „Wiedervereinigung“, und nun ist die gemeinsame Vergangenheit immer noch ein Pfund, mit dem man wuchern kann, ohne dass allerdings viele Worte drum gemacht werden. Man weiß einiges voneinander, aber eben nicht alles, und im Falle Brunos kann man nur sagen, leider nicht alles, denn seine Einsamkeit hätte so nicht sein müssen, da hätten sich die Kollegen besser kümmern müssen, wenn sie den Mut gehabt hätten, ihm näher zu treten. Aber so bleibt man schön auf Abstand, das hat vielleicht was mit Respekt zu tun, aber auch mit Feigheit. Christian passt wunderbar in diese Art von „Gemeinschaft“ hinein, auch er sehr verschlossen, schüchtern, zurückhaltend, durchaus nicht ohne Empathie, doch auch er geprägt von einer Gesellschaft, in der man einfach nicht drüber redet, was auch immer. Mal fallen eins. Zwei persönlichere Sätze, gibt man zögernd ein Stückchen von sich preis, doch nie zu viel und auf keinen Fall so, dass man den anderen zu irgendwas verpflichten würde. In Marion verliebt er sich sofort und bleibt beharrlich am Ball, auch wenn sie ihn neckt und aufzieht und ein bisschen zappeln lässt, auch wenn Bruno warnt und auf den prügelnden Ehemann aufmerksam macht. Seine stille Geduld wird vielleicht Erfolg haben, und das wäre sicherlich auch der einzige Ausweg aus seiner Einsamkeit, denn die ist durchaus mit Brunos zu vergleichen, wenn er nach der Spätschicht heimkehrt in seine Plattenbaubude und absolut nichts und niemand in Sicht ist, für das oder den es sich zu leben lohnte.

 

   Thomas Stuber inszeniert äußerst feinfühlig, behutsam und mit Blick fürs Zwischenmenschliche und Atmosphärische. Ich gebe zu, dass mir die satten einhundertzwanzig Minuten zwischendurch auch mal etwas zu lang wurden, worin dann ein entscheidender Unterschied zum Meister Kaurismäki liegt, der Wortkargheit kongenial mit maximaler Konzentration und oft genug in gerade mal siebzig Minuten umsetzte. Hier gibt’s dann doch den einen oder anderen Schlenker zuviel, aber vor allem die tollen Hauptdarsteller und die sehr stimmungsvollen Bilder machen dies weitgehend wett. Zudem kommt zwischen all der nächtlichen Trübnis immer mal wieder ein leider Humor oder ein leises Lächeln zutage, und das wirkt dann umso schöner und befreiender. (30.5.)