Lady Bird von Greta Gerwig. USA, 2017. Saoirse Ronan, Laurie Metcalf, Tracy Letts, Beanie Feldstein, Lucas Hedges, Timothée Chalamet, Odeya Rush, Jordan Rodrigues, Stephen Henderson, Lois Smith, Marielle Scott
Lady Bird ist der Kampfname von Christine, die zu ihrem Pech in Sacramento lebt, und das ist sehr uncool, denn da ist gar nichts los, und sie würde die High School furchtbar gern an einer coolen Stadt an der Ostküste zu Ende machen und danach gleich aufs College. Mama Marion aber sabotiert ihre Träume, weil sie gar kein Zutrauen in ihre Tochter hat und auch kein Geld, um die teuren Schulen im Osten zu finanzieren, obwohl sie dauernd Doppelschichten im Krankenhaus macht. Und so schlägt sich Lady Bird weiter in Sacramento durch, wo sie eine katholische Schule besucht, mit ihrer Freundin Julie abhängt und von Jungs und Sex träumt, an einer Musicalaufführung teilnimmt und sich in den smarten Danny verliebt, der stammt aus einer stinkreichen Familie und wohnt auf der richtigen Seite der Bahnschienen, während sie auf der falschen wohnt. Mit Danny kommt es beinahe zum äußersten, doch dann erwischt sie ihn, wie er mit einem Jungen knutscht. Sie schwenkt dann über zu Kyle, der in einer Band spielt und mit hippen Leuten abhängt, die aber auch eigentlich nicht ihre Kragenweite sind. Immerhin wird sie von Kyle entjungfert, erfährt aber zu ihrer Ernüchterung, dass es für ihn keineswegs das erste Mal war, und überhaupt kapiert sie dann doch, dass Kyle und seine Clique nichts für sie sind und dass Julie weiterhin die richtige Freundin für sie ist. Heimlich hat sie sich an verschiedenen Colleges im Osten beworben, und der Papa, der mittlerweile seinen Job verlorenen hat, unterstützt sie dabei und hält dicht, denn Mom darf natürlich nichts davon wissen. Lady Bird wird schließlich angenommen und fliegt nach New York, auf in ihr neues Leben. Mom hat nicht mehr mit ihr geredet, doch am Ende ist schon klar, wie sie sehr beiden aneinander hängen, nur sind sie halt, wie Daddy zurecht bemerkt, beide sehr starke Charaktere.
Ich glaube, solche Filme können die Amis unterm Strich am besten – coming-of-age-Geschichten, und die können sie wirklich richtig gut. Groß werden in der Stadt oder gern auch in einer Kleinstadt oder auf dem Land, seinen Weg finden, seinen Platz im Leben, mit der Welt der Großen klarkommen und die eigenen Träume gegen alle Widerstände in die Tat umsetzen – oder wenigstens zum Teil. Die Siege und die Niederlagen, das Scheitern und das Gelingen, die peinlichen, schmerzlichen Momente und die Augenblicke des Glücks und des Triumphs. Kurz, Geschichten des Lebens, und die sind mir hundertmal lieber als all das aufgepimpte Popcornzeugs, das zu fünfundneunzig Prozent aus den Staaten kommt und das überhaupt nix mit mir zu tun hat. In Filmen wie diesem aber bekennen sich die Amis dann doch dazu, Menschen wie du und ich zu sein und keine Marvel-Superhelden, und dann muss ich sie fast mögen.
Und „Lady Bird“ ist ein ganz besonders beglückendes Exemplar dieser Gattung, geschrieben und inszeniert von Greta Gerwig, die schon als Schauspielerin sehr in dieser Richtung unterwegs war, und die jetzt ein ganz wunderbares, ganz eigenes und sehr persönliches Werk realisiert hat, einen Film voller Charme und Humor und Gefühl, vor allem Empathie und bedingungsloser Solidarität, einen Film, den auch Jungs genießen können, obwohl er ausschließlich und sehr unmittelbar von Mädchen und ihrer komplizierten Welt erzählt. Und kompliziert ist sie wahrlich, mal himmelhochjauchzend, mal zu Tode betrübt. Lady Bird bietet uns das volle Programm, sie ist eigensinnig, trotzig, zickig, mutig, herausfordernd, ungerecht und wundervoll, alles zugleich, alles in einem Moment, und natürlich können Jungs da nicht mithalten und ihr nicht das bieten, was sie möchte und braucht. Wie viele Mädchen arbeitet sie sich vor allem an ihrer Mutter ab, mit der sie zwischen Konkurrenz und Komplizenhaftigkeit eine typisch ambivalente Beziehung verbindet, und das gilt durchaus für beide Seiten. Marion will natürlich wie alle Mamis nur das Beste für die Tochter, zugleich ist sie eifersüchtig, beneidet sie, trauert eigenen versäumten Chancen nach, kämpft gegen den eigenen Frust, die dauernde Geldmisere und andere Enttäuschungen, und wenn Töchterchen raus in die große weite Welt will, kann es gut sein, dass Mama sie aus reiner Missgunst bremst, jedenfalls in manchem Moment. Gerwig beobachtet diese Momente ebenso hinreißend realistisch wie das Leben an der High School und Lady Birds Versuche, cool und anerkannt zu sein und endlich ihre Unschuld zu verlieren. Umwege und Irrtümer sind dabei unvermeidlich, restlos missglückte Fehltritte ebenso wie romantische Momente, denen leider keine Langzeitwirkung vergönnt ist, denn weder der nette Danny noch der schnöselige Kyle entpuppen sich als glückliche Wahl. Lady Birds Urteilsvermögen ist höchst schwankend, ihre Stimmungen sind es sowieso, und erst aus der Ferne, von New York aus nämlich, ist sie imstande, ihre kalifornische Heimat zu schätzen und anzunehmen. Saoirse Ronan hat hier ihre vielleicht bisher schönste Rolle und sie bietet auch ihre bislang vielleicht beste Darstellung, bis ins Detail fein gezeichnet und immer haargenau nah am Leben dran. Es macht einfach extrem viel Spaß, ihr zuzusehen, aber sie hat auch ganz prima Kollegen an die Seite bekommen, die ihre Rollen mit sehr viel Menschlichkeit ausfüllen.
Sehr geschickt hat Gerwig das sehr private und fast provinzielle Setting mit der großen Politik verknüpft – es ist gerade mal ein Jahr nach 9/11 vergangen, und im TV laufen ununterbrochen Livebilder vom frisch ausgebrochenen Krieg im Irak, zu dem Lady Bird irgendwie gar kein richtiges Verhältnis entwickelt, weil sie wie die meisten anderen hier viel zu sehr mit sich und ihren Befindlichkeiten beschäftigt ist. Es kann gut sein, dass er Umzug nach New York auch hier eine Veränderung bewirken wird.
Ich habe „Lady Bird“ von Anfang bis Ende genossen, für mich ist dies einer der schönsten US-Filme seit vielen Jahren, und ich hoffe sehr, dass Gerwig, deren bisherige Filme als Darstellerin mich gar nicht mal immer so sehr überzeugt haben, diesem fabelhaften Debut als Regisseurin weiteres folgen lassen wird, denn dieser Anfang ist extrem vielversprechend. (24.4.)