Maria Magdalena von Garth Davis. England/Australien/USA, 2018. Rooney Mara, Joaquin Phoenix, Chiwetel Ejiofor, Tahar Rahim, Sarah-Sofie Boussnina, Michael Moshonov, Ryan Corr, Lubna Azabal,  Hada Yaron, Tchéky Karyo, Lior Raz

   Mit der Bibel und dem Kino ist das irgendwie immer schwierig gewesen. Obwohl es doch Stoff in Hülle und Fülle gäbe. Im Konjunktiv wohlgemerkt, denn was ist bisher daraus geworden? Pappige, pathetische Hollywoodepen bis heute. Oder steife, akademische TV-Mehrteiler. Oder merkwürdiges Kasperltheater à la Martin Scorsese. Oder eine fundamentalistische Sado-Maso-Oper à la Mel Gibson. Klar, der eine sticht dann doch heraus, Pasolinis strenge Exegese von 1964 nämlich, doch drumherum wäre mir nichts bekannt, was dem auch nur annähernd gleichkäme.

   Garth Davis hat sich jetzt mal wieder an das Thema herangewagt und hatte auf jeden Fall keinen Murks über Noah oder Moses  oder sonstwas im Sinn. Er nimmt sich die eine Frau vor, deren Rolle in der ganzen Geschichte immer umstritten war, die bereits früh von einem Papst, der es sicherlich ganz genau wusste, zur Hure gestempelt und dann tatsächlich im Jahre 2016 (sic!) rehabilitiert und zum ordentlichen Jünger erklärt wurde. Welch späte Ehre. Die männliche Haltung ist typisch und repräsentativ für mehrere tausend Jahre Kultur- sprich Geschlechtergeschichte: Mistrauen, Verachtung, Angst, Hass und was sonst noch dazugehört. Der Mythos der Maria Magdalena passt leider nur zu genau in diese Schublade, und schon allein deshalb finde ich es ebenso lohnenswert wie spannend, dass jetzt mal der Versuch unternommen wird, an diesem Bild zu rütteln und uns ein anderes Bild zu präsentieren. Die Botschaft, die damit verbunden ist, nehme ich sehr gern zur Kenntnis, auch wenn es zum Heulen traurig ist, dass wir sowas im 21. Jahrhundert scheinbar immer noch gebrauchen. Weit sind wir wahrlich nicht gekommen seit jenen fernen alten Tagen…

   Die Story ist bekannt, oder? Der Weg vom See Genezareth nach Jerusalem, und wie die junge Maria Magdalena sich aus ihrer Familie löst und Teil der Gemeinschaft jenes neuen Rabbis wird, der mit wachsender Gefolgschaft durch das Land zieht und die Ankunft einer neuen Zeit verkündet. Maria wird Gefährtin, Jüngerin, Zeugin der Kreuzigung und auch der Auferstehung, und am Schluss versucht sie, die übrigen Jünger davon zu überzeugen, die Lehre Jesu in seinem Namen weiterzugeben.

   Interessanter fast sind einige der Rezensionen, die ich zu dem Film las, und in denen sich die AutorInnen darüber beschweren, dass der Film leblos, brav, passiv sei und Marias Sexualität überhaupt nicht thematisiere bzw. sie im Dienste einer nur halbherzig feministischen Darstellung unterdrücke. Ich frage mich, welchen Film diese Leute gesehen haben, oder ob sie ihn überhaupt gesehen haben und ob sie in der Lage waren, ihn als das zu sehen, was er ist und nicht als das, was sie gern in ihm gesehen hätten. Natürlich ist dies kein feministisches Manifest und auch keine Exkursion in die biblische Sexualgeschichte und auch keine Abrechnung mit zweitausend Jahren Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Unterdrückung. Wer etwas in dieser Richtung zu sehen wünscht, braucht sich den Film gar nicht erst zu Gemüte zu führen, es sei denn, er oder sie hat auch Interesse daran, solchen Unsinn zu verzapfen, der meilenweit am Gegenstand vorbeigeht.

   Natürlich erzählen Garth Davis und die beiden Drehbuchautorinnen die Geschichte aus der Sicht dieser Frau und versuchen sichtlich, ihren Beitrag, ihre Rolle, ihre Wichtigkeit gebührend herauszustellen und damit auch ein großes Stück der offiziellen Geschichtsschreibung zu revidieren. Sie haben in diesem Sinne viele sehr prägnante und aussagestarke Szenen geschaffen, in denen ihre Maria alles andere als brav oder angepasst handelt, sondern ganz im Gegenteil sehr viel entschlossener, mutiger und konsequenter als die männlichen Jünger, die sich zögerlich verhalten, zaudernd, zweifelnd und der einzigen Frau in ihrer Runde erwartungsgemäß mit misstrauen oder Herablassung begegnen. Sie besteht darauf, den Hungernden in der von den Römern überfallenen Siedlung beizustehen, obwohl Petrus sie dauernd zum Weiterziehen drängt, solange, bis er selbst begreift, worum es ihr geht und dass es gerade darauf ankommt, trotz allem barmherzig zu sein und zu helfen. Und später, während die Jüngergemeinde Auflösungserscheinungen zeigt und sie sich alle am liebsten davonmachen würden, bleibt Maria als einzige vor Ort. Sie wird zusehen, wird Zeugin sein, weil sie anders als die Männer um die Bedeutung dieser Zeugenschaft weiß, als einzige verstanden hat, was Jesus ihr vor seiner Kreuzigung sagte. Auch früher schon zeigt sie ihre Stärke, als sie sich gegen den wütenden Widerstand ihres Vaters und ihrer Brüder aus der Familie löst, gleichsam aus ihrer vorgesehenen Rolle als Ehefrau und Mutter löst, um sich Jesus und den Seinen anzuschließen, wohl ahnend, dass ihr zunächst Feindseligkeit und Misstrauen entgegenschlagen werden – und so geschieht es ja auch. Erst nach und nach gewinnt sie Anerkennung, unter anderem, weil es nun eine von ihnen gibt, die auch zu den Frauen sprechen, sie erreichen, sie einbeziehen kann, wo es zuvor wie gewohnt immer nur um die Männer ging.

   Insofern sehe ich in diesem Film eine sehr starke und deutliche Aussage, die nur nicht so dogmatisch daherkommt und auch keine feministischen Banner vor sich herträgt. Dies ist kein Film der lauten Töne, er ist im Gegenteil getragen, ruhig, meditativ, und obwohl ich normalerweise damit überhaupt nichts am Hut habe, würde ich ihn im positiven Sinne als spirituell bezeichnen. Jesus brüllt seine Lehren nicht laut durch die Gegend, auch die Gräuel der römischen Unterdrücker werden vergleichsweise kurz und dezent gehalten, und wieso hätten sie auch ausgewalzt werden müssen, wo doch wirklich jeder weiß, was geschah (oder was überliefert wurde). Vielmehr erscheint Jesus als in sich gekehrter, sehr ernster, nachdenklicher, oft auch zweifelnder Mann – zweifelnd nicht an seinem Glauben, sondern an den Menschen, deren Aufgabe es ist, diesen Glauben in die Welt zu tragen. Und Maria Magdalena selbst sagt es am Ende nochmal in aller Deutlichkeit: Wir dürfen nicht sitzen und darauf warten, dass die Veränderung von irgendwoher über uns kommt oder dass jemand sie zu uns bringt, es muss aus uns heraus geschehen, wir selbst müssen es tun, sonst wird es nicht passieren. Diese Botschaft markiert den großen tragischen Irrtum der Menschheit, würde ich mal sagen, der heute noch genauso gültig ist wie einst. Immer noch sitzen wir und warten darauf, dass jemand für uns aktiv wird, statt Mut, Kraft und Selbstvertrauen genug zu haben, um selbst für das zu arbeiten, was wir erreichen wollen und woran wir glauben. Ich selbst jedenfalls erkenne mich voll darin wieder, und die Geschichte der Menschen ist bis über den Rand voll mit den traurigen Konsequenzen. Wir reduzieren Jesus gern auf die Rolle des Heilsbringers, und dabei appelliert er immer nur an uns selbst, appelliert daran, dass wir ablassen vom Zorn, von der Bitterkeit. Und all dies wird in diesem Film sehr deutlich und ist ein klares Anliegen der beiden Drehbuchautorinnen, neben dem Thema Maria Magdalena eben.

 

   Künstlerisch hat mir der Film auch sehr gut gefallen – sehr getragen, mit großen Landschaften, ruhig fließender Musik vom Herrn Jóhannsson, der sowas bekanntlich sehr gut kann, und natürlich großartig dargestellt. Besonders Rooney Mara und Joaquin Phoenix finden zu enormer Intensität in ihren Zwiegesprächen, mich jedenfalls hat all das sehr angesprochen. Nach all dem übermäßigen Bibelmurks ist dies jedenfalls mal wieder ein sehr ernsthafter und überaus gelungener Versuch, etwas vom Geist, von der Substanz auf die Leinwand zu bringen, ohne gleich in sperriges Kunsthandwerk zu verfallen. Ein im besten Sinne tiefgründiger Film, der einiges zu sagen hat. (21.3.)