Nico, 1988 von Susanna Nicchiarelli. Italien/Belgien, 2017. Trine Dyrholm, John Gordon Sinclair, Annamaria Marinca, Sandor Funtek, Thomas Trabacchi, Karina Fernandez, Calvin Demba

   Also ehrlich gesagt, ganz so gut wie ich es mir erhofft hatte, finde ich den Film nicht, aber immerhin doch ziemlich gut. Ist zugegeben auch nicht einfach, das Leben der Christa Päffgen in zwei Kinostunden zu verpacken, denn was die Dame in nur fünfzig Jahren hinter sich gebracht hat, ist schon allerhand. Vom strahleblonden deutschen Nachkriegs-Topmodel bis hin zur struppigen, dunkel raunenden Düsterfrau am Harmonium legte sie einen beachtlichen Weg zurück, über Alain Delon, dem angeblichen Vater ihres Sohnes Ari, Andy Warhol, der für sie die Velvet Underground zusammenstellte, die ihr dann doch keinen Entfaltungsspielraum zuerkannten, bis hin zu diversen Filmkünstlern, denen sie als schöne Muse diente. Dazu anderthalb Jahrzehnte schwerste Heroinsucht, ein auch sonst eher selbstzerstörerischer Lebensstil. rastloses Umherziehen in der Welt, künstlerisch radikale und gewagte LP-Veröffentlichungen, deren wegweisender Einfluss mittlerweile allgemein anerkannt ist - außer in unserem schönen Lande natürlich, aber wir tun uns bekanntlich schwer mit solch schillernden Künstlern. Drone, Gothic, Post-Punk und was weiß ich noch alles werden ihr zugeschrieben, und ob einem solch exzentrische Aufnahme wie die frühen Sachen mit John Cale nun gefallen oder nicht, man kann auf jeden Fall sagen, sie waren ihrer Zeit meilenweit voraus und ihr Einfluss lässt sich seit Jahrzehnten auf ganz verschiedenen Gebieten hören. Ein wahrer Kultstar, rätselhaft, abgründig, widersprüchlich. Um es auf die Spitze zu treiben, wird ihr regelmäßig eine rassistische, antisemitische Haltung nachgesagt, und wenn sie auf ihren LPs das Lied der Deutschen oder die Nibelungen zum Besten gibt, so ist das ja wohl zumindest recht zwiespältig und lädt zu allerlei Deutungen ein.

   Damit hält sich Susanna Nichiarelli nicht auf. Schade eigentlich. Sie konzentriert sich auf die letzten drei Jahre in Nicos Leben, also ab1986 bis zu ihrem Unfalltod auf Ibiza im Sommer 1988. Wir sehen eine abgerissene, zumeist in schludrigem Schwarz gekleidete, sichtlich verschlissene Frau, zermürbt von der Sucht und der Sehnsucht nach ihrem Sohn, der mit tatkräftiger Unterstützung durch die Junkiemama ebenfalls drogenabhängig geworden ist, viel unterwegs in Europa mit einer kleinen Band, mal auch jenseits des Eisernen Vorhangs, mal auch unter recht abenteuerlichen Umständen. Sie hat einen Manager, der ihr treu und freundschaftlich zur Seite steht, und sonst ist da wenig, was ihr Halt geben könnte. Die Finanzen sind mager, innerhalb der Band gibt‘s natürlich auch Reibereien, das Leben on the road ist anstrengende, die Konzerte sehr verschieden, je nach Nicos Befindlichkeit. Mal erwischt sie einen brillanten Abend, dann pöbelt sie vor versammelter Kulisse ihren Gitarristen an, der auf turkey ist wie sie und falsch spielt. In Prag in einer versteckten location singt sie sich die Seele aus dem Hals, einen Abend später kann es sein, dass sie mitten im Konzert von der Bühne stürmt. Sie ist längst über den Punkt hinaus, wo es sie tangiert, wenn ihr Verhalten aneckt oder sie sich gar Sorgen um ihren Ruf macht. Sie hat sich ihr Selbstbewusstsein als Künstlerin bitter hart erarbeitet, und die ewig gleichen Fragen nach Velvet Underground und Lou fucking Reed nerven sie nur noch. Sie will nicht an den alten Zeiten gemessen werden, sondern an dem, was sie jetzt tut, wer sie jetzt ist, denn nicht umsonst hat sie das Image des blonden Modellengels radikal abgestreift und sich in jeder denkbaren Beziehung davon distanziert.

 

   Ganz ähnlich scheint es übrigens auch der Regisseurin zu gehen – sie verzichtet sehr angenehm auf all die vielen kleineren und größeren Klatsch- und Dramaepisoden aus Nicos Leben, streut höchstens mal ein paar blitzartige Schnipsel aus den Factory-Jahren ein und hebt gelegentlich auf Nicos Kindheit im oder in der Nähe des zerbombten, brennenden Berlin. Hier liegt eine direkter Linie in die Gegenwart, denn das mobile Aufnahmegerät, das sie ständig mit sich schleppt, dient ihr dazu, jenem ungreifbaren Laut nachzuspüren, den sie einst in den Kriegsnächsten in Berlin vernahm und das sie seitdem nicht losgelassen hat. Ansonsten gräbt Nichiarelli nicht allzu tief, was manchmal wie schon gesagt positiv ist, manchmal aber auch nicht, denn ein so komplexer Charakter verdient durchaus etwas mehr Auslotung, ohne dass man gleich in die Psychokiste greifen müsste. Anhand zahlreicher Momentaufnahmen aus den späten Jahren entsteht schon ein gewisses Porträt, das auch keineswegs oberflächlich ist, ich persönlich hätte aber vielleicht gern noch ein wenig mehr an die Hand bekommen, um den Menschen Nico besser kennen und verstehen zu lernen. Alles eine Frage der Erwartung, des Anspruchs, ist klar. Jenseits dessen allerdings liegt die Performance der Trine Dyrholm, die wahrhaft spektakulär ist und den Kinobesuch allemal schon lohnt. Es braucht sowieso eine Klasseschauspielerin wie sie, um diesen Part anständig und in Würde zu bewältigen, doch mit welcher Kompromisslosigkeit, Energie und Wucht sie sich buchstäblich reinschmeißt, ohne dabei die Distanz und den Respekt für die Porträtierte abzulegen, das sehe ich wirklich nicht oft und das hat mich mächtig beeindruckt, ganz zu schwiegen von ihren Gesangsdarbietungen. Die Idee, sie zu besetzen, war eindeutig die beste an dem Film, der wie gesagt nicht ganz das bringt, was ich mir gewünscht hatte, der aber wenigstens auch sehr weit entfernt vom gefälligen, biederen Biopic ist, wie es momentan vorherrschend ist. Die Frau wird mit all ihren Ecken und Kanten so gezeigt und gelassen, wie sie ist, sie spricht und singt für sich selbst, muss sich keiner Psychotherapie unterziehen und keine Nabelschau veranstalten, und das hat mir natürlich auch gefallen. Ich werd mal sehen, ob ich den alten Dokumentarfilm „Nico Icon“ irgendwo ausgraben kann, nur so zum Vergleich… (8.8.)