Nur Gott kann mich richten von Özgür Yıldırım. BRD, 2017. Moritz Bleibtreu, Birgit Minichmayr, Edin Hasanovic, Kida Khodr Ramadan, Franziska Wulf, Peter Simonischek, Alexandra Maria Lara, Tim Wilde
Yo, Digger, das echt fette Gangsterbrett vom Main, ich schwöre! Fast ein Jahrzehnt nach seinem starken Debut „Chiko“ hat Mister Yıldırım kurzerhand die Tapeten gewechselt und ist von der Wasserkante runter nach Frankfurt gezogen, aber eigentlich ist alles beim Alten geblieben: Ein raues Gangsterdrama mit deutlichen Anleihen beim US-amerikanischen und französischen Genrefilm, blutig, tragisch, fatalistisch, mit anderen Worten, echtes Männerkino, also Mädels, ihr hakt euch jetzt mal schön ein und dreht ne Runde um den Block, okay? Stille, harte Kerle, die tun, was sie tun müssen, die ihrem Schicksal niemals entgehen, die auch darum wissen und Manns genug sind, ihr Ding durchzuziehen, ihren Weg bis zu Ende zu gehen. Yo, Digger, so is das halt.
So wie bei Ricky. Hat grad einige Jahre hinter Gittern verbracht, kommt raus, schwört (ey, ich schwöre!), dass er nie wieder was mit der ganzen Scheiße zu tun haben will, hat aber einen Traum von ner Kneipe auf ner spanischen Insel, und dafür braucht man bekanntlich Kohle, naja, und die liegt bekanntlich nicht auf der Straße. Also haut er seinen alten Bruder Latif an, mit dem er früher die Dinger durchgezogen hat, und Latif sagt, hey Bruder, ich hab selbst kaum Kohle, aber ich hab ein Ding in Aussicht, da sind für jeden von uns fünfundzwanzigtausend drin. Da geht’s darum, zwei Albaner zum Schein abzuziehen und ihnen eine Tasche Heroin abzunehmen. Offenbar haben Ricky und Latif noch nie einen Gangsterfilm gesehen, sonst wüssten sie ja wohl, dass Albaner immer immer immer Ärger bedeuten, und so rennen die beiden offenen Auges in ihr Verderben. Zu allem Überfluss wird Latif vorübergehend von der Polente aus dem Verkehr gezogen, und Ricky muss improvisieren, und also muss er seinen jüngeren Bruder Rafael um Hilfe bitten. Rafael, der beim letzten Ding der beiden dabei war und sich ordentlich was eingefangen hat, will zunächst absolut nichts davon hören, denn auch er hat geschworen (ey, ich schwöre!), nie wieder was mit der ganzen Scheiße zu tun zu haben, und obendrein hat er ne Freundin, Elena, die er heiraten will, und die ihm klar gesagt hat, überleg‘s dir, Arschloch, entweder ich oder deine Gangsterfreunde. Naja, man weiß aber schon, wie das ausgeht, Blut ist dicker als Wasser und so weiter, Ricky kriegt Rafael rum, und so nimmt das Unheil seinen Lauf. Denn es ist auch noch ne weitere Person involviert, eine Polizistin namens Diana, die hat ne kleine Tochter mit schwerem Herzfehler und dafür braucht’s ne teure Spende, und dafür ist Diana schon mal bereit, das Gesetz zu übertreten. Und so geschieht es, dass die Aktion mit Ricky und Rafael ein wenig aus dem Ruder läuft und ihr die Tasche mit dem Heroin förmlich vor die Füße fällt, und sie schnappt sie sich und versucht nun, das Zeug zu verticken. Ricky und Latif, denen die Tasche also abhandengekommen ist, stehen nun mächtig unter Druck, denn die Albaner machen ihnen klar, was passiert, wenn das Zeug nicht binnen zweier Tage wieder bei ihnen gelandet ist. Is nur Business, klar, Digger. Also, Ricky will den Stoff mit allen Mitteln wieder herschaffen, Diana will das Zeug verkaufen, Rafael will eigentlich keinen Ärger, und Latif weiß, was passiert, wenn er und Ricky nicht liefern können. Diese Brühe kocht am Schluss so richtig hoch, und dann sind insgesamt fünf Männer tot und die Frauen, die ja sowieso immer schlauer sind, leben noch, aber Diana hat ihr Kind in einer Schießerei verloren, und ihr Leben macht deshalb keinen Sinn mehr. Nur Elena wird eine Zukunft haben, denn sie trägt Rafaels Kind in sich.
Das ist alles gar nicht neu, das ist alles auch weitgehend vorhersehbar, das ist alles auch vielfach reichlich konstruiert, aber Yıldırım hat den Film einfach mit soviel Kraft und Überzeugung inszeniert, dass er mir trotzdem ziemlich gut gefallen hat. Dieses ganze Männergetue, diese ganze scheinbar so unvermeidbare Gewaltspirale, dieser ganze Schicksalsquatsch, das befremdet mich in jedem Gangsterfilm, aber so sind die halt. Das ist zum Teil auch ziemlich pathetisch, und ich für meinen Teil frage mich ständig, wieso es so unmöglich sein soll, aus diesem Kreislauf von Kriminalität, Gewalt und gegenseitiger Abhängigkeit und Verpflichtung auszusteigen, aber was verstehe ich schon von echten Männern und ihren Geschäften. Business, Digger. Hat seine Gesetze, und niemand entkommt. Diana versucht, mit eigenen Regeln zu spielen und büßt furchtbar dafür. Ricky, Rafael und Latif kennen die Gesetze, leben mit ihnen und ergeben sich irgendwie in ihr Schicksal. Wenn Ricky zum finalen Shoot-out in die Kneipe geht, weiß er genau, dass er da nicht lebend rauskommen wird, aber er weiß auch, dass er all die anderen miesen Schweine mit in den Tod nehmen wird. Dass er eigentlich kein so schlechter Kerl ist, merken wir in den Szenen mit seinem demenzkranken Vater, an dem er ziemlich verzweifelt, den er aber eigentlich auch nicht aufgeben will. Er hat Familiensinn, er will ein normales, bürgerliches Leben führen, doch dann sind da halt die Gesetze. Die Franzosen haben diese Art von Fatalismus bis zum Exzess zelebriert (Melville allen voran), haben diese Welt erschaffen, die kein Aussteigen erlaubt, die keine Gnade kennt, die nur Gesetze und ihre Konsequenzen kennt. Die Männer bewegen sich in dieser Welt fast wie Schlafwandler, jene, die aufbegehren, werden gerichtet, genau wie jene, die nach den Regeln spielen. Gewinner gibt es nicht, kann es nicht geben. Das ist so im L.A. der 40er und 50er, das ist so im Paris der 50er und 60er und das ist so im Hamburg der 2000er und auch im Frankfurt dieser Zeit. Herausgekommen ist ein von der tollen Besetzung exzellent gespieltes, stimmungsvoll, hart und temporeich inszeniertes Gangsterdrama, das einmal mehr zeigt, dass die Deutschen durchaus Genre können und es gern auch häufiger tun sollten. (20.2.)