Styx von Wolfgang Fischer. BRD/Österreich, 2018. Susanne Wolff, Gedion Oduor Wekesa

   Die Ärztin segelt allein mit ihrer „Asa Gray“ von Gibraltar über den Atlantik in Richtung Ascension Island irgendwo im Nirgendwo mitten zwischen den Kontinenten. Sie will sich diese Insel ansehen, die einst von Darwin zu einer Art Garten Eden umgestaltet werden sollte. Vor der senegalesischen Küste wird sie von einem Tanker in der Nähe darauf aufmerksam gemacht, dass schweres Wetter heraufzieht, und hat so Zeit genug, sich darauf vorzubereiten und den nächtlichen Sturm zu überstehen. Am nächsten Morgen sieht sie nahebei ein Schiff auf dem Meer treiben, einen alten Fischtrawler, der offensichtlich beschädigt ist und randvoll mit Flüchtlingen. Ihr Notruf landet bei der Küstenwache, die sie streikt anweist, fernzubleiben, sich nicht dem Boot zu nähern, um Panik zu vermeiden, und auf Hilfe zu warten. Doch zehn Stunden später ist noch immer keine Hilfe eingetroffen, sie sieht Menschen ins Wasser springen und ertrinken, und als ein Junge auf ihre Yacht zugeschwommen kommt, ist ihr klar, dass sie nicht länger außen vor bleiben kann.

   Die letzte Einstellung erzählt die ganze Geschichte, sozusagen das ganze Scheißelend unserer Zeit: Der gelähmte, traumatisierte, geschockte, hilflose Blick der westlichen Welt im Angesicht der humanitären Katastrophe, die sich tagtäglich vor unseren Augen abspielt und für die wir keine Lösung finden. Oder finden wollen, je nachdem. Das Gesicht der Ärztin spiegelt unsere eigene Ratlosigkeit, unsere Apathie, vielleicht auch unser schlechtes Gewissen, denn wir wissen ja durchaus, dass tief unter all dem aktuellen Wahnsinn die Ursache für die ganze Misere zumindest zu einem bedeutenden Teil in der europäisch-afrikanischen Geschichte zu finden ist, was die Haltung der Europäer nur noch empörender macht. Aber Empörung ist eigentlich kein Thema hier, moralische Appelle werden nicht formuliert, es bleibt uns eher ein tiefes, böses Unbehagen erhalten, zumal das Ende sehr offen ist und zwar auf eine unschöne Art, denn einer der Uniformträger deutet an, dass die deutsche Ärztin gar Teil einer Ermittlung sein könnte, und so ist völlig unklar, was mit ihr geschehen wird und darüber hinaus, wie sie das Erlebte verarbeiten wird. Zunächst die Begegnung mit dem einen Jungen, der zu ihrer Yacht rüberschwimmt und dabei fast schon stirbt, und der sie später mit seinem dringenden Appell, seinen unberechenbaren Aktionen und seiner verzweifelten Wut irritiert und aufrüttelt. Dann die Funkgespräche mit der Küstenwache und einem Frachter in der Nähe. Die einen verschanzen sich hinter vorgeschriebenen Abläufen und wollen sie einfach aus dem Weg haben, lassen andererseits mindestens einen Tag verstreichen, bis überhaupt mal was passiert. Die anderen verschanzen sich hinter Regeln des Konzerns, und die verbieten es dem Kapitän natürlich, die Route zu ändern, um Menschenleben zu retten, denn Zeit ist Geld und so weiter. Die Seglerin sieht sich vollkommen alleingelassen, ist aufgebracht, zornig und weiß gleichzeitig, dass sie allein niemals richtig helfen könnte, denn an Mord sind hunderte von Menschen, die eine ganz andere Sorte Hilfe benötigen. Also was tun? Einfach fortsegeln und hoffen, dass wie versprochen irgendwann Hilfe kommt, scheint keine Option, zumal ständig Menschen über Bord gehen, ertrinken und in akuter Gefahr sind. Eine internationale Hilfsgemeinschaft gibt es nicht, oder wenn, reagiert sie mit bürokratischer Trägheit sprich Gleichgültigkeit. Der Einzelne kann im Grunde auch nichts tun, kann im Gegenteil noch mehr Schaden anrichten, denn indem sie sich mit ihrem Boot nähert, macht sie den Menschen dort Hoffnung auf eine Hilfe, die sie nicht leisten kann. Ein unlösbares Dilemma also, und indem die Seglerin dies erkennt, stürzt sie in eine tiefe Krise. Zusätzlich setzt ihr zu, was sie letztlich an Bord des Trawlers sieht, sterbende oder tote Menschen, die von der Küstenwache mit routinierter Effizienz abtransportiert werden – einfach nur ein paar tote Flüchtlinge mehr.

   Susanne Wolffs sehr eindrucksvolle Darstellung macht den Prozess, den die Seglerin durchmacht, perfekt deutlich: Zunächst eine starke, selbstbewusste Frau, kompetent im Beruf, und als Einhandseglerin scheinbar sehr erfahren, bestens organisiert und souverän. Es wird bewusst viel Zeit darauf verwendet, ihre Handhabung des schnittigen Bootes zu verfolgen, uns zu zeigen, wie sehr sie in dieser Welt zuhause ist, wie cool und überlegen sie den weiten Trip ganz allein durchzieht und das Abenteuer sichtlich genießt. Später dann erleben wir gemeinsam mit ihr, wie sie diese Souveränität schrittweise verliert, mit einer Situation konfrontiert wird, die sie nicht bewältigen, nicht verarbeiten kann. So mischt sich in das Drama der afrikanischen Flüchtlinge dann doch auch ein privates Drama, das Drama einer Frau, die nicht weiß, was sie tun soll, die keine Antworten auf die Fragen des afrikanischen Jungen hat.

 

   Spröd und wortkarg, brillant fotografiert und zuletzt verstörend und beunruhigend, ist dies ein schwieriger Film zu einem mehr als schwierigen Thema, das hoffentlich noch häufiger Einzug im Kino finden wird – eigentlich finden muss. (13.9.)