The death of Stalin von Armando Iannucci, England/Frankreich, 2017. Jeffrey Tambor, Steve Buscemi, Simon Russell Beale, Andrea Riseborough, Michael Palin, Jason Isaacs, Rupert Friend, Paddy Considine, Olga Kurylenko, Adrian McLoughlin

   Aus Gründen, die mir noch nie einleuchteten, wird Stalin selten in einem Atemzug mit Hitler genannt. Erst recht nicht hierzulande, weil dann immer gleich der Eindruck entsteht, man wolle Hitlers Verbrechen verharmlosen, wenn man Stalin und ihn auf eine Stufe stellt. Alle Fakten sprechen zwar dafür, aber wenn es um die Verkörperung des Bösen, Wahnsinnigen geht, wird Hitler immer zuerst genannt, und dabei hat Stalin mindestens genauso viele Menschenleben auf dem Gewissen, war zweifellos genauso wahnsinnig, grausam, paranoid wie Hitler. Oder nicht?

   Leider kommen aus Russland so wenige Filme zu uns rüber, und ich kann mich überhaupt nur an einen einzigen erinnern, einen georgischen, dessen Namen ich leider vergessen habe, der sich überhaupt mal mit Stalin auseinandersetzt. Entweder liegt es an unserer limitierten Kinoszene oder daran, dass Stalin und seine Verbrechen in Russland nach wie vor tabu sind. Schön also, dass es nun solch einen Film gibt, eine westliche Produktion, die sich dem ganzen Horror mit den Mitteln einer makabren, wilden Farce nähert, vermutlich eine der wenigen vernünftigen Methoden, denn wie sollte man Stalins Großen Terror auch nur halbwegs angemessen abbilden, wenn man die Zuschauer nicht nach fünf Minuten aus dem Kinosaal treiben will. Klar, wie bei einschlägigen Hitler-Filmen wird auch dieser hier diejenigen auf den Plan rufen, an fragen, ob man das Grauen der Lächerlichkeit preisgeben darf. Die Antwort, die „The death of Stalin“ sehr nachdrücklich und überzeugend gibt, ist eindeutig: Yes, we can!

   Bevor Stalin endlich den Löffel abgibt, bringt er nochmal ein paar Leute richtig ins Schwitzen, vor allem den Leiter der staatlichen Rundfunkstation, die soeben ein Klavierkonzert von Mozart gesendet hatte und den er telefonisch fragt, ob er eine Aufnahme der Aufführung haben könne. Und da nicht mitgeschnitten wurde, muss der ganze Käse kurzerhand nochmal gespielt werden und müssen in aller Eile ein paar Leute von der Straße gekratzt werden, damit der Saal wieder voll wird und feierliche Liveatmosphäre entsteht. Ins Schwitzen geraten auch die Herren Malenkow, Bulganin, Beria und Chruschtschow, die am Abend vor Stalins Tod vom Alten noch mal richtig rundgemacht werden und folglich unmittelbar um ihr Leben fürchten müssen, genauer gesagt darum, auf einer der vielen Todeslisten zu landen, die Beria seinen Erschießungskommandos täglich aushändigt. In diesem Stil geht es dann weiter. Denn nach Stalins Tod kommen die Leute erst recht ins Schwitzen. Das Volk draußen absolviert die letzten Rituale des Personenkults um den Diktator und weiß ansonsten noch nicht so recht, was es von allem halten soll und vor allem, wer oder was als nächstes kommt. Darum entbrennt nämlich im inneren Kreis der Führungselite ein bizarres Ringen, dem der eine oder andere zum Opfer fällt, zum Beispiel Beria, der barbarische Geheimdienstchef, der kurzerhand erschossen und zu Asche verarbeitet wird. Nikita steht natürlich in vorderster Reihe, doch hat er heftige Konkurrenz durch den bärbeißigen Weltkriegshelden Schukow und vor allem durch den stockigen Malenkow, der sich zunächst als etatmäßiger Nachfolger Stalins in Position bringt, doch nach und nach dem energischen, tatkräftigen Chruschtschow weichen muss, bis er schließlich zwei Jahre darauf 1955 endgültig entmachtet wird. Nikita steigt auf den Thron hat wird den Platz an der Sonne für knapp zehn Jahre innehaben, bis ihn Breschnew beerbt, der ihm bereits die ganzen Jahre im Nacken gesessen hatte. Außerdem mischen bei alledem noch die beiden Kinder Stalins mit, namentlich die Tochter Svetlana, die ihren lieben Pappi hysterisch betrauert, und Sohnemann Vasily, der dem Wodka und dem Lotterleben verfallen ist und auf der Beerdigung eine gruselig lange Rede vom Stapel lassen will.

    Ein grotesker Affenzirkus, ein erbärmliches Haifischbecken, eine skurrile Freakshow schwitzender älterer Herren, die viele viele Menschenleben auf dem Gewissen haben, die über fünfundzwanzig Jahre lang nur damit beschäftigt waren, ihr klägliches eigenes Leben zu erhalten, koste es, was es wolle, und die nun ganz schnell wieder ihre alten Machtreflexe wiederbeleben müssen und auf Teufel komm raus intrigieren, manövrieren, manipulieren, kalkulieren. Das würde uns diebischen Spaß bereiten, wenn der Hintergrund nicht so fürchterlich wäre, und so ist unser Lachen das Lachen des Entsetzens. Beria die Bestie foltert lustvoll, in seinen Folterkellern wird pausenlos exekutiert, niemand ist sicher vor der Liste und den Brigaden, die Nacht für Nacht unterwegs sind, um „Gegner“ des Regimes abzuholen und dem Erschießungstod zuzuführen. Die schwitzende Machtelite weiß all dies, macht nach Kräften mit, letztlich auch, um Privilegien und das eigene Leben zu sichern. Stalin krepiert in einer großen Pisslache, und kein Arzt ist zur Hand, der ihm helfen könnte, weil alle guten Ärzte liquidiert wurden aufgrund einer fingierten Vergiftungsverschwörung. Das Gerangel um die Macht, das augenblicklich danach losgeht, ist zugleich heillos lachhaft, erschütternd komisch und auch zum Verzweifeln real, denn so oder so ähnlich geht es natürlich auch heute noch zu, wie man weiß. Wenn es um Macht geht, macht der Mensch vor nichts und niemandem halt. Das haben die Menschen in sechsundzwanzig grauenvollen Jahren voller Hunger, Not, Willkür, Terror, Gewalt und Mord gelernt, diese Lehre haben sie nachhaltig verinnerlicht und umgesetzt. Und so ist dieser Film, auf der einen Seite markerschütternd lustig und auf der anderen Seite markerschütternd traurig, denn er erinnert und wieder und wieder daran, dass der Gegenstand dieser giftigen Satire alles andere als leicht oder lustig ist. Umso entschlossener gehen Regie, Drehbuch und die fabelhaften Akteure zu Werke, karikieren und überziehen aus Leibeskräften, haben vor nichts Respekt und machen vor niemandem Halt, und genau das macht „The death of Stalin“ zu einer solch wirkungsvollen Politgroteske. Es ist alle andere als wichtig, dass jedes historische Detail stimmt, es ist nur wichtig, dass der Geist, der damals dort herrschte, akkurat abgebildet wird, und das gelingt in jedem Fall mithilfe garstiger Polemik und genussvoller Verhöhnung. Das ist kein leichter Film und auch kein leichtes Lachen, aber es wird höchste Zeit, dass der Stalin endlich auch mal an den Pranger kommt.

 

   Und natürlich müssen das die Wessis machen, denn, und das gibt dem Ganzen noch einen schön bösen Beigeschmack: Der Film wurde in Russland sofort verboten. Wie immer kann die Wirklichkeit locker mit der Fiktion mithalten… (10.4.)