Den skyldige (The Guilty) von Gustav Möller. Dänemark, 2018. Jakob Cedergren, Jessica Dinnage, Johan Olsen, Omar Shagarwi, Jacob Hauberg Lohmann
Asger Holm ist Polizist in Kopenhagen und hat Probleme: Seine Frau lebt offenbar nicht mehr bei ihm, und kürzlich hat er im Einsatz einen jungen Mann erschossen und wartet nun auf die Anhörung, die klären soll, ob er sich korrekt verhalten hat, oder der Tod des Mannes hätte vermieden werden können. Entsprechend angespannt versieht er seinen Abenddienst in der Notrufzentrale und entsprechend gereizt reagiert er auf verschiedene schräge Leute am Telefon. Doch dann hat er eine Frau an der Strippe, die wirklich in Not zu sein scheint. Sie heißt Iben und wird offenbar von ihrem Ex-Mann in dessen Wagen entführt. Zuhause sind noch zwei kleine Kinder. Asger spricht mit der sechsjährigen Tochter, versucht auch, mit Michael, dem Ex-Mann Ibens in Kontakt zu kommen, er ruft Kollegen aus anderen Dienststellen an und schickt auch seinen Partner los, mit der er morgen vor den Ausschuss treten muss. Ein böses Familiendrama kommt langsam ans Licht, und Asger muss zudem erkennen, dass ihn seine Emotionen zunächst in eine fatal falsche Richtung gelenkt haben.
Am Ende des Abends wird ein Baby tot sein, getötet allerdings von der Mutter und nicht vom Vater, wie Asger lange glaubte, und die offenbar psychisch gestörte Mutter kann davon abgehalten werden, sich von einer Brücke auf die Autobahn zu stürzen. Ager hat ein paar Grenzen übertreten und seine Befugnis mehr als einmal dazu, doch er hat immerhin die Frau gerettet, während der Tod des kleinen Jungen schon vor dem ersten Anruf stattgefunden hat und nicht hätte verhindert werden können. Auch sonst scheint dieses äußerst dramatische Erlebnis einiges in Asger verändert zu haben - zum Beispiel macht er seinem Partner am Telefon klar, dass der morgen nicht für ihn zu lügen braucht, und überhaupt sieht es so aus, als sei er entschlossen, sich von der einen oder anderen unheilvollen Struktur zu lösen. Er braucht unbedingt mal wieder ein positives, ein Erfolgserlebnis, hängt sich deshalb voll und ganz in diesen einen Fall hinein, nicht immer zum Guten der Beteiligten, er übernimmt Verantwortung und ist wild entschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, gegen jeden Widerstand, jede Ermahnung und manchmal auch jede Vernunft. So stehen sich also zwei sehr spannende und eng miteinander verbundene Geschichten gegenüber, einmal die Geschichte von Iben und Michael und ihren Kindern und zum anderen die Geschichte von Asger, der am Telefon versucht zu retten, was zu retten ist, indirekt damit auch sich selbst und seine Selbstachtung. Stark, wie Autor/Regisseur Gustav Möller diese beiden Ebenen zusammenlaufen lässt und die Dramaturgie geschickt in er Balance hält. Stark auch, wie effektvoll Jakob Cedergrens zurückgenommenes, sehr auf kleine Nuancen fußendes Spiel mit den vielgestaltigen Telefonstimmen kontrastiert. Stark ist aber vor allem, wie intensiv und spannend dieser Film ist, reduziert auf einen einzigen Raum im Polizeigebäude und auch neunzig Minuten, in denen das ganze Drama abläuft. Wie wirkungsvoll die Wendungen in der Geschichte präsentiert werden und wie wirkungsvoll das Thema Zwischenmenschlichkeit in die Geschichte einfließt, ohne dass hier jemals überdeutlich mit Zaunpfählen gewunken wird oder sonstige Plattitüden bemüht werden müssen. In seinem verbissenen Eifer, etwas gutzumachen, etwas zurück zu geben, riskiert Asger Kopf und Kragen, erst recht, weil er die Situation gar nicht richtig einschätzen und überblicken kann, denn er ist nur der Mann am Telefon und wird mehrmals darauf hingewiesen. Andererseits hat der in der Notrufzentrale die Fäden in der Hand, kann die verschiedenen Beteiligten koordinieren und schnell Kontakt herstellen, während sich die anderen Behördenteile eher schwerfällig anstellen und den Ernst der Lage überhaupt nicht erkennen. Auf diese Weise ist Asgers starke emotionale Beteiligung Gefährder und Katalysator zugleich, und auch diese Dualität wird toll herausgearbeitet, auch in den Reaktionen, die Asger von verschiedener Seite auf sein fieberhaftes Drängen erhält. Und auf einer ganz anderen Ebene nehmen wir auch genauso intensiv teil an der Geschichte von Iben und ihrer Familie, die ganz andere Abgründe offenbart.
Ein Musterbeispiel für einen Film, der mit minimalem Aufwand maximalen Eindruck machen kann, einfach weil er aus seinen Vorgaben das Optimale herausholt, seine Themen konzentriert präsentiert und in der filmischen Umsetzung nie mehr macht, als notwendig ist, und gerade der Verzicht auf Effekthascherei hebt „The guilty“ von anderen ähnlich konzipierten Machwerken positiv ab. (25.10.)