Transit von Christian Petzold. BRD/Frankreich, 2018. Franz Rogowski, Paula Beer, Godehard Giese, Lilien Batman, Maryam Zaree, Barbara Auer, Matthias Brandt

   Auch einen Tag später bin ich noch nicht recht im Reinen mit mir, wie ich den neuen Film von Christian Petzold einschätzen soll. Ich mag diesen Regisseur ja sehr, vor allem seine ruhige, bestechend klare Bildsprache, die auch „Transit“ auszeichnet und einer der großen Pluspunkte des Films ist. Ein weiterer sind die brillanten Darsteller, allen voran Rogowski und Paula Beer, die eine enorme Chemie entwickeln und ihre gemeinsamen Szenen zu einer hoch intensiven Liebesgeschichte verdichten. Ein dritter Pluspunkt ist die bei Petzold gewohnte Kunst, bei aller spröden Zurückhaltung magische Kinomomente zu schaffen, und das kann wirklich nicht jeder. Also hat es sich für mich in jedem Fall gelohnt, „Transit“ zu sehen, doch je länger ich im Nachhinein über den Film nachdachte und mir von da und dort nochmals einige Details in Erinnerung rief, desto un-stimmiger erschien er mir und mein Urteil neigte sich zunehmend ins leicht Negative, was mir direkt während des Zusehens noch nicht so in den Sinn gekommen wäre.

   Petzold hat den Roman von Anna Seghers aus seinem historischen Zeitbezug gelöst, lässt seine Version in der Gegenwart, oder besser wohl einer Gegenwart, spielen, und aus den deutschen Besatzern sind ganz allgemein die „Faschisten“ geworden, die nun Frankreich Schritt für Schritt besetzen und überall ihre „Säuberungen“ veranstalten. Das Personal und die grobe Handlungsstruktur wurden weitgehend übernommen, gegebenenfalls leicht verändert, aktualisiert oder für die Spielfilmlänge gerafft. Das fand ich soweit okay und auch gut umgesetzt. Doch die oben angesprochene, sehr tiefgreifende Abwandlung, hat mich bei ausführlicherem Nachdenken doch ziemlich befremdet, weil sich mir der Sinn nicht so ganz erschließen will. Wir erleben eine Geschichte zwischen Flüchtigen, Entwurzelten, Heimatlosen auf der Suche nach einer Zukunft und auf der Flucht vor einer Diktatur. Dieses Element hat Petzold noch gut in seinen Film hinübergerettet, doch die Frage, wieso er den konkreten Kontext beiseitegelassen und die Geschichte eher auf eine abstraktere Ebene verlegt hat, wird für mein Empfinden nicht zwingend beantwortet. Zumal das Motiv der rastlos Reisenden, Wartenden nicht in jedem Fall überzeugend entwickelt wird und zumal eine Geschichte, die so aus ihrem eigentlichen Zusammenhang geholt wird, leicht zur Allegorie, zum Sinnbild wird, und das kann dann schon mal etwas prätentiös wirken. Außerdem hat Petzold immer wieder irritierende Anachronismen eingebaut, deren Sinn sich mir nicht recht erschlossen hat. Das Motiv des Transits, des Ausreisevisums, das Warten im Konsulat, in der Botschaft, all das kommt mir merkwürdig unzeitgemäß vor, wirkt in diesem Kontext irgendwie unrealistisch. Der Schriftsteller und seine Schreibmaschinenblätter, die Hotelinterieurs, all das verweist auf eine länger zurückliegende Zeit, so als habe Petzold das Ganze vorsätzlich in der Schwebe, im Unklaren halten wollen. Etwas, das mir persönlich nicht besonders liegt und mich in der Regel davon abhält, einer Geschichte emotional folgen zu können. Wie gesagt, die tollen Darsteller und Petzold Regiekunst haben vieles wieder ausgeglichen, doch hier und das bleibt eine Irritation, die keinen mir ersichtlichen Zweck verfolgt. Wollte Petzold allen Verfolgten aller Zeit ein Denkmal setzen? Oder eher eine unerfüllte Liebesgeschichte unter Verfolgten erzählen? Handfestes Drama wechselt ab mit eigenartigen, zum Teil auch recht reizvollen Schwebezuständen, einige verschwinden aus Marseille und gehen rauf ins Gebirge, andere stürzen sich zu Tode, die meisten nehmen ein Schiff nach Mexiko oder sonstwohin, wieder andere bleiben in der Stadt, wohl wissend, dass auch hier bald die „Säuberungen“ beginnen werden, entweder aus Fatalismus oder aus Besessenheit. Paula Beer liefert das faszinierende Porträt einer rastlos und obsessiv Suchenden, die sich vollkommen in dieser Suche verliert, wobei sie nicht zulassen will, dass der Mann, den sie sucht, längst gestorben ist. Franz Rogowski ist der Umherziehende, der seine Identität Schritt für Schritt aufgibt, in anderen Identitäten auflöst und der vor allem jegliches persönliche Ziel aus den Augen verliert, bis er sich schließlich selbst einer Obsession hingibt, dem Warten auf die Frau nämlich, obwohl auch die ziemlich wahrscheinlich nicht mehr lebt, mit dem Dampfer untergegangen ist. All dies scheint weniger unter äußerem Druck zu passieren als bei einigen anderen Personen, die verzweifelt auf einen Passierschein warten, manche solange vergeblich, dass sie alle Hoffnung verlieren.

   Wirkliches Drama stellt sich aber nur selten ein, eben weil die Erzählung im Ungefähren mäandert. Auch einige andere Entscheidungen Petzolds sind merkwürdig. Wir hören Hanns Dieter Hüschs „Abendlied“, einen poetischen, melancholischen Text über das Nachhausekommen und das Zurruhekommen und die Sehnsucht nach dem Geborgensein, der dennoch etwas fremd wirkt, wenn er hier einem Migrantenjungen aus dem Maghreb vorgebrummelt wird. Und zum Abspann singt David Byrne das drängende, hymnische „Road to nowhere“, das für mich total nicht zu dem ruhigen Erzählton zuvor passt, auch wenn der Songtitel auf den ersten Blick sehr griffig ist, allerdings eben nur der Songtitel.

 

   Na ja, und so weiter. „Transit“ ist ganz sicher nicht Petzolds stärkster Film, soviel steht für mich fest, aber wo genau ich in einsortieren soll, weiß ich noch nicht. Er hat seine Stärken, er hat seine Momente, seine Gesichter und Dialoge, aber über die erwähnten Irritationen komm ich nicht so richtig weg, die haben mir den Zugang zu einer auch aktuell noch höchst relevanten Geschichte manchmal eher verbaut. Kann man ja auch mal so stehenlassen, denke ich. (25.4.)