The sense of an ending (Vom Ende einer Geschichte) von Ritesh Batra. England, 2017. Jim Broadbent, Billy Howle, Charlotte Rampling, Freya Mavor, Harriet Walter, Michelle Dockery, Joe Alwyn, Emily Mortimer, James Wilby, Jack Loxton, Timothy Innes, Matthew Goode, Edward Holcroft, Andrew Buckley

   Den Roman von Julian Barnes kenne ich leider nicht, kann mir aber problemlos vorstellen, dass er deutlich besser ist als die Verfilmung, denn die kommt sehr rüber wie ein gediegener britischer Literaturfilm, dem ein wenig der Pep fehlt, der aber alles in allem sehr gekonnt gestaltet und vor allem gespielt ist. Manchmal reicht das schon, mir hat‘s diesmal nicht ganz gereicht…

   Tony ist ein älterer Herr, glücklich geschieden, Vater einer Tochter und angehender Großvater, der mehr zum Spaß einen kleinen Laden für alte Leica-Kameras führt. Er wird plötzlich und unerwartet mit einer Episode aus seiner Vergangenheit konfrontiert, als er erben soll und zwar von der Mutter seiner ersten großen Liebe Veronica. Deren Mutter Sarah, die er selbst gar nicht so besonders intensiv kannte, hat ihm etwas Geld und ein Tagebuch hinterlassen, und zwar das Tagebuch von Adrian, seinem damaligen Studienfreund. Dieser Adrian hatte eine Beziehung mit Veronica angefangen, hatte sie ihm praktisch „ausgespannt“, was Tony zu einem äußerst verbitterten und zynischen Brief veranlasst hatte. Danach hatte Adrian überraschend Selbstmord verübt, und Tony und Veronicas hatten sich für viele Jahrzehnte aus den Augen verloren. Nun treffen sie wieder aufeinander, aber nicht in Harmonie, sondern im Konflikt. Veronica will Tony das Tagebuch nicht aushändigen, behauptet, sie habe es verbrannt, und gibt ihm stattdessen seinen wütenden Brief von damals zurück. Tony begreift, dass die Sichtweise, die er sich im Laufe der Jahrzehnte bequem zurechtgelegt hat, nicht der ihren entspricht, dass er nicht alles weiß und auch nicht alles versteht. Er sieht Veroncia zusammen mit einem jüngeren, geistig behinderten Mann, der auch Adrian heißt und den Tony für Veronicas Sohn hält, bis er darüber aufgeklärt wird, dass er vielmehr Veronicas Bruder ist, gezeugt von Adrian sr. und ihrer Mutter Sarah. Tony versucht, eine klärende Aussprache mit Veronica herbeizuführen, was aber nicht gelingt, denn sie gibt sich eher abweisend und leicht verbittert und durchaus nicht bereit, über ihr Leben Auskunft zu geben. Dennoch wird aus Tony ganz plötzlich ein besserer Mensch, nicht mehr der chronisch abweisende Miesepeter, sondern ein liebevoller Opa, aufmerksamer Vater und zugänglicher Ex-Ehemann, der scheinbar mit sich auf einmal ganz im Reinen ist.

 

   Wie es gerade zu dieser finalen Wendung kommt, blieb mir gänzlich verschlossen, denn abgesehen von seinem Familienglück und dem nach wie vor ganz guten und vertrauten Verhältnis zu seiner Ex Margaret hat Tony eigentlich nur wenig Anlass zur Selbstzufriedenheit, jedenfalls nicht für meine Wahrnehmung. Veronicas knallt ihm die unbequeme Wahrheit ganz ruhig und klar vor den Latz: So gut, wie du dich gerne sähst, bist du nicht. Tony hat verschiedene Details von damals einfach verdrängt, ausgeklammert, vor allem die, die ihn selbst in ein ungünstiges Licht rücken. Vor allem seine Verantwortung für Adrians Beziehung zu Veronicas Mutter scheint er vergessen zu haben, obwohl er tatsächlich damals Adrian explizit auf die attraktive und offenbar sehr einsame Dame aufmerksam gemacht und damit das Unglück, wenn auch ungewollt, vielleicht selbst angebahnt hat. Indem ihn Veronica nun wieder mit einigen Dingen konfrontiert, müsste sie eigentlich eine viel existentiellere Krise auslösen, denn wenn man’s mal genau und streng formuliert, könnte man sagen, dass Tony zu einem nicht geringer Teil mit einer Lüge gelebt hat (wie wir alle, ich weiß…) und nun mit einer Schuld belastet wird, die ihn eigentlich etwas tiefer treffen müsste. Stattdessen bleibt er weiterhin unbeholfen und selbstbezogen wie gewohnt, spricht am liebsten über seine Befindlichkeit (obwohl sowohl Margaret als auch Veronica ihn mehrmals deutlich darauf hinweisen) und zeichnet sich durch einen eklatanten Mangel an Empathie aus. Und wie sich all dies am Ende ganz abrupt geändert haben soll, hat sich mir nicht erschlossen. In Tonys wenigen kurzen Begegnungen mit Veronica liegt deutlich mehr Potential, liegt sozusagen das Zentrum dieser Geschichte. Es geht hier um sehr komplexe, tiefgründige Dinge, und wer Romane von Julian Barnes kennt weiß sehr wohl, wie brillant der versteht, diese Komplexität in vergleichsweise kurze, vermeintlich einfache Geschichte zu integrieren. Im Film sind die Szenen mit Broadbent und Rampling so stark und vielversprechend, dass es mir schon leidgetan hat, dass es nicht mehr davon gibt, dass der Film nicht mehr in die Tiefe geht, sondern viel Zeit für die Rückblenden und die Szenen mit Ex-Frau und Tochter verbraucht. Die sind zwar nett und gut gemacht, doch die wahre Essenz liegt deutlich woanders, und gibt sich das Drehbuch etwas zu vage und unentschlossen. Schade, denn die Schauspieler sind große Klasse, die Bilder klar und schön (aber leider eben auch nicht mehr), der Erzählrhythmus bleibt unweigerlich im gepflegten Rahmen und lässt die inneren Bewegungen Tonys oder Veronicas eher im Raum hängen, und Max Richters Musik ist wie immer ein melancholischer Genuss. Der Rahmen stimmt also wenigstens zum Teil, die Ansätze sind unübersehbar, zumal in der Story an sich, die eine wirklich spannende Betrachtung zum Thema selektives Gedächtnis und Selbstbetrug anbietet. So ist das Ganze ein wenig zu gediegen, trotz all der netten Szenen und den tollen Darstellern. Einer der vielen halbguten Filme des Jahres mithin. (27.6.)