Wackersdorf von Oliver Haffner. BRD, 2018. Johannes Zeiler, Anna Maria Sturm, Peter Jordan, Fabian Hinrichs, Johannes Herrschmann, Frederic Linkemann, Monika Manz, Marlene Morreis, Ines Honsel
Wackersdorf – das ist ja auch einer dieser Namen, die uns alle durch die politisch bewegten und unruhigen Achtziger begleitet haben. Gorleben wäre noch zu nennen, Brokdorf sicherlich auch, jeder Name für sich bezeichnet ein unscheinbares Nest in einer unscheinbaren Gegend und steht natürlich dennoch für soviel mehr. Zum einen den Kampf gegen die Atomenergie und ihre fatalen Abfälle, zum anderen, und sicherlich noch wichtiger, die Konfrontation mit einem Staat, der sich plötzlich im Angesicht einer massiven Bürgeropposition auf seine autoritären Traditionen besinnt und überhart zurückschlägt und der sich darüber hinaus gezielter und bewusster Gesetzesüberschreitungen schuldig macht, um seine Ziele um jeden Preis zu verwirklichen. Ein Staat, der sein dreckiges Gesicht zeigt, wenn er in Bedrängnis gerät, so wie man es ab den späten 60ern verschiedentlich beobachten konnte, ein Staat, der seine junge und fragile demokratische Ausrichtung in Gefahr zu bringen scheint und mit Parolen um sich wirft, die man zuletzt in höchst unguter Zeit vernommen hatte und die sich aktuell nur noch eher undemokratische Regimes leisteten. Ich war selbst nie dabei bei einer dieser vielen Anti-Atom-Demos, habe heute durchaus ein schlechtes Gewissen deswegen, weil ich einfach zu träge war, um mal rauszugehen, und so setzt Wackersdorf bei mir eher Bilder aus Presse und Fernsehen frei, Bilder von monströsen Bauzäunen, furchteinflößenden Hundertschaften schwer ausgerüsteter Bullen, Bilder von prügelnden Bullen und Wasserwerfern, Bilder von entschlossenen Aktivisten und Atomgegnern aller Altersgruppen. Eine bange Frage in diesem Zusammenhang wäre, wie eine solche Auseinandersetzung wohl heute aussähe – ich will’s gar nicht wissen, angesichts der um sich greifenden Eventkultur und der Lust am Radautourismus inklusive Zerstörung um ihrer selbst willen, siehe Hamburg, siehe Berlin, usw…
Aber damals, in den guten alten Zeiten, waren die Dinge noch schön übersichtlich, da trugen die Schweine Uniform, repräsentierten den Bullenterrorstaat, und da machten es Typen wie FJS jedermann herzlich leicht, zum entschlossenen Feind des rechten Establishment zu werden. In Bayern sowieso, und damit wären wir endlich auch bei Wackersdorf, denn das liegt in Bayern und folglich hatte Strauß seine Hände im Spiel, als es um die Platzvergabe für eine atomare Wiederaufbereitungsanlage ging. Der Ort war scheint’s gut gewählt, die Gegend in der Oberpfalz strukturschwach, vom Ende des Braunkohleabbaus getroffen, die meisten Bewohner der umliegenden Gemeinden arbeitslos, die Perspektive mies, und so ließen sich die lokalen Würdenträger nur allzu leicht ködern mit Versprechen von dreitausend Arbeitsplätzen und einer blühenden Zukunft im Schoße moderner Technik und wissenschaftlichen Fortschritts. Landrat Schuierer aus Wackersdorf ist zunächst genau wie alle anderen angesteckt vom Goldrausch, doch irgendwann geht ihm alles ein bisschen zu schnell, er liest das eine oder andere Buch und ist obendrein umzingelt von kritischen Stimmen – das fängt an in der eigenen Familie, dann gibt’s da einen Kollegen aus München und vor allem eine einsatzfreudige Bürgerinitiative, die auch gleich aktiv wird und einen hölzernen Beobachtungsturm errichtet, um die Bauaktivitäten im Wald besser im Blick zu haben. Noch immer zögert Schuierer und ist eher geneigt, sich dem Fortschritt anheimzugeben, doch als plötzlich externe Uniformierte aufkreuzen und den Holzturm kurzerhand fällen, beginnt er zu zweifeln, und diese Zweifel werden einerseits genähert von den mehr als dubiosen Aktionen des Staates und andererseits durch mehr und mehr Informationen über die brenzlige Handhabung des Atommülls mitsamt all der fatalen Risiken. Und plötzlich ist Landrat Schuierer nicht mehr bereit, so einfach seine Unterschrift unter den Deal zu setzen, wohl in dem Glauben, der Fortgang der Sache hinge nur von ihm ab, von wegen Rechtstaat und Demokratie und so weiter. Da hat er die Rechnung ohne die Herren in München gemacht, denn die bringen flugs ein Gesetz auf den Weg, das eben diesen Mechanismus aushebelt. Schuierer sieht sich jäh entmachtet, doch nun ist sein Widerstandsgeist vollends entflammt, und es kommt zu jenen anhaltenden Auseinandersetzungen, an deren Ende das Projekt Wackersdorf schließlich aufgegeben wird. Zwischendurch ereignet sich dann noch die Katastrophe in Tschernobyl und gibt allen Schwarzsehern ein für allemal recht, und trotzdem darf so ein Arsch wie der Zimmermann vor laufenden Kameras behaupten, in der BRD bestehe überhaupt keine Gefahr für die Gesundheit. Herrschaftszeiten, der Zimmermann, den hatte ich fast schon vergessen…
Eine Art Dokudrama, wenn man so will, fast alles wird nachgespielt, nur die eine oder andere Originalspule wird dazwischen geschnitten, und obwohl ich hier und da spontan lachen musste, ist das Ganze natürlich absolut nicht witzig. Abgesehen vom gekonnt restaurierten Lokal- und Zeitkolorit liegt die Stärke des Films in erster Linie darin, dass er das kontinuierlich absinkende Niveau der politischen Kultur akkurat nachzeichnet. Und damit logischerweise ein ziemlich tristes Bild der BRD in den 80ern zeichnet. Jener Zeit, als begann, was sich heute längst als unumstößlich etabliert hat: Es regiert die Wirtschaft, die Politik dient lediglich als Steigbügelhalter, es werden Strippen gezogen, es wird kalkuliert, manipuliert, dirigiert, intrigiert, und diesem einen globalen, totalitären wirtschaftlichen Interesse wird alles andere rigoros untergeordnet. Kein Argument ist zu schäbig, um nicht bei Bedarf ausgepackt zu werden, und wenn man nur an der richtigen Stelle einen Gspusi hocken hat, dann passt das schon im Freistaat Bayern (aber auch überall sonst). Die politische und soziale Opposition wird zu keinem Zeitpunkt gehört geschweige denn für voll genommen. Störenfriede, Terroristen, Kommunisten und was sonst noch werden sie genannt, und mit solchem Gesocks muss man natürlich gründlich aufräumen, da darf man nicht zimperlich sein, schließlich geht’s um Recht und Ordnung in der Republik. Und so wird aus einem kleinen provinziellen Brandherd ein Großfeuer, das weite Teile des Landes erfasst, weil viele nämlich verstehen, dass es nicht nur um Wackersdorf geht, sondern darum, dass auch der Staat sich an Gesetze zu halten hat und sie sich nicht einfach nach Gutdünken zurechtbiegen kann, wenn es gerade nötig ist. Viel mehr als das Hickhack um die Atomkraft ist es gerade das, was auch heute noch trifft und empört, so wie es damals den Landrat Schuierer getroffen und empört hat, und Drehbuch und Regie arbeiten das sehr schön heraus, mal pointiert und angemessen polemisch, mal aber auch mit leisem Zorn und dem richtigen Gefühl dafür, wieviel Enttäuschung und Frustration die Proteste vielfach begleiten haben muss. Eine Demokratie, die so stolz auf ihre Errungenschaften wie Freiheit und Bürgerrechte, auf ihre Läuterung nach der großen Katastrophe war, hätte sich so etwas nicht leisten dürfen, hätte souveräner, toleranter, offener mit Opposition umgehen müssen. So dachten in den 80ern viele, und recht hatten sie. Haben sie noch immer – siehe Hambacher Forst... (24.9.)