Was uns nicht umbringt von Sandra Nettelbeck. BRD, 2018. August Zirner, Barbara Auer, Johanna ter Steege, Deborah Kaufmann, Oliver Broumis, Bjarne Mädel, Jenny Schily, Christian Berkel, Victoria Mayer, Mark Waschke, Peter Lohmeyer, David Rott, Leonie Häner, Marie Jecke, Kristo Ferkic, Lauren Lee Smith
Man trifft sich auf der Couch von Max, denn der ist Seelenklempner und kann Menschen helfen, wie er es ausdrückt. Da hat er alle Hände voll zu tun: Der Mann, der um seinen geliebten Partner trauert und sich mit dem hass der Familie auseinandersetzen muss, die Frau, die um ihren geliebten Partner trauert und seinen Tod einfach nicht akzeptieren will, der Mann, der so traurig ist, dass er nicht mal was sagen kann, zu dem Max aber schließlich doch Kontakt durch seinen neuen Hund kriegt, die Geschwister, die ein Bestattungsunternehmen betreiben und das Gefühl haben, langsam aber sicher abzudriften, die allein lebende Sophie, die in einer unglücklich machenden Affäre mit einem verheirateten Mann gefangen ist und lieber glücklich sein möchte und in die sich Max alsbald selbst verguckt – und zu guter Letzt immer wieder auch die Exfrau Loretta, die mit der Erziehung der beiden gemeinsamen Töchter überfordert ist, vor allem seit die eine in der Pubertät steckt und es praktisch täglich Krieg gibt. Weiterhin weiß die Gute nicht so recht. was sie mit ihrem neuen Geliebten anfangen soll, und als der endlich mal klare Verhältnisse schaffen will, reagiert sie erstmal äußerst grob und zickig. Eine kurze Begegnung gibt es nur mit einem weiteren Paar, zwei Tierwärtern in Hagenbeck – sie ist ein Sonderling hat am Rande des Autismus, er ein netter Kerl, der ihretwegen seinen Job kündigt und unerwartet Vater ihres Kindes werden könnte, obwohl sie eigentlich weder ein Kind noch eine Beziehung haben wollte. Und zum Thema Vater gibt‘s für Max persönlich auch noch eine dicke Überraschung, die ihn dann wieder mit der autistischen Zoowärterin zusammenführt, den die hat seinen seit vierzig Jahren für tot gehaltenen Vater jahrelang gepflegt und will nun dafür sorgen, dass der Sterbende seinen Sohn noch einmal sieht. Am Ende finden manche zusammen, anderes bleibt offen, wieder andere finden wenigstens Trost oder eine Perspektive, und wenn es auch nur ist, dass sie ihre Trauer endlich richtig rausheulen können.
„Was uns nicht umbringt“ ist einer von diesen schönen Filmen, die viele einzelne Geschichten und Episoden zusammenweben zu einem Großstadtpanorama (diesmal isses Hamburg), einem Porträt einer Zeit und einer Generation und vielleicht auch einem Lebensgefühl. Das gibt sich in diesem Fall sehr brüchig und verletzlich, gezeichnet von Trauer, Unsicherheit, Einsamkeit, Verlust in vielfältiger Form. Partnerschaften gehen zu Bruch, neue werden nur zögern angebahnt, weil jeder ängstlich und misstrauisch geworden ist. Dennoch gibt es zwischendurch auch viele starke Momente, in denen plötzlich der Zusammenhalt, die Familie, die Liebe, die Nähe wieder groß und wichtig werden, und dieser Balanceakt ist das Hauptanliegen von Sandra Nettelbeck, die dafür auch das Risiko in Kauf nimmt, sehr viel Schicksal in diese zwei Stunden zu packen und gelegentlich vielleicht auch zu viel. Aber sie hat den Schneid, es zu tun, und sie tut es mit Bravour, denn schließlich erzählt sie selbst auch vom Mut: Es gehört Mut dazu, sich auf etwas Neues, auf jemand Neues einzulassen, andererseits führt alles andere früher oder später in Isolation und Unglück. Exzentriker sind dabei, Außenseiter, ganz normale Stadtneurotiker sowieso und auch ein paar Teenies, die die dummen Erwachsenen ständig daran erinnern, dass diese noch andere Verantwortungen haben als nur die, sich um ihr eigenes Chaos zu kümmern. In der sehr abwechslungsreichen Inszenierung reihen sich ganz kurze Momentaufnahmen mit längeren, intensiveren Szenen, Komisches und Trauriges fließen ineinander, es geht buchstäblich um die Dinge des Lebens, selten ist das leicht, nie aber prätentiös oder kitschig, und das ist schon an sich sehr beachtenswert. Lebensentwürfe treffen aufeinander, Hoffnungen, Sehnsüchte, und die große Kunst besteht für uns ja darin, all dies unter einen Hut zu bringen, wenn man nicht allein leben will. Für andere stellt sich die Frage, wie sie mit ihrer Trauer umgehen werden, ob es überhaupt weitergehen kann und ob sie einen Raum für ihre Gefühle finden, was vor allem im Fall des homosexuellen Fritz leider keine Selbstverständlichkeit ist. Wie immer lebt dieser Reigen auch vom Reiz der Perspektive: Von außen betrachtet ist all dies oft nicht mehr als ganz banaler Alltagskram, für die Beteiligten aber geht’s ums Ganze.
Sandra Nettelbeck hat dies sehr feinfühlig und unterhaltsam zugleich inszeniert und sie hat sich ein Ensemble zusammengesucht, das einfach großartig ist und die gut zwei Stunden wie nichts vorübergehen lässt. Ich hätte den Leuten gern noch eine oder zwei Stunden zugeschaut, so schön, so nahe, so gefühlvoll und so zärtlich spielen sie das. Dazu gibt‘s einen ganz prima Soundtrack unter anderem mit Songs von tollen Leuten wie Damien Rice oder Glen Hansard, die sehr gut zu der herben Melancholie viele Momente passen. Klasse Kino aus deutschen Landen, sicherlich einer der schönsten einheimischen Filme dieses ablaufenden Jahres. (22.11.)