Werk ohne Autor von Florian Henckel von Donnersmarck. BRD, 2018. Tom Schilling, Paula Beer, Sebastian Koch, Saskia Rosendahl, Ina Weisse, Oliver Masucci, Hans-Uwe Bauer, Hanno Kofler, Jörg Schüttauf, Jeannette Hain, Ulrike C. Tscharre, Rainer Bock, Johanna Gastdorf, Lars Eidinger, Hinnerk Schönemann, Ben Becker, Cai Cohrs

   Ein Leben zwischen drei Systemen, verfolgt über gut dreißig Jahre, von 1937 bis in die mittleren 60er. Kurt wächst in der Oberlausitz mit Blick auf Dresden auf. Er muss erleben, wie die Stadt 1945 im Bombenhagel untergeht, er muss vor allem aber erleben, wie seine geliebte Tante Elisabeth immer wunderlicher wird und eines Tages von zwei Männern in Weiß abgeholt wird, und was dann mit ihr geschieht, erfahren wir, der junge Kurt aber nicht. Elisabeth gerät in die Mühlen der Nazi-Psychiatrie und wird schließlich Opfer des Euthanasieprogramms, in diesem Fall in Gestalt des Herrn Professor Seeband, eines renommierten Gynäkologen, der den Vernichtungshäusern im Osten nach eigenem Gutdünken Opfer zuführt, unter anderem eben die Tante Elisabeth. Nach dem Ende der Nazidiktatur geht die DDR los: Der Vater verliert seine Anstellung als Lehrer, weil er in der Partei war und die neue Partei ihre Kinder nur „sauberen“ Genossen überlassen will. Er muss putzen gehen und hängt sich eines Tages auf. Kurt wollte immer schon Maler werden und geht auf die Kunstschule in Dresden, wo er Elli kennenlernt und bald mit ihr recht intim wird. So intim, dass Elli schwanger ist, und hier kommt der Herr Papa ins Spiel, denn das ist niemand anderes als der Herr Professor Seeband. Der hat Glück, dass er den russischen Ermittlung entwischt, weil er einem ranghohen Offizier das Leben seiner frau und ihres Babys rettet und somit unter dessen Schutz steht, was nichts anderes heißt, als dass er wie viele andere Nazis seine Karriere fast bruchlos fortsetzen kann. Er bekennt sich flugs zum Kommunismus, seine Rassenideologie hat er aber natürlich konserviert, und als ihm klar wird, dass sein holdes Töchterlein von einem minderwertigen Subjekt geschwängert wurde, heckt er einen zynisch infamen Plan aus, um den Niedergang seiner Blutlinie zu verhindern. Am Ende führt er selbst den Abort aus, und Elli muss befürchten, dass sie nie wieder Kinder haben kann, zumal eine Reihe von Fehlgeburten folgt. Kurt merkt, dass er in der DDR niemals über den „sozialistischen Realismus“ hinauskommen wird und bestenfalls große Wände mit stramm linientreuen Hurrahgemälden bemalen darf, und als hätte er es im Gespür gehabt, überredet er seine Elli, unmittelbar vor dem Mauerbau rüber in den Westen zu gehen. Dort sagt ihm jedermann, geh überall hin, nur nicht nach Düsseldorf, da tobt so eine komische Avantgarde – und prompt geht er natürlich dorthin und landet in der Klasse eines Hutträgers, der nur mit Fett und Filz hantiert und in seiner Klasse Wahlplakate von Brandt und Adenauer verbrennt. Kurt aber ist lange auf der Suche nach seinem Stil, nach der Kunst, die ihn wirklich verkörpert. Den bösen Schwiegerpapa hingegen werden er und Elli nicht los – er war mit seiner Gattin schon früher in den Westen abgehauen, weil die Russen ihn nicht mehr protegieren konnten, und genießt nun wie viele andere seiner Nazigenossen ein privilegiertes Dasein in exponierter Stellung und mit bestem gesellschaftlichem Leumund. Der lästige Schwiegersohn wird mal eben zum Treppenputzen degradiert wie einst dessen Vater, und jede mögliche Demütigung wird mitgenommen, doch Elli und Kurt bleiben zusammen und bekommen eines Tages unerwartet doch noch ein Kind. Und ebenso unerwartet und fast zufällig findet auch der junge Künstler zu sich und seiner Kunst: Das Foto eines festgenommenen Nazifunktionärs inspiriert ihn, er zerteilt es in Quadrate und wirft es vergrößert auf die Leinwand, verwischt es danach. Ein Werk ohne Autor, ein Werk zwischen Dokumentation und künstlerischer Verfremdung. Kommt im modernen Kunstbetrieb der BRD höllisch gut an und bringt ganz nebenbei den Herrn Professor Seeband zu Fall, denn jener Funktionär war einst sein direkter Vorgesetzter, und damit nicht genug, Kurt schnappt sich auch noch ein Passfoto von Seeband und ein Foto von sich selbst und seiner jungen Tante Elisabeth, vermischt all diese Bilder zu einer großen Collage und erzählt damit vollkommen unbewusst und ohne die wahren Zusammenhänge zu ahnen, die ganze Geschichte. Ende der 60er ist er zum Shooting-Star der westdeutschen Kunstszene geworden und wird sich nun neuen Projekten zuwenden. Am Ende sehen wir ihn, wie er sich von einer Reihe Linienbusse anhupen lässt, ein gewaltiger, tranceartiger Lärm, der einst schon die Tante Elisabeth fasziniert hatte.

   Eine lange Inhaltsangabe für einen langen Film – gute drei Stunden hat sich Herr von und zu genommen, um diesen Entwicklungsroman auf die Leinwand zu bringen. Porträt eines Künstlers zwischen Nazis, DDR und BRD, Porträt eines jungen Mannes auf wem Weg zu seiner Kunst und seiner Identität, die er dennoch bis zuletzt niemals vollkommen erfahren wird. Ein pralles Stück Zeitgeschichte natürlich, drei Epochen in dreißig Jahren, unfassbar eigentlich, was in so kurzer Zeit alles passieren konnte. Dafür hat Herr von und zu ein ganz gutes Händchen, er erzählt in starken Bildern sehr spannend, unterhaltsam und so, dass mir die drei Stunden nur gegen Ende ein wenig lang erschienen. Eine große Handvoll sehr guter Darsteller und Max Richters wie gewohnt bravourös gefühlvoller Soundtrack leisten dabei wesentliche Unterstützung. Und es gibt auf jeden Fall viel zu erzählen, viel zu sagen, viel zu zeigen: Der erbarmungslose Naziterror wird abgelöst von der kaum weniger erbarmungslosen DDR-Doktrin, die auch alle Bürger auf Linie zwang und Abweichler verfolgte und bestrafte, und indem Kurt schließlich rübermacht, tauscht er ein durch und durch repressives System gegen ein vermeintlich offenes und freies, in dem alles wächst und gedeiht, unter anderem eben auch all die vielen Altnazis, die ungestört weiter Karriere machen können. Der Herr Professor Seeband ist ein bisschen arg dämonisch, finde ich, ein grausam perverses Dreckschwein, von Sebastian Koch sehr effektvoll verkörpert, und falls der wahre Schwiegervater, dem der Professor nachempfunden wurde, auch so einer war, dann verkörperte der auf jeden Fall jedes denkbare Klischee vom Nazihorror. Ansonsten ist dies in erster Linie ein Männerfilm, die Frauen sind wenig mehr als schmückendes Beiwerk, gern auch knapp bekleidet, und selbst die großartige Paula Beer hat kaum mehr zu tun, als schön zu sein (isse aber auch, lieber Himmel…) und sich hier und da mit dem jungen Künstler auf den Laken zu wälzen. Finde ich nicht so doll irgendwie. Kurts Ringen um seine künstlerische Identität wird zum Teil ganz gut und nachvollziehbar gezeigt, auch die Auseinandersetzung mit Herrn Beuys, der ihm klarmacht, dass seine Kunst unbedingt etwas mit seinem Leben zu tun haben muss, um am Ende hat sie das dann auch tatsächlich, obgleich Kurt selbst am wenigsten davon weiß. Die fast tragische Absurdität hätte meinetwegen noch ein wenig eingehender behandelt werden können, aber das wäre nur gelungen, wenn auch die Personen rund um den Künstler mehr zu Wort gekommen wären. Das ist aber nur am Anfang der Fall, und so verliert der Film zunehmend diesen Aspekt aus den Augen und fokussiert auf Kurt, den Tom Schilling zwar eindrucksvoll darstellt, der aber immer auch ein wenig ungreifbar, unklar bleibt. Genauso ging es mir mit dem Satz, den Tante Elisabeth ihrem Lieblingsneffen sehr eindringlich eintrichtert, bevor sie für immer in der Nazianstalt verschwindet: Niemals wegsehen. Anfänglich scheint es so, als wolle sich der Junge daran halten, später aber erscheint Kurt immer passiver, eher wie einer, der durch die Zeitläufte hindurchtreibt und -taumelt und der auf keinen Fall aus klarer politischer Überzeugung agiert. Vielleicht ist das auch so gewollt und soll erklären, warum der Kerl in den 60ern zum Inbegriff der modernen Kunst in der BRD wurde – Werk ohne Autor halt.

 

   Insgesamt ein Film, der weit von dem desaströsen „The Tourist“ entfernt ist, der mich aber längst nicht in allen Teilen überzeugen kann, der manchmal wirklich packt und bewegt und manchmal auch recht selbstgefällig wirkt. Auf jeden Fall ein ehrgeiziges Projekt, und das ist ja auch schon was. Mal sehen, wohin der Weg des Herrn von und zu weiter führen wird, so richtig scheint er seine Linie ja noch nicht gefunden zu haben, ganz wie sein Kurt.  (23.10.)