Widows von Steve McQueen. England/USA, 2018. Viola Davis, Elizabeth Debicki, Michelle Rodriguez, Cynthia Erivo, Colin Farrell, Brian Tyree Henry, Daniel Kaluuya, Liam Neeson, Robert Duvall

   Ich mag Heist Movies. Sie sind im besten Fall raffiniert, überraschend, rasant und folgen einem beruhigend bekannten Schema, in dem man sich immer leicht zurechtfindet. Beste Unterhaltung für den Kinonachmittag mit Popcorn und guten Freunden. Alles bestens soweit. Manchmal ist aber auch mehr drin, kommt immer drauf an, wer an den Reglern sitzt. Wenn sich ein Regisseur wie Steve McQueen, der bislang wirklich nur außerordentliches zustande gebracht hat, sich also an einem solchen Genre versucht, darf ich mit Fug und Recht etwas mehr erwarten. Und ich habe es bekommen. McQueen hat sich prominenter Mittäter versichert, Gillian „Gone Girl“ Flynn hat mit ihm zusammen das Drehbuch verfasst, und beide stützen sich auf ein fünfunddreißig Jahre alte Thames-Television-Serie von Lynda „Prime Suspect“ La Plante, mit anderen Worten, hier ist eine Menge Know-how im Hintergrund, und das merkt man dem Film auch an. Was man ihm auch und in allererster Linie anmerkt, ist die Gestaltung durch einen Filmemacher, der mit den Gesetzen des Genres arbeitet, aber natürlich daran interessiert ist, eigene Interessen, Themen und Anliegen einzubringen, und die haben dann schon deutlich weniger mit Hollywood zu tun.

   Der letzte Raubzug von Harry Rawlins und seinen Jungs geht schief – alle verbrennen im Fluchtwagen und mit ihnen zwei Millionen Dollar. Die gehören angeblich Jamal Manning, einem Gangster, der nun in die Politik einsteigen will und um das Amt eines Bezirksvorstehers in Chicago antritt. Sein Widersacher ist Jack Mulligan, Sprössling einer alteingesessenen Politikerdynastie, ein weißer, mächtiger Schnösel, in allem das genaue Gegenteil des ungehobelten schwarzen Jamal, der aus einer nicht so wohlhabenden Straße im Bezirk stammt. Jamal wendet sich nun an Harrys Witwe Veronica und macht ihr klar, dass sie das Geld zurückzuzahlen hat. Veronica bekommt von Harrys treuen Chauffeur ein Notizbuch zugesteckt, in dem sie Hinweise auf einen bevorstehenden vielversprechenden Coup findet. Sie braucht Kompagnons und wendet sich naheliegenderweise an zwei Witwen von Harrys Jungs, Linda und Alice, die genau wie sie Geld brauchen, um endlich unabhängig von ihren jeweiligen Lebensumständen zu werden. Sie engagieren zusätzlich Belle als Fahrerin, und zu viert gehen sie die Planung an. Störfeuer kommt dabei von allen Seiten: Jamals Bruder und seine Gang verbreitet blutigen Terror, Mulligan intrigiert fleißig mit, weil er die Wahl mit allen Mitteln gewinnen will – und dann gibt’s gegen Ende auch noch eine faustdicke Überraschung…

   Und es kommt am Ende einmal so, wie wir es ab und zu mal brauchen im Kino: Die Scheißkerle gehen alle drauf und die Guten tragen den Sieg davon, und obwohl jedes Kind weiß, dass es im wahren Leben selten so läuft, mag man es doch gern sehen, denn das ist halt Kino. Die streitbaren Witwen kämpfen buchstäblich um ihr Leben, ihre Existenz, ihren Stolz und gegen Ausbeutung, Erniedrigung und Angst, und damit haben sie sehr viel mehr in die Waagschale zu legen als die Kerle, die zwar die großen Wummen und viel Testosteron haben, die aber die Kampfkraft der Ladies fatal unterschätzen, und die arbeiten natürlich genau damit. Am Ende gerät das ganze Unternehmen ziemlich aus den Fugen, und die vier können nur mit Glück überleben, aber es ist auf jeden Fall das Glück der Tüchtigen, und wenn man sich schon auf die gesetzesferne Logik der Heist Movies einlässt, gönne ich’s ihnen auf jeden Fall. Das ist unter anderem das Schöne an diesen Filmen, dass sie alle kleine Kriminelle aus uns machen…

 

   McQueen widmet den Action- und Gewaltmomenten deutlich weniger Raum als seine Kollegen. Er integriert sie selbstverständlich als dazugehörig, handelt sie aber zum Teil fast beiläufig ab und gerät nie in den Verdacht, sich am Blutvergießen zu ergötzen. Er legt den Fokus klar und deutlich auf zwischenmenschliche und Milieuaspekte, setzt die Geschichte der Einzelnen stets in Beziehung zum größeren Zusammenhang, zum Wahlkampf in einem eher schäbigen Viertel Chicagos, zum Rassismus, zum Sozialgefälle und dergleichen mehr. Jamal und seine brutale Gang auf der einen, Mulligan und seine äußerlich gepflegten, innerlich aber auch durch und durch korrupten Parteigänger auf der anderen Seite, und zwischendrin drei Witwen, die um ein Haar zerrieben werden in dem mörderischen Hahnenkampf und die ganz gegen ihren Willen selbst zur Knarre greifen müssen, weil sie sich anders doch nicht behaupten können. Das beste daran ist, dass die Knete von Mr. Mulligan stammt, weswegen man den Damen doppelt viel Erfolg wünscht, denn der Kerl ist ein echtes Ekelpaket, und Colin Farrell hat sichtlich Spaß daran, ihn genauso zu spielen, ganz wie seine schwarzen Kontrahenten, die sich mit Lust und grimmigem Ernst in die Aktionen werfen. Die Stars sind aber fraglos die Ladies, und die sind top besetzt, und es macht einen Heidenspaß, ihnen allein dabei zuzusehen, wie sie sich taxieren, abtasten, zusammenraufen und auch ihre speziellen weiblichen Vibes zur Geltung bringen. Gerade Viola Davies macht in ihrem Spiel aber jederzeit klar, dass all das hier ganz und gar kein Spaß ist, sie gibt dem Ganzen sozusagen eine gewisse Tiefe, ein gewisses Gewicht, das vor allem durch die nicht minder brillante Elizabeth Debicki immer wieder leicht konterkariert wird. Das Drehbuch ist erstklassig, besticht durch tolle Dialoge, bösen Humor und präzisen Milieuszenen. Und Van Morrison singt „Madam George“, während Jamals Bruder einen hilflosen Rollstuhlfahrer mit einem Stilett malträtiert. Darauf wäre vermutlich nicht mal Spike Lee gekommen. Beste Unterhaltung mit Tiefgang, und McQueen hat eindrücklich bewiesen, dass er auch die vermeintlich leichtere Muse beherrscht. Ich bin gespannt, womit er uns als nächstes beglückt… (10.12.)