Wind River von Taylor Sheridan. USA, 2017. Jeremy Renner, Elisabeth Olsen, Graham Greene, Gil Birmingham, Kelsey Asbille, Martin Sensmeier, Julia Jones, Apesanahkwat, Jon Bernthal, James Jordan, Tantoo Cardinal, Hugh Dillon

   Lange schon habe ich keinen Film aus einem Indianerreservat mehr gesehen, lange also auch schon keinen Film mehr mit Graham Greene, dessen Gesicht irgendwie unverzichtbar war in den 90ern in jenen „politisch korrekten“ Ethnofilmen, die seinerzeit en vogue waren und die sich zumindest im besseren Fall darum bemühten, das Thema Indianer und ihre Lebenssituation mal wieder in die Kinolandschaft einzubringen – „Powwow Highway“ oder „Der mit dem Wolf tanzt“ oder „Thunderheart“ unde einige mehr wären zu nennen, bis dann diese Welle nach einigen Jahren wieder verebbte. Ob „Wind River“ nun dazu geeignet ist, eine neue Welle in Gang zu setzen, bleibt abzuwarten. Gut und richtig wäre es allemal, und die Qualität hat der Film obendrein.

   Cory ist ein erfahrener Wildhüter und Jäger im Reservat Wind River in Wyoming. Er lebt getrennt von seiner indianischen Frau und dem gemeinsamen Sohn. Ihre Tochter starb vor einiger Zeit einen gewaltsamen und bislang unaufgeklärten Tod draußen im Schnee, und genauso findet er bei der Pumajagd ein Mädchen vor, barfuß, verletzt, offenbar misshandelt und tot. Zur Aufklärung des Verbrechens, da die lokale Indianerbehörde nicht ausreichend kompetent ist, wird eine FBI-Agentin geschickt, eine junge Dame namens Jane aus Fort Lauderdale, Florida, die sich folglich mit den Wetterbedingungen in Wyoming allerbestens auskennt. Und weil die Dame Jane wider Erwarten viel vernünftiger ist als ihre ganze Behörde, bittet sie den alten Trapper Cory um Unterstützung. Die Spur führt zunächst zur Familie des toten Mädchens Natalie, vor allem zu ihrem Vater Martin, den Cory gut kennt und dem er einen Vortrag zum Thema Trauer hält. Danach zu Natalies Bruder Chip, der als Junkie zusammen mit anderen Junkies in einem Wohnwagen haust. Und von dort rauf in die Berge zu einem Lager von Arbeitern einer Bohrstation. Hier in der Gegend wurden nämlich Ölvorkommen entdecket, worauf den Indianern das Stück Land „abgekauft“ wurde, und nun leben die Jungs da draußen in der Wildnis, in der Einöde, in der Stille, im Schnee und schieben Frust. Einer von diesen Jungs, Matt, war Natalies Freund, und diesen Umstand sollten sowohl Natalie als auch Matt mit dem Leben bezahlen. Als Jane mit der Polizei dort oben anrückt, gibt’s ein mörderisches Geballer, in dem fast alle sterben. Doch der alte Jäger Cory kann auch gut schießen und rettet Jane und danach schnappt der sich den Mann Pete, der Natalie vergewaltigt und führ ihren und Matts Tod verantwortlich ist und nimmt ihn mit hoch in die Berge…

   Dazu stimmen Warren Ellis und Nick Cave ihre charakteristisch düster-feierlich-meditativen Klänge an, und wo immer diese beiden Herren aufkreuzen, ahnt man schon, dass dies ein richtiger Männerfilm sein wird, in dem kein Mann seiner Bestimmung entgehen kann. Also ist dies zum Teil erstmal ein moderner Western mit dem entsprechenden Personal – harte, lakonische, lebenserfahrene Männer, die wenig Worte machen, aber trotzdem tief fühlen. Männer, die tun, was sie tun müssen. Und die auch Fehler machen und genauso sehr darunter leiden wie die, denen sie diese Fehler antun. Und die vor allem das Land und seine Gesetze kennen und achten. Und die auch wissen, dass hier draußen ein jeder auf sich allein gestellt ist. Und die deshalb alle mindestens eine Knarre besitzen (meistens aber gleich mehrere…) und die im Zweifelsfall dann auch benutzen. America for you, folks. Es gibt auch Frauen hier, klar, aber die sind eigentlich wie im klassischen Western nur dazu da, die Männer in ihren Rollen zu fixieren. Oder ihnen Schmerzen zufügen, indem sie sie verlassen oder sterben, damit sie dann so tief melancholisch raus in die Ferne blicken können. Dieser Teil des Films ist mir vielleicht nicht ganz so lieb, um es mal so zu sagen. Autor/Regisseur Taylor Sheridan hat diesen Teil aber auch mit tiefster Überzeugung geschrieben und gestaltet und ihn total ernst gemeint, also muss ich damit leben. Na gut. Das geht in diesem Fall, weil der Film eben auch einen anderen Teil hat, der mir sehr gut gefallen hat. Diese ganze Western-Krimi-Geschichte übernimmt nämlich erst in letzten Teil das Kommando, davor geht’s eher um die Leute hier draußen im Reservat, darum, wie sie leben, und was die Lebensbedingungen mit ihnen gemacht haben. Da wird’s dann schon mal politisch, oder vielleicht eher gesellschaftspolitisch. Das Reservat Wind River als weltabgeschiedener, vom weißen US-Mainstream verlassener, ignorierter Ort, in dem Elend, Drogensucht, Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit vorherrschen. Und sollte sich tatsächlich auf dem den Indianern einst zugewiesenen Stückchen Land doch noch etwas von Wert finden (sprich Erdöl oder andere Bodenschätze), so werden die Roten kurzerhand enteignet oder billig ausgezahlt. Es ist wie immer, wie im 19. Jahrhundert, wie im 20. Jahrhundert, auch in diesem Jahrhundert noch immer, und es wird sich wohl auch nie ändern. Nur spricht man kaum noch drüber, zumindest hier in Europa hören wir selten mal was davon, schon gar nicht in der populären Kultur. Die Indianer haben kaum noch eine wahrnehmbare Stimme, weder in der Popmusik, noch in der Literatur, noch im Film – alles auf unsere Wahrnehmung bezogen, wohlgemerkt, aber irgendwie glaube ich nicht, dass es drüben in den Staaten wirklich vollkommen anders ist. Gut fürs weiße Establishment, scheiße für die Rothäute, but what the fuck…Cory nun, wie alle echten Trapper des alten Westens, steht irgendwo zwischen den Kulturen, zwischen den Farben. Einerseits ein Weißer von Geburt, doch auf vielfältige Art mit den Roten verbunden, auch im Denken und Fühlen, aber eben niemand, der ein großes Fass aufmachen, der deshalb viele Worte machen würde. Er weiß, dass er die Verhältnisse nicht verändern könnte und lebt mit ihnen im Großen. Nur wenn ihm privat jemand querkommt, reagiert er nach Sitte des Landes. Wie er mit Natalies Vaters Martin oder mit dem indianischen Polizeichief Ben (jener Graham Greene vom Anfang) redet, zeugt von langjährigen bitteren Erfahrungen und dem Wissen um die Kompromisse, die er machen muss, wenn er am Leben bleiben will.

   Indem diese beiden Seiten der Story eng und überzeugend miteinander verzahnt sind, kann mir „Wind River“ insgesamt gefallen. Die Erzählung geht zumeist sehr ruhig voran, nachdenklich, etwas schwermütig, die Bilder aus dem Reservat sind so beklemmend wie die umgebende Landschaft grandios, fast einschüchternd wirkt. Irgendwie scheint es die legendäre „Frontier“ noch immer zu geben, jenes ferne Land im Westen. Nur trifft dieser Mythos in diesem Film auf eine ernüchternde, bestürzende Realität, die jede Romantik verbietet und im Keim erstickt. Der Frontier Spirit existiert nur noch in wirren Träumen. Dazu gibt’s dann einige Gewaltausbrüche, die umso erschreckender sind, da sie völlig unvermittelt in die Stille einbrechen, und es gibt die Figur der Jane, die als eine Art kultureller Mittler dienen könnte, dies aber faktisch nicht tut, da sie mehr und mehr unterzugehen scheint in einem Land, das sie nicht kennt und nicht versteht. Sie versteht durchaus, dass es um weiße Gewalt geht und um männliche Gewalt, und dass beides eng zusammenhängt, nur sind ihre Versuche, hier mit Gesetz und Ordnung zu argumentieren, von Anfang an zum Scheitern verurteilt, wie ihr Cory und Ben rechtzeitig klarmachen. Dass sämtliche Konflikte wieder mal nur mit Schießprügeln geklärt werden können, könnte man als Bankrotterklärung verstehen, falls die Amis sowas denn noch nötig haben…

   Also eine zweigespaltene Sache, sehr amerikanisch in vieler Hinsicht, aber eben dadurch interessant, dass hier mal die Rückseite des Mondes betrachtet wird. Angenehm finde ich auch, dass der Film auf missionarische Gesten verzichtet und nicht so tut, als könne er an den gezeigten Verhältnissen was ändern. Er trifft durchaus eine klare Aussage und ergreift auf seine Weise Partei, verkneift sich aber wohlfeiles Gutmenschentum. Und wahrscheinlich hören wir jetzt erst wieder in zehn Jahren was aus den Reservaten… (24.2.)