Zwei Herren im Anzug von Josef Bierbichler. BRD, 2017. Josef Bierbichler, Martina Gedeck, Simon Donatz, Sophie Stockinger, Irm Hermann, Benjamin Cabuk, Sarah Camp, Catrin Striebeck
Hauptdarsteller: Josef Bierbichler. Regie: Josef Bierbichler. Drehbuch: Josef Bierbichler. Nach einem Roman von, jawohl, Josef Bierbichler. Okay, der Mann hat sich was getraut, oder aber er ist auf einen ausführlichen Egotrip gegangen, je nachdem, wie man das sehen möchte. Ich schätze ihn als Schauspieler eigentlich schon, und kann mir vorstellen, dass aus dem Projekt vielleicht was hätte werden können, wenn er vielleicht die Verantwortung ein wenig anders verteilt hätte. So bleibt bei mir der starke Eindruck zurück, er habe sich alles in allem ziemlich verhoben und einen durch und durch unausgegorenen und missratenen Film produziert, der mich fast einhundertvierzig Minuten meiner Lebenszeit gekostet hat. Und ich kann berichten, dass es einhundertvierzig sehr lange Minuten waren…
Worum geht’s? Mama ist gestorben, und Papa und Sohnemann sitzen nun nach der Totenfeier beisammen im Wirtshaus, und plötzlich fordert der Sohn den Vater auf, endlich sein langes Schwiegen zu brechen und zu erzählen, aus seinem Leben und warum er so geworden ist. Der Papa tut das schließlich auch, doch Sohnemann ist nicht zufrieden und rückt schließlich mit seiner Version heraus, die ein paar mehr bittere Wahrheiten enthält. Und am Schluss sitzen da zwei Herren in feinen Anzügen mit Hut, haben sich das ganze Leid angehört und gehen einvernehmlich im See schwimmen, bis nur noch die Hüte zu sehen sind, wie sie friedlich auf der Wasseroberfläche treiben.
Worum geht es also? Um Familie, um strenge Religion, um Drill, Gehorsam und Tradition, um unterdrückte Gefühle, um Sprachlosigkeit, um Faschismus, Missbrauch, Verdrängung und Schuld. Der Vater Pankraz ist von Anfang an eingesperrt in einem Leben, das er nicht gewählt hat und auch nicht wollte. Er ist eher künstlerisch orientiert, möchte am liebsten ein Sänger werden, doch sein tyrannischer alter Herr hat ihm keine Wahl gelassen und ihn gezwungen, den Hof zu übernehmen. Er fügt sich und lässt seine Frustration fortan an Frau und Sohn Semi aus, gibt sich herrisch, schweigsam, unnahbar. Seine tiefreligiösen Schwestern martern ihn mit ihrer Bigotterie, und ganz spät im Film erfahren wir, was ihn abgesehen von dieser tristen Familiensituation am stärksten geprägt hat, nämlich seine Beteiligung an einem SS-Massaker während des Russlandfeldzugs und die schwere Last der jahrzehntelang verdrängten und nie ausgesprochenen Schuld. Ach ja, und er ist auch schuld daran, dass sein Sohn von einem pädophilen Schweinepriester im Klosterinternat missbraucht wird, denn er bestand darauf, dass Sohnemann dorthin geht, obwohl der ihn angefleht hat, zuhaus bleiben zu dürfen. Und ganz am Ende kommt noch eine besonders gruselige Phantasie des Sohnes, der davon träumt, zurück in den Leib der Mama zu kriechen, und dieser Traum wird nun an der sterbenden Mama vollzogen, an der Semi nachher aktive Sterbehilfe vollzieht. Oder nicht…?
Tja, und worum geht’s jetzt wirklich? Um alles und nichts, hatte ich den Eindruck. Ein Sammelsurium an Themen und Motiven wird angerissen und kein einziges vernünftig entwickelt, und erst recht gelingt es Bierbichler nie, diese verschiedenen Motive in einen halbwegs überzeugenden und sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Vor allem die erste Hälfte ist unfassbar fahrig und wirr, während die zweite dann inszenatorisch immer stärker zerbröselt. Künstlerisch gesehen finde ich den Film sowieso äußerst divers und weitgehend missglückt. Das fängt beim Handwerklichen an, zieht sich quer durch die kaum vorhandene Dramaturgie und hört mit der Besetzung auf. Vor allem Bierbichler selbst ist über weite Strecken viel zu alt, während Gedeck am Schluss äußerst unglücklich und ungeschickt auf alt getrimmt wurde. Mag sein, dass Bierbichler sich absichtlich von der modernen glatten Technik und Ästhetik absetzen wollte, auf mich allerdings wirkt der Film manchmal geradezu amateurhaft, und er ist damit seinem eigentlich ziemlich ernsten und ambitionierten Thema in keiner Weise behilflich. Mir ist es bis zuletzt nicht gelungen, zu einer der handelnden Personen irgendeine Verbindung herzustellen, gleichsam fand ich mich überhaupt nicht ins Milieu einbezogen, und die unterschiedlichen historischen Etappen werden wenig griffig und sinnfällig abgegrenzt und nachfühlbar gemacht. Die Vater-Sohn-Szenen in der Jetzt-Zeit beispielsweise werden komplett verschenkt, gehen nie an die Substanz, verharren in ominösen Andeutungen und weinerlichen Beschuldigungen bzw. Selbstbezichtigungen. Die Kriegssequenz mit ihrem spröden Realismus wirkt wie nachträglich reingeschnitten, ein Fremdkörper im ohnehin konfusen und wenig kohärenten Gesamtbild, und außerdem hätte ich gern mehr darüber erfahren, wessen Erinnerung das nun ist, denn eigentlich waren wir bei Semis Version, und dort hätte diese Episode wohl kaum Platz. Am Schlimmsten aber fand ich in diesem Zusammenhang die Dialoge, die sich zum Teil extrem gestelzt, gekünstelt, literarisch anhören und vor allem nie und nimmer zu den vorgestellten Menschen passen. Hier hat der Schriftsteller Bierbichler den Wechsel ins Drehbuchfach eindeutig nicht hingekriegt, oder er hat‘s mit Absicht so stilisiert, egal, mich hat’s so oder so genervt.
In einer der aktuellen epd-Ausgaben wird die Nachfrage nach Kriterien für einen schlechten Film gestellt. Ich würde für mich sagen, dass ein schlechter Film einer ist, der mich nicht berührt, der nichts in mir bewegt, der keine Spuren hinterlässt, mich nicht zur Auseinandersetzung reizt, mich zu nichts anregt und mich abgesehen von alledem auch nicht unterhält. Wenn ich das mal so überblicke, stelle ich fest, dass genau dies alles auf „Zwei Herren im Anzug“ zutrifft. Ergo: Ein schlechter Film. (27.3.)