Adam & Evelyn von Andreas Goldstein. BRD, 2018. Florian Teichtmeister, Anne Kanis, Lena Lauzemis, Milian Zerzawy, Christin Alexandrow
Sommer 1989 in der DDR, da weiß man gleich, es geht um große Veränderungen. Die einen sehnen sie geradezu herbei, andere nicht. So geht es Evelyn und Adam. Sie hat ihr Studium abbrechen müssen, jobbt jetzt in der Gastronomie, und alles in ihr strahlt Unzufriedenheit, Ruhelosigkeit, Freiheitsdrang aus, zumal Tag für Tag die Meldungen im Radio zu hören sind, dass sich mehr und mehr DDR-Bürger in Ungarn einfinden, weil es von dort einen Weg über Österreich in den Westen gibt. Ihr Freund Adam ist das genaue Gegenteil – ein wortkarger Damenschneider, den all die Nachrichten vom Auflösen des alten System nicht interessieren, der sich völlig selbst genügt, der mit sich und seinem beschaulichen Leben zwischen Fotolabor und Nähmaschine vollauf zufrieden ist, dessen Phlegma Evelyn über Kurz oder Lang in den Wahnsinn treiben wird, soviel ist sicher. Als er eines Sommertages beim Maßnehmen bei einer reiferen Dame die Hände wie zufällig auf ihre Hüften sinken lässt und sich plötzlich (und sicher eher nicht gewollt) in einer innigen Umarmung wiederfindet, hat Evelyn endgültig genug. Der geplante Balaton-Urlaub, den er als überzeugter Gartenhocker sowieso nie so richtig wollte, ist geplatzt, und sie schließt sich ihrer Freundin Simone und deren Freund Michael aus Hamburg an, die das gleiche Ziel haben. Der konsternierte Adam fährt ihnen mit seinem schönen alten Wartburg hinterher und gabelt unterwegs Katja auf, die kein Visum hat und die er deswegen im Kofferraum über die Grenze schmuggelt, wobei der von der Begeisterung der Grenzmänner für sein Auto profitiert. Am Balaton treffen sie dann aufeinander, und es entwickelt sich ein ausgesprochen ungemütliches, angespanntes Beisammensein. Evelyn lässt sich kurz mal mit Michael ein, worauf Simone wutentbrannt abreist. Evelyn und Michael werden ihre Pässe geklaut und alle müssen nach Budapest in ihre jeweilige Botschaft, doch während Evelyn problemlos Hilfe bekommt, verheddert Michael sich erstmal schön im Dickicht westdeutscher Bürokratie. Evelyn und Adam finden wieder zusammen und reisen über Österreich in den Westen, landen in Hamburg, doch Adam kommt nicht so richtig dort an. Er fährt nach dem Mauerfall zurück in den Osten und findet sein Haus verwüstet vor – vermutlich die lieben Nachbarn. Evelyn ist entschlossen, in der BRD ein neues Leben anzufangen, fühlt sich aber gehemmt von Adam, der sich klamm und fremd fühlt. Am Ende stehen sie am Fenster in ihrer neuen Hamburger Wohnung, und obwohl beide den gleichen Ausblick haben, sehen sie doch jeweils etwas ganz Anderes.
Berliner Schule, das sieht man gleich. Kaum Kamerabewegungen, lange durchgehaltene Einstellungen, die auch dann noch fortdauern, wenn andere längst weggeschnitten hätten, viel Raum für Licht und Wind und Atmosphäre, spärliche Dialoge, die nicht immer das zu transportieren scheinen, was wichtig ist und worüber wir Auskunft begehren. Kurz, man muss es mögen. Auf jeden Fall ist ein Film wieder dieser absolut erhaben über den Verdacht gefälliger, kinogerechter Ostalgie, die sich dem Publikum anbiedert. Hier geht es karg und spröde zu, und je nachdem, wie man sich darauf einlassen kann, besteht auch die Gefahr, dass man als Zuschauer völlig draußen vor bleibt. Stärken und Gefahren dieses Stils liegen also je nach Veranlagung sehr dicht beisammen, und so erging’s mir heute auch beim Zusehen. Manche Szenen waren ganz großartig und auch sehr ausdrucksstark, dann wieder kehrt eine gewisse bleiern schleppende Lähmung ein, die sicherlich zum Teil beabsichtigt ist und etwas über Zeit und Atmosphäre damals aussagen will, die mir aber andererseits hier und da auch mal den Zugang versperrt hat. Vor allem zu den Personen hier, und das habe ich am meisten bedauert, die bleiben für mich in recht weiter Entfernung, ich kann ihnen kaum näher kommen, weil sie von der eher distanzierten Regie zu wenig Raum bekommen. Adam ist sowieso einer dieser notorisch schweigenden Männer, die man irgendwann prügeln möchte, damit sie endlich mal was sagen und nicht nur hilflos vor sich hin stieren. In einem interessanten Gespräch über dem nächtlichen Budapest hat er immerhin Gelegenheit, seine Weltsicht mit der des Wessis zu messen und festzustellen, dass Freiheit nicht allein die Freiheit des Reisens und des Konsums bedeuten muss, wie die Wessis gerne betonen, sondern dass man durchaus auch in vermeintlich engen, begrenzten Verhältnissen so etwas wie Freiheit empfinden kann. So geht es ihm jedenfalls, obwohl er kaum jemals seinen Garten verlässt, denn wahre Freiheit findet er auch so. Da hab ich mal was, womit ich mich auseinandersetzen kann, und der Film lenkt mein Votum durchaus nicht einseitig in Adams Richtung, so schnöselig und einfältig der Hamburger Michel auch argumentieren mag. Denn auch in Adams Sicht der Dinge liegt eine gehörige Prise Ignoranz oder Einfältigkeit, je nachdem, denn er scheint die Krisen, die Misstöne, die Katastrophen der DDR einfach zu verdrängen, indem er sich auf sein kleines gemütliches privates Reich zurückzieht und so tut, als ginge ihn die Welt um ihn herum gar nichts an. Evelyns oft fassungslosen Blick kann ich da nur zu gut verstehen, überhaupt steht sie eher für diejenigen, die nach Veränderung streben oder, wenn sie intern nichts verändern können, zumindest nach Veränderung ihrer eigenen Lebenssituation. Anders als Adams Verharren im Statischen scheint die ein viel menschlicherer, nachvollziehbarer Reflex zu sein, und insofern sind die beiden ein Paar, das nicht sonderlich gut zusammen zu passen scheint, es sei denn, man glaubt unbeirrt an die Anziehungskraft der Gegensätze. Dennoch ist auch Adams Hilflosigkeit nicht unverständlich und sicherlich auch repräsentativ für eine Menge Bürger, die einfach nicht wussten, wie sie sich helfen, wie sie reagieren sollten- Die Flucht ins traute Heim ist eine sehr verständliche Reaktion, und wenn ich wütend über sowas bin, versuche ich nur, meine eigene Trägheit zu negieren.
Wen ich das jetzt so Revue passieren lasse, setzt „Adam und Evelyn“ doch eine ganze Menge Überlegungen und Gedanken in mir frei – wenig Emotionen wohlgemerkt, so ist er auch nicht angelegt. Zwischen den ruhigen Tableaus, den vielen sprachlosen Sequenzen kommt aber doch immer wieder etwas zum Vorschein, das mir Stoff und Anregung gibt, und so finde ich den Film dann doch ganz gut, wenngleich der mich wenig bewegt oder berührt hat. Berliner Schule halt. (18.1.)