Shelter (Aus nächster Distanz) von Eran Riklis. Frankreich/BRD, 2017. Neta Riskin, Golshifteh Farahani, Haluk Bilginer, Lior Ashkenazi, Yahuda Almagor, Doraid Liddawi, Mark Waschke, August Wittgenstein
Naomi ist Mossad-Agentin im Stand-by-Modus, und nun wird sie reaktiviert, um eine libanesische Informantin namens Mona für zwei Wochen zu beschützen. In dieser Zeit soll ein gesichtschirurgischer Eingriff angeschlossen werden und anschließend wird Mona nach Kanada ausreisen. Die Hisbollah wird vermutlich versuchen, sie als Verräterin zu eliminieren, und zu diesem Zweck hat der Mossad eine angeblich sichere Wohnung in Hamburg-Hoheluft ausgewählt. Naomis Kontaktmann versichert ihr, dass gar kein Risiko bestehe, und je dringender er ihr dies versichert, desto misstrauischer wird sie. Der Mann auf dem Balkon gegenüber, der immer so komisch rüberschaut, der angeblich neue Mieter, der ihr freundlich im Treppenhaus begegnet, der Hausmeister, der plötzlich in der Wohnung ist, um ein angeblich defektes Wasserrohr zu reparieren – alle sind verdächtig. Und gelegentlich baut Naomi sie in paranoide Tagträume ein. Ihre erste Begegnung mit der verpflasterten Mona verläuft eher kratzbürstig und distanziert, doch nach und nach tauen beide auf und nähern sich an, vor allem, als sie begreifen, welch große Opfer sie jeweils für die „Sache“ bringen mussten. Mona musste ihren kleinen Sohn in Beirut zurücklassen und hat nun große Angst, dass sie ihn nicht mit nach Kanada nehmen kann. Naomi hat vor einigen Jahren ihren Mann bei einem Einsatz in Kenia verloren und versucht nun, ihren unerfüllten Kinderwunsch mittels künstlicher Befruchtung zu erfüllen. So entsteht fast so etwas wie eine solidarische Frauenfreundschaft inklusive Kindergeburtstag für den abwesenden Sohn und gemeinsamem Aufbrezeln für einen Abend in der Stadt, der nie stattfinden kann, weil Mona die Wohnung nur verlassen darf, um ihre Termine beim Gesichtsoperateur wahrzunehmen. Die Hisbollah kriegt bald Wind davon, wo sie sich aufhält, doch haben die Soldaten zunächst die falsche Wohnung im Visier. Hinter den Kulissen spielen aber noch andere mit, nämlich die Geheimdienste der USA und der BRD, und die haben offenbar beschlossen, der Hisbollah aus politischen Gründen ein kleines Bauernopfer zuzuspielen, und dieses Bauernopfer heißt Mona. Naomi kann ihren Tod nicht verhindern und wird mit viel Mühe zurück nach Tel Aviv geschleust. Sie reist nach Beirut zu dem Kloster, in dem Monas kleiner Sohn angeblich versteckt wird. Dort findet sie aber nur sein Grab vor, dem sie entnehmen kann, dass er bereits seit längerem gestorben ist. Kurz darauf wird sie ihren letzten Termin in der Frauenklinik haben.
Riklis versucht hier, Kammerspiel und Politthriller zusammenzubringen. Zwei Frauen in einer Wohnung und drum herum die Machtspiele der Geheimdienste. Das hat er teilweise durchaus auch etwas melodramatisch umgesetzt, und ich hätte mir gewünscht, er hätte die Verschwesterung der beiden nicht ganz so total werden lassen, sondern ein wenig mehr Fremdheit erhalten. Immerhin treffen hier eine Jüdin und eine Palästinenserin aufeinander und zudem zwei vom Typ her recht unterschiedliche Frauen – die eigentlich lebensfrohe Mona und die eher spröde Naomi. Zum Glück entschädigen Neta Riskin und Golshifteh Farahani mit ihrem fabelhaft nuancierten Spiel dafür, dass Riklis insgesamt ein wenig zu schematisch und flüchtig zu Werke geht, wenn er das Zusammenleben in der Hamburger Wohnung beschreibt. Die recht luxuriöse Unterkunft in einem feinen Viertel kontrastiert dabei geschickt mit Paranoia und Klaustrophobie, denn Mona ist hier eingesperrt und Naomi vermutet hinter jedem Menschen einen gefährlichen Feind. Riklis gelingt es hier ausgezeichnet, eine Atmosphäre des Misstrauens, der Unsicherheit und Angst zu verdeutlichen, denn es geht ganz klar um Leben und Tod, es geht um Krieg und Rache und Hass. Und hier ist der Film ausgerechnet am spannendsten und interessanterweise deshalb, weil er rein äußerlich gar nicht viel dafür tut. Die Männer der Hisbollah sind keine blutspuckenden Fanatiker, sondern wirken fast ruhig und besonnen. Auf der anderen Seite ist Naomis Kontaktmann ein gepflegter, unauffälliger Geschäftsmann, der ebenfalls nie die Ruhe verliert, nur ganz plötzlich abtaucht und sie in Hamburg alleinlässt, als es für ihn gefährlich wird. Der Krieg ist eine bittere Normalität geworden, hat eine Alltäglichkeit bekommen, mit der alle auf ihre Weise umgehen und leben. Beide Gegner sind international vernetzt und bewegen sich über alle Grenzen mit absoluter Selbstverständlichkeit. Die Welt ist zum globalen Dorf geworden, und so reist ein Killerkommando aus Beirut ganz locker und unbehelligt in Hamburg ein. Der Mossad hat im Hafengebiet ein kleines Büro, von wo die Operation koordiniert wird. Wir verstehen später, dass der BRD-Geheimdienst von all dem weiß und eigentlich nur versucht, die Dinge in einer nützlichen Balance zu halten. Logisch, dass unsere Freunde aus den USA kräftig mitmischen und stets darauf achten. Dass die sogenannten „übergeordneten“ Interessen gewahrt bleiben, weswegen die Dinge sich dann so entwickeln, wie sie es tun, sprich Mona der Hisbollah zum Fraß vorgeworfen wird. Das ist der eigentliche Skandal in dieser Geschichte, und Riklis serviert ihn uns fast beiläufig, aber das passt wohl auch, denn so läufts eben – hier ein kurzes informelles Gespräch, dort ein Angleich der Positionen und Interessen, der deutsche Bedenkenträger wird freundlich in die Schranken gewiesen und darf dann zur Hisbollah gehen und den Deal klarmachen. Nachdem Riklis zuvor durchaus etwas dafür getan hatte, Spannung zu erzeugen, verzichtet er an dieser Stelle völlig auf Effekte oder reißerische Momente. Mona hat kaum Zeit, das Geschehen zu verarbeiten, flieht nach Köln und von dort über einen weiteren Kontaktmann zurück nach Israel, wo sie dann von einer weiteren schlimmen Lüge erfährt, die sie dann dazu bewegt, endgültig auszusteigen.
Man lebt also mit dem Krieg, im Krieg eher, bringt Opfer, lebt auch damit und mit der Gewissheit, dass man unbedingt ein paar Menschen braucht, denen man hundertprozentig vertrauen kann. Mona lernt nun, dass es auch diese Menschen nicht gibt, dass jeder betrügen wird, wenn es „nötig“ ist, und viel mehr als die Gewalt der Hisbollah oder des Mossad ist es diese Einsicht, die ihr und uns den Boden unter den Füßen fortreißt. Und diesen Punkt mach Riklis sehr effektoll (und gerade ohne große Effekte) deutlich. Sinn oder Wahnsinn dieses Konflikts sind längst kein Thema mehr, alle haben sich arrangiert und ihre Maßnahmen getroffen, diplomatisches Strippenziehen dient längst nicht mehr dem Ziel, den Krieg zu beenden, sondern nur, selbst möglichst gut dazustehen. Schlimmer geht’s eigentlich nicht, und dieser Aspekt ist es dann auch, der den Film trotz einiger Drehbuchschwächen auszeichnet und interessant macht. Und den beiden tollen Hauptdarstellerinnen ist es wie gesagt hauptsächlich zu danken, dass auch der menschliche Aspekt zum Zug kommt. Bedauerlich ist es einmal mehr nur, dass ein solcher Film in unserer kleinen Stadt nur eine einzige Aufführung bekommt. (27.2.)