If Beale Street could talk (Beale Street) von Barry Jenkins. USA, 2018. KiKi Layne, Stephan James, Colman Domingo, Teyonah Parris, Brian Tyree Henry, Michael Beach, Aunjanue Ellis, Diego Luna, Ed Skrein, Emily Rios
Ich hab’s ja normalerweise nicht so mit den Gefühlen – obwohl, es gibt schon ne Menge Filme, die mir sehr nahe gehen und mich sehr bewegen. Selten allerdings gibt‘s mal einen Film, der tiefer geht, der an eine Substanz geht, die nicht häufig berührt wird, und das spüre ich dann schon ganz deutlich während des Zuschauens. Irgendwo zwischen Gänsehaut und Kloß im Hals, aber das hört sich jetzt schon wieder viel zu banal an. Ist auch schwer auszudrücken. Ein Film, der etwas ganz Elementares in mir anspricht und der mich auf eine Weise anzieht und fasziniert, die ich nicht sehr oft erlebe, und das ist wahrscheinlich auch ganz gut so. Solch ein Film ist „Beale Street“.
Raoul Pecks grandioser „I am not your negro“ hat mir den Namen James Baldwins vor ungefähr einem Jahr schon dringend anempfohlen, und Barrys Jenkins‘ Romanadaption hat diese Dringlichkeit bestätigt. Dies scheint eine Stimme zu sein, die gehört werden will und muss, und wer überhaupt etwas über schwarzes Leben, schwarze Identität, schwarze Befindlichkeit in den USA erfahren will, wird wohl nicht drumherum kommen, seine Texte zu lesen. Ich jedenfalls werde es baldmöglichst nachholen.
Die Geschichte von Tish und Fonny, die sich schon seit Kleinkindzeit kennen und dann irgendwann entdecken, dass sie sich lieben, da ist Tish schon neunzehn und Fonny zweiundzwanzig und Tish arbeitet als Verkäuferin in der Parfumabteilung und Fonny will gern Bildhauer werden. Tishs Eltern und Fonnys Dad sind cool, doch Fonnys Ma und seine beiden Schwestern sind ein Haufen ätzender frommer Zicken, die die Verbindung mit fieser Verachtung strafen. Das macht Tish und Fonny aber nichts aus. Sie suchen nach einer Wohnung, und das ist sehr schwierig, obwohl in der Bronx ewig viele ganze Etagen leer sind, aber niemand will an zwei junge Schwarze vermieten. Dann haben sie aber doch Glück und bekommen eine große leerstehende Dachwohnung. Kurz darauf wird Fonny von einer jungen Frau aus Puerto Rico beschuldigt, sie vergewaltigt zu haben. Ein weißer Cop, der ihn eh schon auf dem Kieker hatte, hat der Frau was eingeflüstert, und die hat Fonny dann bei der Gegenüberstellung als einzigen Schwarzen unter lauter Weißen rausgepickt, und jetzt sitzt Fonny im Untersuchungsknast, und die einzige Chance wäre, die vergewaltigte Frau dazu zu bringen, ihre Aussage zu widerrufen. Die ganze Familie wirft Geld zusammen, und beide Dads ziehen eine Menge krummer Dinger durch, um einen guten Anwalt zu bezahlen. Trishs Ma reist extra nach Puerto Rico und trifft die Frau auch, doch die will nicht reden und kriegt schließlich einen Schreikrampf. Tish ist schwanger, und Fonny will unbedingt von Anfang an dabei sein. Alle wissen, dass er unschuldig ist, doch die weiße Justiz ist nicht an wirklicher Aufklärung der Tat interessiert, und so ein gammeliger Nigger aus der Bronx kommt gerade recht als Schuldiger. Fonny sieht schließlich ein, dass er keine Chance hat, und um ein möglichst geringes Strafmaß zu kriegen, „einigt“ er sich mit dem Richter, gibt seine „Schuld“ zu, und so müssen Trish und der kleine Sohn ihren Mann und Dad erstmal im Gefängnis besuchen.
Alles, was ich in Raoul Pecks Film über Baldwin und seine wesentlichen Themen und Motive erfahren und gehört habe, ist hier präsent. Die Zärtlichkeit und die Wut, die Hoffnung und die Verzweiflung, die Liebe und die Aggression, der Zusammenhalt der Familie, der Community und der weiße Rassismus und seine Folgen. Barry Jenkins liefert hier die großartigste Regiearbeit, die ich seit sehr langer Zeit genießen durfte. Er schafft einen einzigartig sinnlichen, hypnotischen Flow, lässt die Bilder warm und farbensatt schweben, umkreist die beiden, taucht in ihre Nähe ein, lässt die Zeitebenen ineinanderfließen, die triste Gegenwart, den Kampf um Fonnys Unschuld und Freiheit und frühere Momente, das Zusammenfinden der beiden, das erste Mal, das Wachsen als Paar. Nie zuvor, würde ich jetzt mal einfach behaupten, habe ich Momente derartiger Intensität und Intimität auf der Leinwand erlebt, habe ich eine solch herzzerreißend schöne Liebe im Kino erlebt. Was Jenkins hier mit den Gesichtern macht (und die beiden haben wirklich ganz tolle Gesichter!), wie er eine fast magische Chemie zwischen den beiden Liebenden erzeugt, wie der Tish und Fonny ins Zentrum eines ganzen Universums stellt als unverrückbare, absolute Größe gegen all die Anfechtungen durch das weiße System, das sagt auf seine Weise mehr als jeder Agitationsfilm, jedes Politpamphlet. Ich gebe zu, dass ich nicht mal richtig beschreiben kann, wie schön diese Momente sind, sie sind ein Geschenk für Tish und Fonny, und Jenkins hat sie so in Szene gesetzt, dass sie auch ein Geschenk für uns sind. Wenn es jemals einen sinnlichen Film gegeben hat, dann ganz sicher diesen.
Die andere Ebene wird dabei aber nicht vergessen, die Gesellschaft, die Zeit, die 70er Jahre, die Drogen, die Ghettos, die Angst und die Eskalation überall und auf allen Seiten. Dies ist ein schwarzer Film, es kommen kaum Weiße oder Latinos vor, höchstens ganz am Rande, und diese in Hollywood extrem seltene, auch heute noch ziemlich provozierende Selbstverständlichkeit und Selbstbewusstheit fällt zunächst gar nicht auf. Dennoch sind die Weißen natürlich ständig präsent und zwar in Form des Gesellschaftssystems, das sie den Schwarzen aufgezwungen haben. Der Rassismus ist systemisch, er ist einfach da, er wird nicht mal mehr diskutiert, er erzeugt zwar immer wieder Wut und ohnmächtige Verzweiflung, doch er ist einfach schon so lange da, dass niemand die Kraft hat, sich dagegen insgesamt aufzulehnen. Dier einen können nur mit Drogen oder Gewalt darauf reagieren, viele haben gottseidank andere Methoden gefunden, und genau auf die scheint auch James Baldwin zu setzen. Tish und Fonny setzen ihre Liebe dagegen, Tishs Familie setzt ihren Zusammenhalt, ihre Solidarität dagegen, und das ist ungeheuer stark und wichtig und vor allem sehr menschlich, und dennoch schlägt die Unrechtsjustiz willkürlich und jederzeit zu, so wie sie es immer getan hat und immer tun wird. Fonnys alter Kumpel Daniel ist eines der Opfer, er kommt gerade recht gebrochen aus dem Knast, hat das gleiche Unrecht erlebt, die gleiche Demütigung wie viele andere Schwarze. Die Absolutheit ihrer Liebe kann Tish und Fonny für eine bestimmte Zeit vor diesen Anfechtungen schützen, doch nicht für immer. Am Ende sehen wir, und das ist das mit Abstand Traurigste am ganzen Film, dass ihre Blicke ein wenig müde und leer geworden sind, ihre Gesten ein wenig zögerlicher, unsicherer. Und plötzlich bin ich nicht mehr so sicher, dass sie diese Prüfung überstehen werden, woran zuvor nie ein Zweifel bestand, und zumindest ich habe den Ausklang als ziemlich beklemmend empfunden, und Billy Preston, wenn er mit schmerzdunkler Stimme „My country tis of thee“ singt, hat daran auch nicht unbedingt was geändert.
Dies ist ein Film, wie man ihn nicht sehr oft zu sehen kriegt. Man muss auf seine Langsamkeit einsteigen wollen, auf seinen Sog, seinen rauschhaften Rhythmus, und wenn man das tut, dann wird man sicherlich außerordentliche zwei Stunden erleben. Die Gesichter von Tish und Fonny werde ich so schnell nicht wieder vergessen. Jenkins beschert mir mit seinem zweiten Film nach dem etwas sperrigeren „Moonlight“ viele unvergessliche Momente, ein unglaublich starkes Statement in Sachen Black Identity und eine Liebesgeschichte, wie ich sie schöner noch nicht gesehen habe. Aber das sagte ich wohl schon… (11.3.)