Burning (버닝) (Burning) von Lee Chang-dong. Südkorea, 2018. Yoo Ah-in, Steven Yeun, Jeon Jong-Seo
Erst dacht ich noch, achduscheiße, zweieinhalb Stunden bis nach Mitternacht, das kann ja heiter werden, aber insgesamt fand ich mich am Schluss deutlich wacher als befürchtet, vor allem im Nachgang setzt dieser merkwürdige Film eine Menge Nachdenkerei frei. Und das ist ja wahrlich nichts Geringes und erst nicht selbstverständlich.
Der unscheinbare und eher eigenbrötlerische Jongsu, schlägt sich mit kleinen Jobs in der Hauptstadt durch und schaut außerdem draußen in Paju nahe der Grenze zum Norden nach dem verwaisten Elternhaus mit einer verbliebenen Kuh. Der Vater, ein notorischer, störrischer Querulant dreht endgültig durch, nachdem die Mutter die Familie verlassen hat, greift einen Polizisten an und steht vor einer Gefängnisstrafe. Zur Mutter, die das Zusammenleben mit dem Vater nicht mehr ertragen konnte, hat Jongsu sporadisch Kontakt, und auch sonst lebt er ziemlich allein und in wenig vielversprechenden Verhältnissen. Bei einer Werbeveranstaltung in der Einkaufszone quatscht ihn die fesche Haemi an, die behauptet, ihn von der Schule und früher aus der Nachbarschaft in Paju zu kennen, doch er kann sich eher vage erinnern. Das attraktive Mädchen wickelt ihn locker um den Finger, schleppt ihn zu sich nach Hause und ins Bett ab und überredet ihn, während ihrer bevorstehenden Auslandsreise auf ihre Katze aufzupassen. Diese Katze wird Jongsu niemals zu Gesicht kriegen, nur ein bisschen Kacke im Katzenklo unter Haemis Bett, doch das ist ihm total wurscht, denn er hat sich halsüberkopf in sie verliebt und erwartet ihre Rückkehr aus Afrika sehnsüchtig. Umso herber ist dann die Enttäuschung, als sie am Flughafen Ben im Schlepptau hat, einen Landsmann, den sie unterwegs aufgegabelt hat und der ihr fortan kaum noch von der Seite weicht. Ein cooler, smarter, neureicher Typ, dem Jongsu in Sachen Prestige nicht das Wasser reichen kann. Haemi geht auf Distanz, hängt zumeist mit Ben ab, und Jongsu kriegt es nicht fertig, sich ihr zu nähern, ihr seine Gefühle darzulegen, sondern er steht zumeist wortlos und störrisch in der Gegend herum, während Ben locker Konversation macht und Haemi in seinem Porsche herumkutschiert. Jongsu spürt deutlich, dass Ben zwischen ihm und Haemi steht, dass er keinen richtigen Kontakt zu ihr kriegt, und dann ist sie eines Tages plötzlich weg und taucht nicht wieder auf, ist telefonisch noch sonstwie erreichbar. Ben tut, als sei nichts Ernstes geschehen und schafft sich alsbald eine neue schicke Freundin an, doch Jongsu macht sich Sorgen. Dieses Gefühl steigert sich in reine Panik, als er bei Ben Haemis Armbanduhr findet und Ben plötzlich eine Katze hat, die ihm angeblich zugelaufen ist. Jongsu dreht durch, fährt mit Ben raus aufs Land, tötet ihn mit einem Messer und setzt ihn mitsamt des Porsches und seiner eigenen blutbesudelten Kleidung in Brand und fährt splitternackt in seinem alten Lastwagen zurück in die Stadt.
Was haben wir hier also? Einen Psychothriller, ein Liebesdrama, eine dunkle erotische Dreiecksstory, eine Paranoiageschichte? Vielleicht. Vielleicht haben wir hier aber auch etwas ganz anderes, etwas, auf das im Laufe der Handlung mehrmals angespielt wird: Jongsu hat Ambitionen zur Schriftstellerei, also wer weiß, ob sich hier nicht zunehmend Fiktion und Realität vermengen und die Trennlinien zunehmend unscharf werden? Jedenfalls scheinen wir Zuschauer auch keinen objektiven, klaren Blick auf das Geschehen zu haben, sind gezwungen, uns Jongsus Perspektive anzueignen, und die wird immer fiebriger, obsessiver, schwankender. Ist Ben wirklich ein eiskalter Mörder oder einfach nur ein reicher Schnösel mit der üblichen Portion Gleichgültigkeit? Nur weil er hobbymäßig Gewächshäuser in Brand setzt, heißt das noch lange nicht, dass er gleich Leute umbringt. Was ist mit Haemis Katze, gibt es sie nun oder nicht? Was ist mit einer alten Geschichte, die Haemi erzählt, an die sich Jongsu partout nicht erinnern kann, obwohl er sie als kleines Mädchen angeblich aus einem tiefen Brunnen gerettet hat? Was an der ganzen Geschichte ist reine Phantasie und was nicht? Wie verlässlich ist das, was mir hier in Wort und Bild angeboten wird? Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger vermag ich es zu sagen. Jongsu nennt einmal William Faulkner als seinen Lieblingsautor, was sehr passend scheint, denn Faulkner war ein ausgesprochener Spezialist für unsichere Wahrheiten, subjektive Perspektiven, fieberhafte Besessenheit. Wir sehen Jongsu zwischendurch einmal schreiben und könnten zumindest annehmen, dass er das Erlebte nun in einem Text verarbeitet, wir könnten aber ebensogut das genau Entgegengesetzte annehmen, nämlich dass das, was wir sehen, seiner Imagination entsprungen ist.
Dieses faszinierende, schillernde, suggestive Spiel mit der Realität wird virtuos inszeniert als sinnliches Mysterium, das scheinbar fest und sicher in der Wirklichkeit verankert ist, nur um hier und da einige irritierende Schlenker und Ausbrüche zu machen und schließlich in einem Akt verzweifelter Gewalt endet. Nicht nur Ben wird Opfer der Besessenheit Jongsus, auch dieser selbst, er verliert endgültig den Halt und die Kontrolle, stürzt in einen Abgrund. Lee Chang-dong lässt letztlich alles offen, gibt uns keine Sicherheit, keine Erklärungshilfe, verlässt sich ganz auf die Wirkung seiner scheinbar ruhigen, unter der Oberfläche beunruhigend dräuenden Erzählweise und der Intensität der drei Hauptdarsteller, die fabelhaft zusammen spielen. Eindrucksvolles Kino aus Fernost, von dem ich sehr gern noch viel mehr sehen möchte – nur bitte nicht immer so spät…! (12.6.)