Photo de famille (Das Familienfoto) von Cécilia Rouaud. Frankreich, 2018. Vanessa Paradis, Camille Cottin, Pierre Deladonchamps, Jean-Pierre Bacri, Jean Aviat, Chantal Lauby, Marc Ruchman, Laurent Capelluto, Claudette Walker

   Das in Frage stehende Familienfoto wurde aufgenommen, als die drei Geschwister Gabrielle, Elsa und Mao noch jung an Jahren waren, und es fängt jenen einen glücklichen gemeinsamen Moment ein, der nicht wiederholbar ist, und der Ort der Aufnahme, Saint-Julien, genießt bei allen dreien seither einen fast mythischen Ruf. Die Sehnsucht nach der verlorenen Kindheit, nach Harmonie, Zusammengehörigkeit, einer heilen Familie halt, all dem, was mittlerweile verloren gegangen ist. Mama und Papa haben als Eltern nicht viel getaugt, haben sich längst getrennt, Papa hat zig Frauen danach gehabt, und mit jeder haben sich die drei Kinder arrangieren müssen, doch nie für lange, weil dann schon die nächste Ersatzmama am Horizont wartete. Also spielten vorzugweise die Großeltern diese Rolle, und die machen sich nun auch auf den Weg. Opa ist soeben verstorben, und Oma ist schwer dement und äußert nur noch den Wunsch, nach Saint-Julien zum Sterben zurückkehren zu dürfen. Eine Zeitlang versuchen Gabrielle und Elsa, die liebenswürdige alte Dame unter sich aufzuteilen, stellen jedoch alsbald fest, dass dies mit ihrem Lebensalltag kaum vereinbar ist. Mao hat von Anfang an abgewunken, und so muss für Oma eine andere Lösung her. Papa ist mit seiner neuesten Eroberung beschäftigt und hat es ohnehin nicht so mit Familie, und Maman, von Beruf Psychiaterin, hat zu ihren Kindern irgendwie nicht die passende Nähe. Die drei Geschwister haben alle Hände voll zu tun, ihr alles andere als gut funktionierendes Privatleben in den Griff zu kriegen, sich um Oma zu kümmern und auch um die Frage, wie sie zu dritt künftig miteinander umgehen wollen, denn Opas Tod hat sie, zunächst eher ungewollt, einander wieder näher gebracht, und es ergeben sich nun immer wieder Situationen, in denen ihnen plötzlich bewusst wird, dass sie sich gegenseitig unterstützen und brauchen und vielleicht doch enger verbunden sind, als sie es bisher wahrhaben wollten.

   Mal sehen also, was es Neues gibt im Wohlfühlfilmland Frankreich. Familienaufstellungen sind da zurzeit ganz groß in Mode, zumeist eher auf der seichten Seite, doch Cécilia Rouaud hat offenbar die Absicht, sich zumindest ein wenig vom Mainstream abzugrenzen und auch ein paar tiefere Töne in ihre Geschichte einzubauen, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg, wie ich finde. Neurosen und Konflikte hat sie auf jeden Fall so reichlich angehäuft, um mindestens zwei bis drei Filme vollzukriegen: Elsas unerfüllten Kinderwunsch, der beinahe ihre Ehe ruiniert, Maos Psychotherapie und sein Alkoholkonsum, die ihn gemeinsam gerade so über Wasser halten, Gabrielles Schwierigkeiten mit dem pubertierenden Sohn, der sich für die Mama schämt, weil die so einen komischen Job hat und ihr Leben auch nur so halb auf die Reihe kriegt und der auf einmal ganz dringend zum Papa ziehen möchte, der sich ansonsten kaum um ihn kümmert. Alle drei sind nicht gerade strahlende Siegertypen, erst recht nicht Maman und Papa, die als Eltern eher dysfunktional genannt werden müssen, und als Sahnehäubchen gibt’s dann noch die süße tüdelige Oma, die hilflos lächelnd von einem zum anderen gereicht wird und am Ende dann auch verstirbt, ohne allerdings nach Saint-Julien gekommen zu sein. Das holen die drei Enkel nach und stellen ihre Pose von einst nach auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Rouaud braucht ganz schön lange, um so etwas wie einen Rhythmus zu finden, die ersten fünfzehn, zwanzig Minuten habe ich als ziemlich holprig empfunden, mit vielen abrupten Szenenwechseln und ebenso vielen kurzen Schnipseln, die es mir nicht gerade leicht gemacht haben, eine Verbindung zu den Personen zu finden. Das gelingt dann mit zunehmender Dauer aber doch besser, weil Rouaud ihre verschiedenen Fäden geschickter zusammenführt und endlich eine dichte, konsistente Story hinbekommt. Sie hat zudem ein ganz gutes Gefühl für Zwischenmenschliches, kreiert zwischendurch immer mal verblüffend markante Szenen, die auch ein wenig an die Substanz gehen und danach fragen, was uns in der Familie verbindet, was uns zusammenhält und ob sich verloren Geglaubtes unter Umständen auch reaktivieren lässt. Das Problem ist, dass zu vieles nur angeschnitten wird, kaum etwas wird mal konsequent in die Tiefe verfolgt, was bei der schieren Anhäufung von Krisen in den knapp einhundert Minuten auch nicht gut bewältigt werden könnte. Hier tritt dann anstelle einer differenzierteren Problembewältigung am Ende doch der Wille zum absoluten Happy End wieder in den Vordergrund, denn auf einmal ist Papa doch nicht so ein egozentrischer Arsch wie zuvor, Maman herzt ihre beiden Töchter ungewohnt innig, Elsa und ihr Mann werden wohl wieder zusammenkommen, Gabrielle und Maos smarter Arbeitskollege könnten sich vielleicht auch einig werden, und allein die Rückkehr nach Saint-Julien scheint für die drei der entscheidende Schritt in eine bessere, vor allem auch gemeinsame Zukunft zu werden. Wenn das nur immer so einfach wäre. Ach ja, und dann singt Cat Stevens auch noch „Wild World“ - alles wird gut.

 

    Okay, aber zuvor passiert wie gesagt so einiges, das ich abwechselnd interessant und amüsant und manchmal eben auch recht anrührend fand, und schauspielerisch das sowieso ziemlich überzeugend. Familiengeschichten interessieren mich grundsätzlich immer, weil sie sich im besten Fall mit grundsätzlichen Dingen des Lebens beschäftigen. Hier ist die Balance zwischen Banalität und Ernsthaftigkeit deutlich besser gelungen als in den meisten der unendlich vielen läppischen und austauschbaren Komödien, die die Franzosen sonst so auf den Markt schwemmen. Wenn die alle so wären wie diese hier, dann könnte ich auf Dauer ganz gut damit leben – sind sie aber nicht… (23.5.)