Das schönste Paar von Sven Taddicken. BRD, 2018. Luise Heyer, Maximilian Brückner, Leonard Kunz, Jasna Fritzi Bauer, Susanne Saschße, Florian Bartholomäi, Aurel Mathei

   Liv und Malte erleben im Urlaub auf Malle den vielleicht schlimmsten Albtraum, den ein – kinderloses – Paar überhaupt erleben kann: Sie wird vergewaltigt und er muss hilflos zusehen. Drei Jungs, die ordentlich getankt hatten und jetzt mal “Spaß“ haben wollen, dringen in ihr Ferienhaus ein, terrorisieren, misshandeln, demütigen die beiden. Einer treibt es ganz besonders schlimm, während die anderen beiden am liebsten abhauen wollen, er will bleiben, er wird Liv schließlich vergewaltigen, nachdem er die beiden zuvor zum Koitus vor aller Augen gezwungen hat. Zwei Jahre danach, Berufsalltag in Köln. Beide unterrichten an der gleichen Schule, berühren sich im Vorbeigehen kurz mit den Händen, lächeln, drehen sich nacheinander um. Vielleicht haben sie es geschafft. Sie beendet jetzt gerade eine Therapie, die ihr offenbar sehr geholfen hat, das Erlebte zu verarbeiten. Er geht abends boxen, spielt in einer Band und kaut ansonsten noch ordentlich darauf herum, so ganz nach Männerart. Eines Abends dann sieht er den Vergewaltiger Sascha mit seiner Freundin im Imbiss. Er kann nicht anders, als ihn zu verfolgen. Er verliert die beiden, doch lauert er ihnen von nun an täglich an der S-Bahnstation auf und schließlich nimmt er die Fährte wieder auf. Liv erfährt erst viel später davon. Malte ist wie besessen, er findet heraus, wo Sascha wohnt, stellt ihn eines Tages, es gibt eine Prügelei, Sascha droht, zurückzuschlagen, und er wird nun auch Malte zu dessen Wohnung verfolgen. Malte nimmt auch Kontakt zur Freundin auf, erzählt ihr alles, im Gegenzug dringt Sascha in die Wohnung der beiden ein, bedroht Liv ein weiteres Mal und stellt klar, dass die Sache nun ein Ende haben müsse. Eine Eskalation bahnt sich an, in die Liv völlig gegen ihren Willen hineingezogen wird. Am Ende gibt es dann die ersehnte gewalttätige Konfrontation, der Vergewaltiger Sascha wird schwer verletzt, doch Liv und Malte bringen ihn noch rechtzeitig ins Krankenhaus. Danach gehen sie nach Hause und demolieren die Hälfte ihrer Inneneinrichtung, brechen in haltloses Gelächter aus und umarmen sich – vielleicht sind sie jetzt endgültig zu einem Neustart bereit.

   Luise Heyer und Maximilian Brückner sind einfach toll als Liv und Malte, sie haben eine solch natürliche und selbstverständliche Chemie, dass ich ihnen von Anfang an gern gefolgt bin und ihnen neunzig Minuten lang die Daumen gedrückt habe, dass sie es irgendwie schaffen, aus dem Trauma herauszukommen und zusammen neu anfangen zu können. Sie sind vom ersten Moment an hundertprozentig glaubhaft als Paar, von den kleinen Gesten bis hin zur leidenschaftlichen Liebe, in ihrer Verzweiflung, ihrer Angst, ihrer Scham, später ihrer Hoffnung, ihrer Entschlossenheit. Sie haben sich nach dem Überfall scheinbar zusammengerauft, und das ist erstmal schön, obwohl wir schnell mitkriegen, dass sie ganz unterschiedliche Wege gegangen sind. Die Frau verarbeitet, der Mann verdrängt. Sie spricht alles aus, sucht aktiv einen Weg in die Zukunft, er brütet und brodelt und ist natürlich noch längst nicht fertig mit dem Erlebten. In dem Moment, da er Sascha nach zwei Jahren wiedersieht, bricht das Verlangen nach Vergeltung durch, zunächst vielleicht noch vage, doch dann immer stärker und konkreter. Malte ist erschrocken darüber, was da in ihm losgelassen wird, denn er ist normalerweise ein ganz vernünftiger und zivilisierter Typ, aber er kann und will sich andererseits auch nicht dagegen wehren, spürt wohl, dass dies sein Weg aus dem Trauma sein wird. Das ist eigentlich ganz und gar nicht Livs Weg, doch auch sie sieht sich gegen ihren Willen hineingezogen in diesen Sog und wird am Ende sogar zustechen und Sascha schwer verletzen. Und so haben dann beide etwas abzubauen und lassen es an ihrem Mobiliar aus, der Druck muss einfach irgendwo hin. So gesehen ist es nicht ganz leicht, die letzte Szene einzustufen, sie könnte eine Erleichterung bedeuten, eine Befreiung, doch hängt über dem ganzen kein durchweg leichter und optimistischer Ton, denn immerhin ist ein Mensch schwer verletzt worden, egal wer und egal, ob es dafür irgendwo einen nachvollziehbaren Grund gibt.

   Diese Eskalation ist nicht das eigentlich Interessante hier. Der Vergewaltiger Sascha ist auch nicht sonderlich interessant, das ist einfach nur eine Dumpfbacke, die zuviel gesoffen und die Kontrolle verloren hat. Als seine Freundin Jenny ihn konsterniert fragt, wieso er das getan hat, zuckt er nur mit leerem, hilflosem Blick die Achseln – das ist schrecklich und leider auch schrecklich normal, denn wie oft richten wir Unheil an und wissen nachher nicht mal mehr, aus welchem Grund. Interessant sind auch nicht die netten, aber ebenso hilflosen Freunde, die beim Grillabend im Garten betreten zur Seite schauen, wenn Liv versucht, ganz cool und nüchtern zu reden und das ganze Erlebnis als „shit happens“ abzutun. Interessant ist für mich nur, was das Ganze mit den beiden macht, sowohl einzeln als auch als Paar, und da hat Sven Taddicken als Autor/Regisseur erstklassige Arbeit geleistet, einfühlsam und spannend zugleich geschildert, wie die scheinbar solide Balance der beiden verloren geht, als Malte ausbricht und sich heimlich daran macht, Sascha zu stalken, als es plötzlich Heimlichkeiten gibt und Liv spürt, dass Malte sich entfernt, dass etwas mit ihm vorgeht, zu dem die keinen Zugang hat. Er wird immer getriebener, sie versucht, mit Vernunft und Ruhe dagegen zu halten, versucht, wieder Anschluss an das ganz normale Leben zu finden und auch mal Spaß zu haben, selbst wenn es deutlich mehr Anstrengung kostet als vorher. Natürlich ist nichts mehr so, wie es vor dem Überfall war, das wissen beide und wollen auch gar nicht so tun als ob. Ihre Perspektive geht halt plötzlich auseinander – sie hat eher die gemeinsame Zukunft im Blick, er fixiert sich auf Rache, um das Trauma endlich aus den Kleidern schütteln zu können. Es gibt einige faszinierende Szenen mit den beiden, die zum einen ihre Nähe und Zärtlichkeit füreinander einfangen, zum anderen den Prozess der zunehmenden Entfremdung. Und wenn ich Taddicken überhaupt etwas vorwerfen würde, dann, dass er für meinen Geschmack ein Stückchen zu straff und knapp inszeniert und sich nicht genug Zeit für manchen Moment, manche Stimmung gelassen hat. Was wiederum den einen Vorteil hat, dass er auch den Überfall angenehm knapp schildert, statt sich in gewolltem Sadismus à la Michael Hanecke zu ergehen.

 

   Insgesamt ein sehr eindrucksvolles Psychodrama über eine schlimme Grenzerfahrung und wie ein Paar darüber hinwegkommt oder auch nicht. Mit starken Dialogen und zwei grandiosen Hauptdarstellern, wie schon erwähnt. Nicht der erste Film, von Taddicken, den ich seit dem wunderbaren „Emmas Glück“ gesehen habe, aber sicherlich sein bester, vor allem im Vergleich zu der doch recht missratenen Beziehungskiste „Gleißendes Glück“, mit dem ich vor zwei Jahren gar nicht gut zurechtgekommen bin. Mit dem hier dafür umso besser! (15.5.)