The goldfinch (Der Diestelfink) von John Crowley. USA, 2019. Ansel Elgort, Oakes Fegley, Aneurin Barnard, Finn Wolfhard, Ashley Cummings, Aimee Laurence, Nicole Kidman, Luke Wilson, Sarah Paulson, Jeffrey Wright, Willa Fitzgerald, Luke Kleintank

   Mit diesem Gefühl fahre ich in diesem Kinojahr zunehmend häufig nach Hause: Na ja… Irgendwie ist der Film nicht so ganz zu mir durchgedrungen, hat mich irgendwie nicht getroffen, kaum berührt, wenig bewegt. Vielleicht liegt’s auch an mir, dacht ich heute beim Nachhausefahren so, vielleicht hat Kino nach all den vielen Jahren und Filmen doch so langsam seine Magie verloren? Wie oft geht es mir noch so, dass mich ein Film wirklich tief bewegt, mich in jenen leicht entrückten Zustand versetzt, den ich in früheren Zeiten sehr viel häufiger erlebt zu haben glaube. Klar passiert es auch heute noch hier und da, aber die Egal-Erlebnisse häufen sich, und manchmal kommt es mir vor, als habe das Kino einfach nicht mehr so viele gute Geschichten zu erzählen.

   So wie diese hier – in jeder Szene gibt sie sich als Romanverfilmung preis, episch lang, episch breit (so wie auch die Buchvorlage), zwischendurch hatte ich mal leichte Assoziationen in Richtung John Irvings, bin aber dennoch absolut nicht neugierig, das Ding mal zu lesen, weil der Film, egal wie nah es nun dran ist, mir schon eine gewisse Vorstellung davon gibt. Ein typisch zusammenfabuliertes Mammutwerk, bei dem ich mich nachher immer frage, was den Autor oder die Autorin denn nun damit verbindet. Das hat eine gewisse Willkürlichkeit, eine Künstlichkeit, man klaubt sich einfach ein paar Themen aus Kunst und Geschichte zusammen und packt eine Handvoll mehr oder weniger skurriler und defekter Figuren dazu, dehnt den Zeitrahmen am besten über mehrere Jahrzehnte aus, und so entsteht ein neues modernes Epos. John Irving konnte das, all die anderen, die ich außerdem gelesen habe, können es nicht.

   Der Distelfink ist der Titel des Gemäldes eines alten holländischen Meisters, und es steht auf gewisse Weise im Zentrum der über einige Jahrzehnte verzweigten Handlung. Ein 13-jähriger Junge namens Theo und seine Mama stehen im Museum just vor diesem Bild, als eine Bombe explodiert und viele Menschen tötet, unter anderem Theos Ma. Theo findet einen sterbenden älteren Mann, der mit seiner Enkelin neben ihm und seiner Mutter gestanden hatte, weshalb Theo sich eher für die hübsche Rothaarige als für das Bild interessiert hatte. Der sterbende Mann gibt Theo einen Siegelring und die Adresse, wo er ihn abliefern soll und drängt ihn, das von der Wand gerissene Bild einzustecken. Auf diese Weise kommt Theo in Kontakt mit einem Antiquitätenhändler, der gern alte Möbel aufpoliert, und mit dem besagten hübschen rothaarigen Mädchen, Pippa. Er selbst landet bei der wohlhabenden und kunstbegeisterten Familie Barbour, lebt bei ihnen eine Weile und gewöhnt sich ein, bevor er dann von seinem leiblichen Vater, der schon lange von der Mutter getrennt war, zu sich nach Las Vegas geholt wird. Das leben dort ist einigermaßen freudlos für den Jungen, immerhin lernt er Boris aus der Nachbarschaft kennen, einen schrägen russischen Knaben, der sich mit Vorliebe mit allen möglichen Substanzen vollknallt und nach guter russischer Sitte ein Leben hart am Abgrund bevorzugt. Theos Dad gerät finanziell mehr und mehr ins Schleudern, fängt das Saufen wieder an, also beschließt der Junge, zurück nach New York zu reisen, allerdings ohne Boris, der in letzter Sekunde beschließt, doch daheim bei seinem wilden Vater zu bleiben. Später im Film erfahren wir dann auch, wieso…

 

   Die Erzählung wird, wie es sich bei „guter“ Literatur gehört, chronologisch zerschnippelt, es geht häufig vor und zurück, damit uns noch ein paar „Überraschungen“ bevorstehen und wir kapieren, dass das Leben eben niemals berechenbar ist und strikt geradeaus läuft. Theo wird in eine heftige Kriminalgeschichte und eine lieblose Zweckehe mit einer Barbour-Tochter hineingezogen, er kann Pippa, die er eigentlich liebt, nicht für sich gewinnen, kann immerhin dafür sorgen, dass der zwischendurch verloren geglaubte Distelfink doch noch für die Nachwelt gerettet wird. All das bewegt vielleicht jemanden, dem das Schicksal eines einzigen Gemäldes sehr wichtig ist. Da ich aber nicht zu diesen Leuten gehöre, muss es irgendetwas anderes geben, das mich emotional beschäftigt und mein Interesse bindet. Aber: Es gibt nichts, zweieinhalb Stunden lang regt sich in mir gar nichts, keine Anteilnahme, kein Mitfiebern oder Mitleiden oder Mitfühlen, nichts. So gekonnt er meinetwegen gemacht und gespielt ist, so leer ist dieser Film für mich inhaltlich und emotional. Er kann mit dem Motiv des Verlustes wenig anfangen, obwohl er einige Menschen anhäuft, die schwere Verluste erlebt haben, nicht nur Theo und Pippa, sondern auch Boris, aber ihre Seelenleben bleiben vage, unerforscht, die Figuren bleiben leblos und fern, ich jedenfalls vermochte keinen engeren Kontakt zu ihnen herzustellen. Die Story wird trotz aller vermeintlicher Raffinessen eher mechanisch abgespult, und als Regisseur lässt John Crowley enttäuschenderweise jenen Human Touch vermissen, der eine ganz ähnlich kolportagehafte Story wie „Brooklyn“ noch zu solch bewegendem Leben erweckt hat. Davon ist hier leider nicht allzu viel zu spüren, und folglich waren dies einhundertfünfzig sehr lange Kinominuten. (30.9.)