Der Goldene Handschuh von Fatih Akin. BRD, 2019. Jonas Dassler, Margarethe Tiesel, Katja Studt, Martina Eitner-Acheampong, Jessica Kosmalla, Barbara Krabbe, Uwe Rohde, Hark Bohm, Dirk Böhling, Marc Hosemann, Greta Sophie Schmidt, Tristan Göbel
Der Kinosaal ist gesteckt voll, einige Horden von Männern im mittleren Alter, die man sonst nie hier sieht, man spürt die gespannte Erwartung – ein Serienmörder-Horrorfilm ab 18, na mal sehn, was da auf uns zukommt. Während des Films wird dann recht oft gelacht – viel zu oft, wie ich finde, denn lustig ist hier eigentlich gar nichts. Höchstens unfreiwillig, dann hätte der Regisseur allerdings grundsätzlich etwas falsch gemacht. Oder es ist ein Lachen aus Unbehagen, Beklemmung, sozusagen ein Lachen zur Befreiung, weil man sonst das Grauen auf der Leinwand nicht gut erträgt. Irgendwie komisch jedenfalls.
Außerdem finde ich, dass nach dem schönen „Soul Kitchen“ von 2009 bei Fatih Akin irgendwie der Faden gerissen ist - keiner seiner mittlerweile vier Filme danach hat mir annähernd so gut gefallen wie seine früheren Werke. Trotz fast durchweg sehr interessanter Bücher und Themen. An der Umsetzung hat es jeweils gelegen, und genau dort liegt auch diesmal der Hase im Pfeffer. Die triste Geschichte des vierfachen Frauenmörders Fritz Honka, der in den frühen bis mittleren 70ern in St. Pauli ebenso betagte wie heruntergekommene Prostituierte ermordet und anschließend zerstückelt hat, bietet immerhin die Gelegenheit zu einer eingehenden Milieustudie, und dort legt Akin folgerichtig auch den Fokus. Doch was er daraus gemacht hat, kann mich nicht recht überzeugen, lässt mich eher unbeteiligt und leer zurück, mit dem Gefühl, dass hier deutlich mehr drin gewesen wäre – ein Eindruck, den auch mein Mitstreiter spontan äußerte.
Los geht es mit dem ersten Mord 1970, dann gibt‘s einen Zeitsprung nach 1974, und wir beschäftigen uns ausführlicher mit Fritz Honkas Welt, die zwischen seiner Mansardenwohnung, seinen diversen Jobs auf dem Bau oder als Nachtwächter und seiner Stammkneipe „Der Goldene Handschuh“ auf St. Pauli stattfindet. Diese Welt ist von absolut erdrückender, unfassbarer Schäbigkeit und Hässlichkeit, verdreckt, versoffen, verlebt, und wir bekommen einen äußerst intensiven Eindruck davon, was es heißt, ganz unten auf der Sozialleiter angekommen zu sein. Im Goldenen Handschuh trifft sich sozusagen das Strandgut der Nachkriegs-Wirtschaftswundergesellschaft, die Verlierer, die Aussortierten. Ehemalige Soldaten, ehemalige KZ-Häftlinge, alte Prostituierte, die Abend für Abend ihre elende Existenz in Fusel ersäufen. Honka ist einer von ihnen, seit einem früheren Unfall entstellt, ein so abstoßender Kerl, dass nicht mal die abgewrackten Huren von ihm einen Drink spendiert haben wollen, und die wenigen, die so verzweifelt sind, dass sie doch mit ihm gehen und sich für Korn und ein Dach über dem Kopf von ihm misshandeln lassen, bezahlen zumeist mit ihrem Leben dafür. Nur einer im Film, gelingt es, rechtzeitig aus der Wohnung zu kommen, die anderen werden erschlagen, erwürgt, zersägt. Akin zeigt uns nachdrücklich, wie anstrengend dieses Handwerk ist: Honka ächzt, keucht, schwitzt, kämpft mit den wabbeligen Leichenteilen, er besudelt sich, stinkt, ackert wie irre. Maximale Körperlichkeit wird aufgeboten, plastisch und drastisch geht Akin ins Detail, ohne jetzt ausgesprochen im Blut zu baden, was ich dann noch ganz dankenswert fand. Der Horror hat hier weniger mit dem Gemetzel zu tun, als mehr mit den Umständen drumherum. Einmal kommt Honkas Bruder zu Besuch, und man erfährt ein bisschen über die Familie, den Vater, der als Kommunist im KZ war, Honka selbst, der als Jugendlicher ebenfalls im KZ war, die Mutter, die später mit den vielen Kindern allein und überfordert war. Das heißt jetzt aber nicht, dass Akin sich ernsthaft um ein Psychogramm eines Monsters bemühen würde, denn das tut er sicher nicht. Honka, den der eigentlich viel zu junge Jonas Dassler mit eindrucksvoller Präsenz verkörpert, bleibt genau das – ein Monstrum, ein total gestörter Gewalttäter, triebhaft, krank, jähzornig, brutal, ein echter Alptraum, auch optisch schon. Akin ist da recht konsequent, und das finde ich auch nicht problematisch. Problematisch finde ich in erster Linie das, was er hier offenbar unter Milieuschilderung versteht und was des Öfteren die Grenze zur Freakshow deutlich überschreitet. Es geht dabei nicht um Zuneigung oder Distanz, um Mitleid oder Verurteilung, es geht um einen Hang zur schrillen Karikatur, der mir einfach nicht gefallen hat. Alles hier ist maximal kaputt, maximal abgefuckt, und auch wenn darin vielleicht eine gewisse Polemik oder meinetwegen auch Provokation stecken sollte, empfand ich diese endlose Aneinanderreihung trister Momente auf die Dauer eher als monoton. Genauso monoton wie den Einsatz deutscher Schlager, die todsicher immer dann ertönen, wenn es besonders gruselig zugeht und die vermutlich einen finster ironischen Kontrapunkt setzen sollen. Sowieso hat mich die Dramaturgie wenig überzeugt, eigentlich gibt’s überhaupt keine, wenn ich es recht bedenke, wir schleppen uns von einer Kneipenszene zur nächsten, von einem Mord zum nächsten, von einem schlimmen Moment zum nächsten, und irgendwann brennt’s dann plötzlich ein Stockwerk tiefer, und alles fliegt auf und der Film ist aus. Wenn Akin insgesamt etwas weniger plakativ vorgegangen wäre, hätten seine Kiezszenen durchaus sehr authentisch und bedrückend rüberkommen können. So aber schalte ich nach einer halben Stunde ab, weil ich genau weiß, was mich in der restlichen Zeit erwarten wird. Um als ein ernstzunehmendes Soziogramm aus Hamburgs Unterleib in den zunehmend maroden 70ern durchzugehen, ist der Film einfach zu eindimensional und oberflächlich. Ganz daneben fand ich die Episoden um die beiden Teenies, zwei Schulkinder, die sich eher zufällig und aus Neugier auf den Kiez verirren, ein cooles blondes Mädchen, dem alle Jungs nachsteigen und in das sich Honka natürlich auch gleich vergafft, und ein milchbärtiger Knabe von der Elbchaussee, der seine Angehimmelte offenbar beeindruckend möchte, damit aber ziemlichen Schiffbruch erleidet. Für mein Gefühl haben diese Szenen in diesem Film überhaupt nichts zu suchen, würden höchstens für einen eigenen, einen anderen Film taugen. Mich jedenfalls haben sie total gestört.
Und so will das Ganze einfach nicht recht zusammenfinden, kann mich trotz der wie immer temperamentvollen Regie Akins und den sämtlich grandiosen Hauptdarstellern nicht überzeugen und nicht beeindrucken. Obwohl mich Hamburg eigentlich immer interessiert, die 70er auch, und starkes Milieukino liebe ich allemal. Das hier ist aber keins, ich habe es nicht so empfunden, und Serienmörder sind mir persönlich echt scheißegal. Wieso sich irgendjemand für diese kranken Typen interessieren kann, war mir schon immer schleierhaft, und Fatih Akin hat mich bei der Beantwortung der Frage kein Stück weitergebracht. (25.2.)