Der Junge muss an die frische Luft von Caroline Link. BRD, 2018. Julius Weckauf, Luise Heyer, Sönke Möhring, Ursula Werner, Hedi Kriegeskotte, Joachim Król, Rudolf Kowalski, Elena Uhlig, Birge Schade, Jan Lindner, Eva Verena Müller, Maren Kroymann
Ich bin normalerweise kein großer Freund von Hape Kerkeling, seinem Humor zwischen Albernheit und Mundart und schräger Satire, und auch nicht seiner Art der Selbstdarstellung à la „Ich bin dann mal weg“. Auch das Buch, dem dieser Film zugrunde liegt, wird in die letztgenannte Schublade passen, und ich werde es sicher nicht lesen – trotzdem hat Caroline Link daraus einen schönen Film gemacht, weil sie als Regisseurin einmal mehr ein außergewöhnliches Händchen für Menschlichkeit diesseits des Kitschs beweist, mit Ausnahme natürlich der letzten zwei Minuten, wo der echte Hape auftaucht und mit seinem jungen Alter Ego einen langen Blick tauscht, bevor der junge Hape weiterzieht mit seiner Familie, den Lebenden und den Toten, allen Menschen, die ihn begleiteten und prägten und zudem machten, was er nun geworden ist. Da wird’s dann doch etwas arg gefühlig, und das hätte gar nicht sein müssen, denn wir haben schon vorher verstanden, welch tiefe Spuren die Familie in dem Jungen hinterlassen hat, und dass nur die Erfahrungen, die er machen musste ihn so werden ließen, wie er schließlich wurde.
Der Hans-Peter wächst auf in den frühen 70ern, als die Fernseher noch nicht unbedingt farbig waren, die vielen schönen Autos am Straßenrand dafür umso mehr. Er wächst auf in Recklinghausen, zuerst eher am Stadtrand in ländlicher Umgebung bei der einen Oma, später dann mittiger bei der anderen Oma. Der Vater ist zumeist unterwegs auf Montage oder so, der Bruder Matthes ist deutlich älter und irgendwie nicht so präsent, und die Mutter wirkt immer sehr zerbrechlich, dünnhäutig, und als es einmal Probealarm mit Sirenen gibt und wir ihre Reaktion sehen, ahnen wir etwas von einem Kriegstrauma oder ähnlichem. Der pummelige Blondschopf wird von den neuen Nachbarskindern und Klassenkameraden anfangs eher misstrauisch beäugt, doch bald kann er sie einnehmen durch seinen frechen Witz und seine Begabung, andere Leute nachzuahmen und vor allem mit Sprache umzugehen. Dieses Talent bringt ihm bald im familiären Kreis einen gewissen Ruf ein, und so würzt er diverse große, turbulente Festivitäten mit seinen spontanen Auftritten. Dann aber kommen die Einschläge: Zunächst wird die Mutter krank, die Nebenhöhlen zuerst, dann die Seele, dann stirbt die geliebte Oma mütterlicherseits, dann wird die Mutter noch kranker und nimmt sich schließlich das Leben und weil der Vater hilflos ist und sowieso immer unterwegs springt die andere Oma ein und zieht den Zehnjährigen weiterhin groß. Und der muss nun lernen, mit diesem Verlust zu leben und das wird er auch tun.
Vieles hier erinnert an die schönen nostalgischen Kindheitserinnerungen, die unsereiner mit sich herumträgt - schließlich bin ich vom gleichen Jahrgang wie Kerkeling - und unzählige Ausstattungsdetails, die hier sehr liebevoll zusammengeführt wurden, kommen mir aus eigenem Erleben noch herzlich bekannt vor. Allein das hat schon mal Spaß gemacht. Außerdem sind die Schilderungen aus dem Leben der großen Familie Kerkeling überaus warmherzig, humorvoll, einfühlsam geraten, getragen von exzellenten Schauspielern, aus denen zwei klar herausgehoben werden müssen. Luise Heyer gibt eine ganz tolle Vorstellung als Hapes labile Mutter, zeichnet ihr schrittweises Verschwinden in die Abgründe der Depression auf erschütternd eindrucksvolle und dabei ganz unaufdringliche Weise. Und der junge Julius Weckauf ist schlicht und einfach ne Wucht, ein reiner Glücksfall, und dabei hat er fast den gesamten Film zu tragen und eine durchaus komplexe, ziemlich anspruchsvolle Rolle zu meistern, denn natürlich ist der kleine Hans-Peter nicht nur der Klassen- und Familienclown, sondern darüber hinaus ein äußerst wacher, feinfühliger Beobachter seiner Umgebung, und er hat wahrlich genug Stoff zum Überdenken und Verarbeiten.
Caroline Link hat speziell für diesen Teil der Geschichte ein ganz feines Händchen, sowohl für die Mutter als auch den Hape, und so schafft sie eine fast bis zuletzt überzeugende Mischung aus Komik, Tragödie, Kindheitsgeschichte und Familiengeschichte mit viel Liebe zum Pütt und den Leuten und ihrer Sprache dort. Immer ein bisschen in Richtung Karikatur, aber niemals lieblos oder bloßstellend. Das gibt den Ausschlag dafür, dass mir dieser Film so gut gefallen hat trotz meiner fehlenden Sympathie für die Person Kerkelings. Dass der sich zum Schluss dann doch in Wort und Bild noch verewigen muss, hätte ich nicht gebraucht, aber irgendwie ist dieser Knilch Kult geworden, wieso, verstehe ein anderer. (8.5.)