La chute de l‘empire américain (Der unverhoffte Charme des Geldes) von Denys Arcand. Kanada, 2018. Alexandre Landry, Maripier Morin, Rémy Girard, Pierre Curzi, Maxim Roy, Louis Morissette, Florence Longpré, Eddy King

   Einst philosophierte Meister Arcand noch über den Niedergang des amerikanischen Imperiums, nun ist der endgültige Fall da – nur die Deutschen kriegen das nicht auf die Reihe, weil sie sich beim ersten Film schon verhauen hatten und jetzt keine Steigerung mehr zur Verfügung haben. Pech. Dann nimmt man halt einen anderen Titel, macht auf „lustig“, und tatsächlich findet sich ein schlauer Rezensent, der den deutschen Titel treffender findet als das Original. Ein Scherz wahrscheinlich ganz nach dem Geschmack Arcands, dessen Filme hierzulande kaum zu sehen sind – den letzten hab ich vor sage und schreibe 16 Jahren hier im Kino gesehen – und die nicht nur deshalb ein ganz besonderes Vergnügen sind.

   Mit einzigartiger Leichtigkeit und Eleganz manövriert Arcand sich und seine Protagonisten durch einen gut zweistündigen Parcours voller Umwege, Falltüren, Hindernisse, Täuschungen. Bis zuletzt können wie niemals sicher sein, was als nächstes passieren wird und wie diese wilde Geschichte wohl ausgehen wird: Wird alles gutgehen, wird Pierre-Paul, unser Robin Hood von Montréal, unversehrt davonkommen, wird er vielleicht sogar noch die schöne Edelhure Camille kriegen und dem miesen Großkapital eins auswischen können, wird sein höchst unfertiger und eher chaotischer Plan von den zwei Experten Taschereau und Bigras soweit gerichtet werden können, dass er tatsächlich funktioniert? Oder werden ihn die beiden bissigen Bullen LaBauve und McDuff doch noch stellen können, nachdem sie ihm unermüdlichen auf den fersen bleiben und näher und näher heranrücken? Oder wird ihn gar eine der beiden Mafiabanden in die Finger kriegen, was dann sicherlich höchst unangenehme Konsequenzen haben könnte, denn immerhin hat er ihnen eine beachtliche Geldsumme vor der Nase weggeschnappt und sie tagelang an der Nase herumgeführt. Jedenfalls wird aus einer Spontanaktion eines Einzelnen am Ende echtes Teamwork, denn zu den genannten Mitstreitern gesellt sich noch Pierre-Pauls Ex Linda, die zwar eigentlich genug von dessen wehleidigem, besserwisserischen Geschwätz hatte, die sich dann aber doch wieder einspannen lässt, weil sie als Banksekretärin natürlich viel Routine im Umgang mit Geld hat. Eigentlich haben alle aus der Gruppe das eine oder andere Talent – nur Pierre-Paul nicht, der kommt als Paketbote nur ganz zufällig in den Besitz zweier großer schwerer Geldtaschen, weil ein Raubüberfall schief geht und sich feindliche Gangster gegenseitig totschießen. Plötzlich in den Besitz unerhörten Reichtums gekommen, überlegt Pierre-Paul also fieberhaft, was man mit dem Zaster anstellen könnte. Da er ein guter und philosophisch geschulter Mensch ist, der einzig an der Dummheit der Welt verzweifelt (und alle, von Dostojewski über Tolstoi, Heidegger, Bush, Blair, Sarkozy bis hin natürlich zu Trump und seinen bekloppten Wählern sind damit gemeint) denkt er zuerst an das Gemeinwesen und daran, den Geldsegen möglichst gut aufzuteilen. Zuerst aber muss er mal verschwinden, aus der Reichweite der Polente und der Mafia, und dafür braucht es am besten einen abgezockten Ex-Knacki (das ist Sylvain Bigras), einen Finanzspezialisten, der geübt ist im Umgang mit großen Summen (das ist Maître Taschereau) und eine Frau, die mit ihrer blendenden Schönheit die Jungs hübsch bei der Stange hält – das ist Camille, Internetname Aspasie, womit sie unseren klassisch bestens gebildeten Pierre-Paul geködert hat. Camille ist anfangs sicherlich vor allem an der vielen Kohle interessiert, doch irgendwie rührt Piere-Pauls Eifer und Naivität sie auch und später könnte daraus sogar noch mehr werden. Aber vorher wird’s richtig gefährlich, denn die Gangster sind sauer und äußerst ruppig in ihren Umgangsformen, und die beiden Wadenbeißer in Uniform sind auch nicht zu unterschätzen und kommen zuletzt mit ihrer Razzia nur ganz knapp zu spät. Es kommt zwischendurch gehörig Spannung auf, dazwischen aber bummelt die Geschichte dann mal wieder ganz entspannt vor sich hin oder verliert sich fast in märchenhafte Sozialromantik. Dies ist aber niemals naiv oder vom Erdboden abgehoben, sondern wie auch die letzten Bilder von obdachlosen Inuit in der Großstadt zeigen, hat Arcand durchaus einen sehr realitätsbezogenen Blick auf die Condition Humain im Montréal dieser Tage. Und jedem von uns geht es doch wohl so, dass wir manchmal sehnlichst hoffen, dass einmal die Richtigen gewinnen und einmal das viele viele Geld gerecht verteilt wird auf die, die es wirklich brauchen und nicht wie immer auf die, die eh schon zuviel davon haben. Arcand gönnt sich diese Anwandlung von ungeschminkter, hemmungsloser Sozialromantik durchaus, und Ken Loach wird vor Neid zerfließen, aber Arcand bleibt eben nicht dabei, er unterläuft seine eigenen Themen immer wieder, baut Stilbrüche ein, ändert das Tempo und den Tonfall. So geht ein Filmemacher vor, der souverän über den Gesetzen des Kommerzes steht und haargenau nur das tut, was er tun will. Giftige Kapitalismuskritik trifft auf launige Gaunerkomödie und eine schräge Großstadtromanze und eine grimmige Gangsterstory und eben eine moderne Robin-Hood-Mär, wie man sie in diesen zynischen, egozentrischen Zeiten gerne sehen möchte. Der Humor ist ziemlich trocken, kommt immer schön beiläufig durch die Hintertür, weil Arcand eben nicht nur reichlich lässig Regie führt und das Tempo verschleppt, sondern auch ein ziemlich geniales Gefühl für Nebensätze und witzige Momente hat, auf denen er dann nicht voller Stolz ewig lang herumreitet, sondern einfach nonchalant weiterbummelt zur nächsten Szene.

 

   Kanadische Filme haben oft diesen speziellen Kick, diesen Reiz, dieses Anderssein und vor allem Andersdenken, was sie klar und deutlich abhebt vom bösen großen Onkel im Süden, und Arcand hat gerade das immer besonders gepflegt. Ich habe mich zwei Stunden lang köstlich amüsiert und war überaus froh, dass er sich und seinem Stil treu geblieben ist. Jetzt kann ich nur noch hoffen, dass nicht wieder anderthalb Jahrzehnte ins Land gehen, bis es zur nächsten Begegnung kommt. (6.8.)