Une fille facile (Ein leichtes Mädchen) von Rebecca Zlotowski. Frankreich, 2019. Mina Farid, Zahia Dehar, Nuno Lopez, Benoît Magimel, Lakdhar Dridi, Loubna Abidar, Clotilde Courau
Naïma ist gerade sechzehn geworden und lebt mit ihrer Mutter in Cannes – doch den Glamour drunten an der Côte kriegt sie eher indirekt mit: Mama schuftet als Zimmermädchen in einem der schicken Hotels und sie beguckt sich wie alle anderen sehnsüchtig die unerreichbar fernen Edeljachten an den Quais im Sommer und hängt ansonsten mit ihrer Clique ab, vor allem mit dem exaltierten Dodo, mit dem zusammen sie eine Zukunft als Schauspielerin erträumt und den ersten Castingtermin erwartet. Ihr Mutter möchte natürlich, dass sie was Anständiges macht und drängt ihr ein Praktikum in der Hotelküche auf, doch sie denkt nicht daran, ihr Leben so wegzuwerfen. Dieser Sommer wird auch sonst anders und aufregend, denn ihre ältere Cousine Sofia kommt aus Paris zu Besuch. Sofia hat ihren Körper als sexy Gesamtkunstwerk aufgepimpt und macht Naïma sofort klar, worum es ihr geht und was sie in Cannes vorhat. Alles was mit Liebe und festen Beziehungen und dem ganzen verbindlichen Kram zusammenhängt, hat sie hinter sich gelassen, ihr geht’s nur noch um den Kick, um Spaß, um möglichst viel Sex ohne Verpflichtungen. Sie weiß genau, wie sie sich das holt, und gleich am ersten gemeinsamen Clubabend geht es damit los. Sie baggert einen reichen brasilianischen Yachtbesitzer namens Andrès an, und am nächsten Tag hüpfen Naïma und sie bereits an Bord, sehr zum Missfallen der Crew und des französischen Compagnons Philippe, der ab Sofias unzweideutiger Aufmachung ebenso Anstoß nimmt wie an Naïmas Minderjährigkeit und Dodos tuntigem Gehabe. Sofia aber hat Andrès schon buchstäblich bei den Eiern, und nachdem Dodo schmollend das Feld geräumt hat, verbringen die beiden Cousinen ein paar unwirkliche Tag an Bord, schippern durch die Gegend, machen auf High Society, erleben hautnahe mit, was es heißt, im Sommer an der Côte reich und schön zu sein. Weil Sofia und Andrés dauernd vögeln, macht sich Naïma schließlich sehr unbeholfen an Philippe heran, doch der weist sie freundlich aber bestimmt in die Grenzen, und am Ende werden die beiden von Andrès auf sehr hässliche Weise abserviert, in dem ihnen ein Diebstahl untergeschoben wird, den sie natürlich nicht begangen haben. Sofia verschwindet so umstandslos, wie sie aufgetaucht ist, und als nächstes hört Naïma, dass sie nach London gezogen ist und glücklich ist. Sie selbst hat sich mit Dodo versöhnt und macht nun tatsächlich das Praktikum in der Hotelküche. So ist der Sommer vergangen.
Der Titel passt in der Mehrdeutigkeit ganz ausgezeichnet zum Film insgesamt, denn der ist auf höchst reizvolle Weise hybrid, schwer zu greifen und einzusortieren. Flimmernde südliche Sonne, glitzerndes Meer, schimmernde Luxusjachten, die blendend helle Vision von Reichtum und Lebensgenuss ohne Grenzen, aufgeladen mit Erotik, Rivalität und Kalkül, alles aus Sicht einer Sechzehnjährigen, die die Regeln und Rituale noch nicht völlig kennt und versteht, weshalb auch uns diese Welt als fremd und geheimnisvoll präsentiert wird – und manchmal auch erschütternd banal, denn wenn man den ganzen Zinnober weglässt, die schicke Fassade mal durchdringt (und das geschieht hier ständig), dann tut sich eine Leere auf, die eher traurig und erschreckend ist. Konsum ist der gemeinsame Nenner, der sich auf alle Bereiche des Lebens erstreckt. Sofia hat diese Prämisse akzeptiert und absorbiert und kann perfekt nach den Regeln spielen, ihren Körper gezielt für ihre Zwecke einsetzen, und sie hat auch kein Problem damit, wenn sie von einer offenkundig eifersüchtigen älteren Frau angezickt wird, im Gegenteil, sie scheint fast Spaß an der Situation zu haben und kontert sehr cool und souverän, bevor sie mal wieder ihr Oberteil auszieht und ihren Botox-Body zur Schau stellt und die männlichen Kinnladen reihenweise herunterklappen lässt. Sofia kapiert auch, welch mieses Spiel Andrès letztlich spielt, um sie wie einen gebrauchten und nun lästig gewordenen Gegenstand wieder loszuwerden, doch sie weiß, dass sie nichts dagegen tun könnte und sie hat auch gar nicht die Absicht, denn auch sie will sich nicht binden. Also lässt sie die Demütigung gar nicht an sich heran und zieht einfach weiter.
Der Tonfall des Films ist ruhig, unaufgeregt, man könnte ihn fast leicht nennen, doch heiter oder gar komisch ist er eigentlich gar nicht. Wir sehen, wie elegant und selbstbewusst sich Sofia in dieser Welt bewegt und wir sehen auch, wie schüchtern und im Grunde überfordert ihre jüngere Cousine ist. Bewunderung trifft es auch nicht ganz, eher Neugier. Naïma schaut ihr zu, wie sie sich sonnt, wie sie die Blicke der Jungs auf sich zieht, wie sie dreist überall ohne einen Cent durchkommt, weil sie genau weiß, dass sie bald jemanden finden wird, der alles für sie bezahlt, und wie sie natürlich auch mit Andrès Sex hat. Mit dieser Neugier ist das Wissen verbunden, dass Sofia in einer ganz anderen Liga lebt als sie selbst, dass sie niemals Zugang zu dieser Welt haben wird, und dennoch lässt sie sich für kurze Zeit hinreißen und distanziert sich von Dodo, so als schämte sie sich für ihn.
Eine Coming-of-age-Geschichte in einem reizvollen Schwebezustand und in ihrer Art ziemlich einzigartig, jedenfalls soviel ich weiß. Keine schöngefärbte Nostalgie, keine Mär von Jugendfreundschaft, erster Liebe oder großem Abenteuer, sondern ein klarer, fast nüchterner Blick auf Gegensätze, Anziehungskräfte und was sich so dazwischen abspielt. Die faszinierende Kulisse der Côte d’Azur bildet einen fast morbiden Kontrast zu dem irgendwie freudlosen Geschehen, denn gerade im Gebaren von Andrès und Philippe sieht man Sättigung, Müdigkeit, eine gewisse Erschöpfung, der Genuss ist nurmehr ein Reflex, alles ist zur Routine erstarrt. Auch bei Sofia selbst hatte ich zwischendurch den Eindruck, dass sie ihr leben als einen Konsummarathon begreift, wobei es weniger wichtig ist, was sie konsumiert und es lediglich darauf ankommt, dass es möglichst viel ist. Und wenn ich bei Wikpedia über die Darstellerin Zahia Dehar und ihre Biographie zwischen Prostitution, Jet Set und medienträchtigen Skandalen lese, frage ich mich, wieviel davon sie wohl ins Drehbuch eingebracht hat, an dem sie auch mitgearbeitet hat. „Une fille facile“ ist damit entgegen des möglichen ersten Eindrucks ganz und gar kein Exemplar der Gattung Wohlfühlfilm, dazu ist er viel zu schlau und detailliert beobachtet und letztlich auch unbequem. Schön zu sehen, dass die Franzosen sowas auch noch können… (16.9.)