Streha mes reve (Ein Licht zwischen den Wolken) von Robert Budina. Albanien/ Rumänien, 2018. Arben Bajraktaraj, Esela Pysqyli, Irena Cahani, Bruno Shllaku, Osman Ahmeti, Muzbaidin Qamili, Helga Boshnjaku

   Ein kleines Dorf, abgeschieden, hoch oben in den albanischen Bergen. Man sieht ein paar steile Wiesen, die schroffen Berghänge, das enge Tal, ein paar steinerne Häuser mit Holzzäunen um die Grundstücke und eine kleine Moschee mit altem, wackligem Holzminarett draußen vor. Dort versammeln sich ein paar alte Männer zum Gebet. Besnik gehört zu ihnen, der Ziegenhirt, ein stiller, sonderbarer Mann mittleren Alters mit Zottelfell um die Schultern gelegt und scheinbar kaum menschlichem Anschluss, höchstens die Jungs aus dem Dorf, mit denen er Fußball spielt. Daheim haust er ohne Elektrizität oder sonstigen „Luxus“ mit seinem alten, kranken Vater. Dann geschehen zwei Dinge: Besnik legt wie durch Zufall unter bröckelndem Putz in der Moschee etwas anderes frei, das sich unter dem putz befindet, und dann tauchen zwei Damen aus der Stadt auf, gelernte Restauratorinnen, und die legen ein ganz altes Fresko frei, das darauf hinweist, dass die Moschee einst als christliche Kirche genutzt wurde, was dann durch die Lektüre einschlägiger Bücher auch bestätigt wird. Und als zweites schlägt Besniks Familie plötzlich bei ihm auf, ein Bruder mit Familie und eine Schwester mit Familie. Der Vater sei so krank, und er, Besnik, könne sich offenbar nicht gut um ihn kümmern, und also nistet sich die ganze Bande mit Mann und Maus in dem kleinen Bauernhaus ein, nicht gerade zu Besniks Begeisterung. Beim ersten gemeinsamen Essen wird die Ursache seines Unbehagens deutlich: Die Familie ist zerklüftet in verschiedene Fraktionen: Der Vater ist ein alter Kommunist, und Enver Hoxha hängt noch immer an der Wand. Die verstorbene Mutter war Katholikin. Besnik, seine Schwester und ihre Familie sind praktizierende Muslime. Und die Familie des Bruders ist zum orthodoxen Glauben konvertiert, um im benachbarten Griechenland Fuß fassen zu können. Später noch erfahren wir, dass der strikt atheistisch ausgerichtete Vater seinem Sohn einst die einzige große Liebe zu einer Muslima verboten hat, worüber Besnik nie hinweggekommen ist und sich fortan in sich zurückgezogen hat. Immerhin interessiert sich Besnik kurzzeitig für eine der beiden Damen aus der fernen Stadt, und die scheint auch nicht abgeneigt, doch schließlich muss sie wieder abreisen, als ihr Auftrag ausgeführt wurde. Das freigelegte Fresko führt zu einigen Debatten unter den Dorfbewohnern, und als Besnik vorschlägt, man möge doch den Christen erlauben, einmal wöchentlich hier ihre Messe zu feiern, drohen die Wogen zunächst hochzuschlagen, doch die muslimische Gemeinde geht in sich und ist dann tatsächlich bereit, ihr Haus zur Verfügung zu stellen. Abgesehen von diesem unverhofften Triumph geht Besnik seiner anstrengenden Familie weiterhin aus dem Weg, mit Ausnahme seiner Nichten und Neffen, denen er sich wesentlich näher fühlt als den Erwachsenen, und zieht wie gewohnt durch seine eigene Welt.

   Ein bemerkenswerter, fast kostbar altmodischer Film, der ganz wie sein Protagonist aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Besnik ist ein melancholischer Weiser und Narr zugleich, ein wunderlicher Außenseiter, ein unzugänglicher Schweiger,  der dennoch mit Hellsicht begabt ist, und man weiß bis zuletzt nicht, was ihn bewogen hat, plötzlich unter den bröckelnden Wandputz der Moschee zu stochern – der Film lässt dies Rätsel wie auch einige andere Dinge in einer reizvollen Schwebe. Hinter der äußerst ruhigen, gemessenen Erzählweise und den episch eindrucksvollen Landschaftspanoramen mitsamt wunderschön ausgeleuchteten bäuerlichen Innenräumen verbergen sich eine durchgehend sanfte Ironie und zugleich ein klarer Blick auf die Verhältnisse. Eine Gesellschaft zwischen archaischer Lebensweise, komplizierter politischer Vergangenheit und ebenso komplizierter religiöser Gemengelage. Die Wunden aus der kommunistischen Diktatur Hoxhas sind noch lange nicht verheilt, oder werden wie im Falle Besniks wohl auch nie verheilen, die verschiedenen Religionsgruppen leben eher nebeneinander her als miteinander, Misstrauen und Schlimmeres sind allzu leicht bereit, an die Oberfläche zu treiben, zumal Traditionen und feste Glaubensgrundsätze in dieser Welt eine bedeutende Rolle spielen, gerade nach den vielen Jahrzehnten des staatlich erzwungenen Atheismus. Es werden hier unterschwellig deutlich mehr Themen verhandelt, als zunächst sichtbar ist, da die Gespräche sparsam sind, und die Informationen sich häufig sehr indirekt erschließen. Der bedächtige Ton und die Bildpoesie täuschen schnell darüber hinweg, dass hier ein zutiefst belastetes und zersprengtes Land porträtiert wird, doch gerade weil Drehbuch und Regie auf jegliches Melodrama konsequent verzichten, wirken die wenigen bedeutsamen Worte und Szenen umso stärker und schwerer. Die leichteren Momente mit Besnik und der hübschen Restauratorin leben ebenso von den Gesichtern wie das schwere Miteinander der Familie, vor allem mit dem Vater, der trotz seiner Altersschwäche trotzig und vorwurfsvoll wirkt, und dem man den dogmatischen Tyrannen sofort glaubt. Jedes seiner Kinder hat sich auf unterschiedliche Art damit arrangiert, zwei grundsätzlich mit Flucht, einzig Besnik ist geblieben, hat ausgehalten, hat die Pflege des alten Mannes übernommen, und wird nun, da er angeblich psychische Probleme hatte, an den Rand gedrängt und in einen Verschlag über dem Stall abgeschoben. Auch das sagt einiges über Land und Leute und ihre Kultur und vor allem ihre Lehren aus den vergangenen Jahrzehnten aus.

 

   Filme wie dieser sind selten geworden, waren wahrscheinlich schon immer selten, sind deswegen wie gesagt eine Kostbarkeit, die es hüten gilt. Dass er hier überhaupt zu sehen ist, ist zwar keine Entschuldigung dafür, dass zig andere Filme wie dieser regelmäßig an uns vorübergehen, aber es freut mich trotzdem. (25.9.)