Fahrenheit 11/9 von Michael Moore. USA, 2018
Es ist tatsächlich fast 15 Jahre her, seit ich den letzten Michael-Moore-Film sah, und trotzdem ist alles gleich wieder da. Die zwei Seiten einer Medaille, die eine schätze ich, die andere nicht so sehr, eine Medaille, die man auch „Amerika“ nennen könnte, denn obgleich Moore sich sein gesamtes künstlerisches Schaffen hindurch unentwegt an seinem Land und seinen Missständen abarbeitet, ist er dennoch durch und durch Amerikaner, und so sind auch seine Filme, auch dieser hier. Pathetisch, pompös, polemisch, melodramatisch, provozierend, parteiisch, mal atemberaubend scharfsinnig und voll auf den Punkt, dann wieder wild und ungezielt durch die Gegend ballernd wie eine abgesägte Flinte. Geschmacklich sicherlich nicht immer jedermanns Sache, aber eigentlich durchgehend immer sehr unterhaltsam, kurzweilig und auf jeden Fall anregend zu Diskussionen, Widerspruch, Zustimmung, und auch anregend für uns Europäer, uns häufiger mal mit der Frage zu befassen, wer oder was die USA eigentlich sind, was wir über die da drüben wissen und woher wir dieses Wissen haben. Gerade diese Frage ist für mich nicht unerheblich, denn woher habe ich mein Bild von den Staaten? Aus dem Kino vorwiegend, aus der einen oder anderen Dokumentation oder Publikation, aus diversesten Kulturquellen, hauptsächlich Popsongs. Jedes Mal, wenn ich eine detailliertere Doku aus den USA sehe, stelle ich fest, wie unspezifisch, ungenau, vage mein Wissen eigentlich ist und, wie unzählig viele kleine und kleinste Geschichten zusammengeführt werden müssten, um das Bild auch nur halbwegs akkurat werden zu lassen. Das haben Michael Moores Filme immer geleistet, und schon aus diesem Grunde haben sie eine gewisse, nicht zu unterschätzende Bedeutung.
Donald Trump ist ein so naheliegendes und dankbares Zielobjekt für jeden politisch halbwegs wachen und kritisch denkenden Menschen, vom Satiriker ganz zu schweigen, dass es fast schon billig und banal ixt. Ewas nicht bedeuten soll, dass es keine Filme über Trump geben muss, im Gegenteil, es muss sie unbedingt geben, immer wieder und immer mehr, bis vielleicht die Mehrheit der Bevölkerung drüben doch noch aufwacht und wenigstens daran geht, eine zweite drohende und Stand jetzt durchaus sehr wahrscheinliche Amtszeit zu verhindern. Michael Moore haut also ordentlich drauf auf diese groteske Witzfigur, doch er tut gottseidank noch mehr, er weitet die Perspektive, indem er fragt, wie zum Teufel diese Wahl vor gut zwei Jahren diesen Ausgang haben konnte, und er belässt die Antwort nicht in seiner üblichen Rhetorik gegen amerikanische Dummheit und Einfalt, er weist auch den Demokraten einen entschiedenen Anteil an Verantwortung zu, Barak Obama zumal, in den die Menschen soviel Hoffnung und Euphorie investiert hatten, bis sie feststellen mussten, dass auch ihr Messias nur ein ganz gewöhnlicher Politiker ist, korrupt, feige und an ein System gebunden, das ihm kaum Spielraum lässt, erst recht nicht für abweichende Ideen. Also, Trump wurde quasi von langer Hand vorbefreitet, in vielen Präsidentschaften vor ihm, die das Wahlvolk Stück für Stück entmündigten, entmutigten, lähmten und bevormundeten, bis die Gruppe der Nicht-Wähler fast größer war als die Gruppe der Wähler. Moore sorgt sich sehr um den Fortbestand der Demokratie, er entwirft einige Endzeitszenarien, zeichnet ein überaus pessimistisches und dramatisches Bild unserer Zukunft, lässt einen sogenannten Experten mit Vokabeln wie Faschismus und Diktatur um sich werfen, findet aber doch auch Hoffnung im Beispiel aufrechter, engagierter, demokratisch gesinnter Menschen, die es wagen, gegen die Staatsmacht auf die Straße zu gehen, auf Missstände aufmerksam machen, um ihre Rechte kämpfen, auch wenn sie einen hohen Preis dafür bezahlen müssen.
Irgendwann in der Mitte der gut zwei Stunden fängt Moore dann an, weinen roten Faden ein wenig zu lockern, er schweift ab, lässt Trump aus den Augen und sammelt scheinbar wahllos Beispiele für die verkommene politische Kultur in den Staaten. Seine Heimatstadt Flint, Michigan (bekannt schon aus „Roger and me“) hat einen schlimmen Wasserskandal erlebt, politische Korruption in Reinkultur, der Gouverneur von Michigan, Rick Snyder, wird nach allen Regeln der Kunst hingehängt, Bürgerinitiativen werden vorgestellt, und in der Folge gibt sich Moore wieder gewohnt umtriebig, sucht im ganzen Lande nach Resten mutiger und kämpferischer Gruppen, die sich um alle möglichen Themen kümmern, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Und da Michael Moore nun mal so ist, wie er ist, kann er es nicht lassen, sich selbst penetrant ins richtige Licht zu rücken als landesweit bekannten unerschrockenen und gefürchteten Aufklärer und so weiter, und obwohl ich mittlerweile kapiert habe, dass des ohne diese Passagen nicht geht bei ihm, nervt’s mich immer wieder neu. Dann kommt ein paar Minuten wieder ein Geistesblitz, ein wahrer und kluger Satz, und ich kann ihm schon nicht mehr böse sein. Amerika im Ganzen steht mal wieder auf dem Prüfstand, Waffen, Bildung, Gesundheitspolitik, Rassismus, Gewalt, und wie gewohnt ist die Diagnose erschütternd und ernüchternd, wie gewohnt wird der politischen Kaste ein Maximum an Unfähigkeit und Intriganz vorgeworfen, und wie gewohnt finde ich mich in diesen Punkten ganz auf Moores Seite. Dass er ungeniert unkorrekt und unseriös vorgeht und sich um Dinge wie Objektivität und Ausgewogenheit einen Dreck schert, finde ich ausgesprochen sympathisch, denn ich bin ja ein erwachsener, eigenständiger Mensch und muss mich nicht automatisch seinen Ansichten anschließen. Aber er gibt mir immer reichlich Stoff zum Mitdenken, mal reißt er mich mit, mal geht er mir auf den Geist, aber gelangweilt hat er mich eigentlich noch nie.
Im letzten Drittel dann kriegt Moore wieder die Kurve und kehrt zurück zu Trump, und indem er alte Wochenschauszenen und Riefenstahlausschnitte von Hitler und seinen Parteitagen einschneidet und mehr als deutlich Parallelen zwischen Hitler und Trump zieht, lässt er mir schon den Atem stocken, und hier kann und will ich ihm dann doch nicht folgen, denn bei allem gebotenen Abscheu gegen Trump weiß ich wirklich nicht, ob diese Assoziation passend ist – aber vielleicht bin ich auch nur zu naiv, und in Europa sind viele Einzelheiten über Trumps Exzesse gar nicht bekannt, kann ja gut sein. Seine Nähe zum KKK spart Moore witzigerweise aus, die hat Spike Lee kürzlich in seinem letzten Film zur Sprache gebracht, und hier wiederum läge schon eine gewisse Berechtigung für düstere Vergleiche. Jedenfalls kann man Moore wahrlich nicht vorwerfen, er gehe zimperlich mit seinem neuen Lieblingsfeind um (George W. hat offenbar ausgedient). Ich habe eher den Eindruck, dass Trump unvergleichlich ist, dass er eine ganz eigene Kategorie bildet, die im Kanon wichtiger Staatsmänner ganz neu ist. Moores film jedenfalls ist deutlich weniger komisch als einige ältere, man spürt die Bestürzung, die Fassungslosigkeit darüber, dass jemand wie Trump an die Macht kommen konnte, man spürt den Zorn über ein hoffnungslos überaltetes und undemokratisches Wahlverfahren, das zum wiederholten Male dazu geführt hat, dass nicht derjenige, der die meisten Stimmen erzielt hat, Präsident geworden ist.
Wer also einen seriösen, fairen, besonnen argumentierenden Film über Amerika unter Donald Trump sehen möchte, der mache um diesen Film tunlichst einen weiten Bogen. Wer sich genau wie ich seit zwei Jahren täglich fragt „What the fuck is going on over there?“ und wer einfach mal eine schön polemische Wasserstandsmeldung aus dem Land der Tapferen mitsamt hässlichem Gelächter braucht, der ist hier richtig. Michael Moore gibt uns ziemlich genau das, was wir von ihm erwarten konnten, und zwar in jeder Hinsicht. Das reicht in diesem Fall. (22.1.)