La promesse de l’aube (Frühes Versprechen) von Éric Barbier. Frankreich/Belgien, 2017. Pierre Niney, Charlotte Gainsbourg, Catherine McCormack, Pawel Puchalski, Nemo Schiffman, Jean-Pierre Darroussin, Finnegan Oldfield, Didier Bourdon
Ein Leben wie geschaffen für’s Kino, soviel lässt sich feststellen. Roman Kacew wächst als jüdischer Junge in Wilna auf, nachdem der Vater sie verlassen hat, lebt er nur noch zusammen mit der Mutter, und die hat große Pläne für ihn: In Frankreich wird er leben, hochdekorierter Soldat wird er werden, Künstler, Diplomat, ein Held, dem die Welt und die Frauenherzen offenstehen werden. Und tatsächlich wird er alle Visionen seiner Mama Mina in die Tat umsetzen, obwohl die Voraussetzungen dazu denkbar ungünstig waren. Aus Roman Kacew wird Romain Gary (den in der BRD wohl kaum noch jemand kennt) und der hat 1960 den gleichnamigen Roman veröffentlicht, der eigentlich weniger ein Roman als vielmehr ein Lebensbericht ist. Wie gesagt, 1960. Und dieses Datum ist sehr wichtig festzuhalten, denn so ist zu erklären, dass ein paar der spektakulärsten Ereignisse dieses an spektakulären Ereignissen wahrlich nicht armen Lebens gar nicht zum Zuge kommen, vor allem die skandalträchtige Ehe mit Jean Seberg und ihr fatales Ende für alle beide – sie verübt 1979 Suizid, er ein gutes Jahr darauf. In „Frühes Versprechen“ geht es um die Kindheit in Wilna, um die Jugendzeit in Nizza, die Studentenzeit in Paris, den Wehrdienst, die Zeit im Krieg, alles in der Rückschau erzählt vom alternden, kränkelnden Romain Gary, der noch mit Lesley Blanch verheiratet war und von ihr gedrängt wird, sich zu erholen und das Manuskript zu publizieren. (Typischerweise ist er nicht todkrank, wie er selbst glaubt, sondern hat sich nur Brot ins Ohr gestopft und leidet unter einer Ohrentzündung. Männer halt…) All das ist enorm vielfarbig, vital, wirkt wie eine üppig ausgestaltete Fabel, munter und kraftvoll drauflos erzählt, und wenn alles tatsächlich so war, dann hat der Monsieur Gary in seinem Leben wirklich allerhand erlebt.
Im Kern aber dreht sich alles um Mutter und Sohn, vor allem um die schier obsessivem, fanatische Liebe Ninas zu ihrem Kleinen. Mal anrührend, mal närrisch, mal überwältigend und mal peinlich, wie Mütter eben so sind, nur in diesem Falle alles um ein Vielfaches gesteigert. Mina ist exzentrisch oder schlicht verrückt, je nachdem, wie man es sieht, sie nimmt gewaltige Anstrengungen auf sich, ist selbst durchaus eine schillernde Persönlichkeit, die sich in ihren Erzählungen eine noch etwas glänzendere Vergangenheit andichtet, aber in jedem Fall nichts unversucht lässt, um ihrem Jungen und sich die Ausreise in das gelobte Land, nämlich Frankreich, zu ermöglichen. Der kleine Roman wird, wir auch der heranwachswende und der erwachsene später, mit verschiedenen Graden des Antisemitismus konfrontiert und er steckt einiges als Muttersöhnchen ein, zeigt gleichzeitig bereits seine drängende Neigung zum anderen Geschlecht, die sich vor allem dann in Paris stürmisch ihre Bahn brechen wird. Mina fantasiert und fabuliert, aber sie kommen wirklich nach Nizza, leben dort eine Zeitlang gut, bis der Krieg kommt und sie ihn nun zur nächsten Phase ihres Plans leitet, zur glänzenden Militärlaufbahn. Die wird zunächst nicht ganz so glänzend, erst viel später dann kann sich Romain als Flieger bei der Invasion auszeichnen, und kurz darauf wird tatsächlich auch sein erster Roman publiziert, womit Minas größte Wünsche in Erfüllung gegangen wären – nur kann er ihr davon nicht mehr berichten, denn sie ist bereits seit drei Jahren tot, gestorben an Diabetes, und weil sie ihn bis zuletzt beschützen wollte, schrieb sie vor ihrem Tod mehrere hundert Briefe, die eine Freundin in ihrem Auftrag stückweise an Romain schickte, um ihn im Glauben zu lassen, sie sei noch am Leben. So gelangt Romain Gary schlussendlich zu seiner Ansicht, dass ein Mann nur einmal im Leben, und zwar gleich am Anfang, jene absolute, bedingungslose und hingebungsvolle Liebe erfahre, und zwar von seiner Mutter, und dass alle Frauen nach ihr vergeblich versuchen, dieser Liebe gleichzukommen, und jetzt versteht man auch, wieso Ehefrauen solch ein Problem mit ihren Schwiegermamas haben…
Éric Barbier hat aus dieser dankbaren Vorlage ein schönes und sehr unterhaltsames Stück klassischen Erzählkinos gemacht, ein bisschen oberflächlich, wenn man es etwa auf eine eingehendere psychologische Darstellung abgesehen hätte, und ein bisschen flüchtig, was die Jahre nach dem Krieg angeht, denn die kommen eigentlich gar nicht vor. Auch der Jetzt-Stand der Erzählung bleibt ein wenig unklar, der Romain Gary, der mit seiner Frau durch die mexikanische Nacht ins nächste Hospital braust, nur um sich dort eine recht peinliche Diagnose abzuholen. Wo steht er gerade in seinem Leben, was hat er aus seinen Erfahrungen gemacht, was für ein Mann ist er geworden, all dies findet hier keine Antwort, aber es wird auch nicht danach gefragt. Dafür gelingt es Barbier ausgezeichnet, die lange Reise von Wilna nach Nizza, die ja auch kulturell betrachtet eine sehr lange Reise ist, in Bildern und Farben anschaulich zu machen, und überhaupt gehen einhundertdreißig Minuten ziemlich zügig ins Land angesichts einer stets interessanten, abwechslungs- und facettenreichen Geschichte. Und außerdem gibt die Charlotte eine ganz wunderbare Mama, sozusagen den Prototyp der modernen Helikoptermama zwischen aufopferungsvoll, rührend und grässlich, und sie schafft es, jeden ihrer Momente mit maximaler Präsenz zu füllen, ohne die Grenze zur Karikatur zu überschreiten. Mir tat es fast schon leid, dass wir sie für längere Zeit aus den Augen verlieren, um uns Romains Kriegserlebnisse anzuschauen – ich für meinen Teil hätte gern noch etwas daran teilgehabt, wie sie derweil ihren weitaus weniger glamourösen Alltag in Nizza zwischen Existenznot und Diabetes meistert.
So gesehen hat dieser Film durchaus seine Schwächen, die zwar den allgemeinen Unterhaltungswert nicht wesentlich mindern, die aber doch dafür sorgen, dass im Nachhinein ein paar Leerstellen bleiben, die sich durchaus innerhalb der ausgedehnten Spielzeit hätten füllen lassen. Immerhin bin ich auf diese Weise aber mit einem Schriftsteller bekannt geworden, dessen Namen ich bislang nur von fern kannte (es gibt da einen alten Film mit Orson Welles und Juliette Gréco, wenn ich mich nicht irre…) und dessen Romane todsicher in keiner unserer lokalen Buchhandlungen zu finden sein werden. Und wer soviel erlebt hat wie Romain Gary, der hat eben auch richtig was zu erzählen… (18.2.)