Green Book von Peter Farrelly. USA, 2018. Viggo Mortensen, Mahershala Ali, Linda Cardellini, Don Stark, Brian Stepanek, Dimiter D. Marinov, Mike Hatton, Iqbal Theba, Sebastian Maniscalo

   Man versteht sofort, weshalb dieser Film momentan offenbar einen Nerv trifft und zumindest in unserer kleinen Stadt durchgehend vor vollen Sälen läuft. Er bringt so etwas die 80er und 90er zurück, die klassischen Crowdpleaser jener Jahre, Filme mit einem Anliegen, mit Herz, die deutlich darauf angelegt sind, ein möglichst breites Publikum anzusprechen und eigentlich auch nicht richtig wehtun wollen. Filme, die auch die ungemütlichsten Themen irgendwie erträglich machen und uns die Hoffnung an die Menschen zurückgeben wollen. Wenn man diese Prämisse akzeptiert, kann man einen richtig beseelten Abend verleben, wenn nicht, wird man vermutlich einmal mehr über die unbelehrbare Verlogenheit Hollywood jammern.

   Inspiriert von einer wahren Geschichte: Im Jahre des Herrn 1962 machen sich zwei höchst unterschiedliche Männer auf eine Reise von NYC über den mittleren Westen bis runter in die Südstaaten, genauer bis nach Birmingham, Alabama, berüchtigt für massive KKK-Gewalt und im Folgejahr berühmt durch Martin Luther King. Einer dieser beiden Männer (genauer gesagt sind es insgesamt vier in zwei Autos) ist Dr. Don Shirley, promoviert in den Fächern Musik, Psychologie und Liturgiewissenschaft, Weltbürger, ein brillanter Pianist zwischen Klassik und Jazz, ausgebildet aber in klassischer Musik, ein hoch gebildeter, kultivierter, distinguierter Herr - und schwarz. Der andere ist in fast allem das genaue Gegenteil – Tony Villalonga aus der Bronx, New York City und dort seit jeher fest verwurzelt, ein raubeiniger Italo, Ehemann, Familienvater, der jeden Job annimmt, wenn er nur die Familie für die nächsten Monate durchbringt. Und sein neuester Job besteht darin, Dr. Shirley den Pianisten durch die Gegend zu kutschieren und dafür zu sorgen, dass die geplante Tournee mit dessen Trio (Bass und Cello) ordnungs- und termingemäß über die Bühne geht. Ein klassischer Fall von einem Roadmovie also – eine Reise durch das Land, eine Reise in den Unterleib des Landes, aber auch eine Reise zu sich selbst, denn natürlich dürfen wir erwarten, dass sich die beiden denkbar konträren Herren nicht nur irgendwie zusammenraufen werden, sie werden einander belehren und erziehen und sie werden schließlich ziemlich beste Freunde werden (so behauptet der Nachspann, auch wenn Angehörige Shirleys dies bestreiten, wie ich gelesen habe). Eine Reise in die Südstaaten anno 62 ist auch eine Reise mitten rein in den institutionalisierten Rassismus, der dort nach wie vor eine der tragenden Säulen der weißen Gesellschaft ist und von nichts und niemandem hinterfragt wird, egal was die Kennedy-Brüder da in Washington erzählen. Die Segregation ist allüberall zu sehen und zu spüren, und auch Dr. Shirley wird damit konfrontiert, muss sich tatsächlich anhand eines Reiseführers für Schwarze orientieren. „The Negro Motorist Green-Book“, das dem Film zugleich den Titel gab, soll dem arglosen Schwarzen helfen, stets die passende Unterkunft zu finden, denn Grenzüberschreitungen werden gnadenlos geahndet, und Prügel in einer Kneipe sind da noch das Geringste. Shirley und Tony werden also zumeist getrennt untergebracht, dürfen nicht mal zusammen in dem Saal speisen, in dem Shirley unmittelbar danach auftreten soll, und es kann sowieso niemand fassen, dass ein Weißer einen Nigger durch die Gegend fährt. Es dauert eine Weile, bis die beiden Männer sich aufeinander eingespielt haben. Tony ist der Pragmatiker mit dem Herz am rechten Fleck, handfest, unkompliziert und geradeaus. Er hat hier einen Job, der ihm gutes Geld bringt, und den wird er auch zu Ende bringen. Wer ihm blöd kommt oder ihn gar Spaghettifresser nennt, kriegt schon mal was aufs Maul, und insgesamt nimmt er es mit allem nicht so genau. Shirley hingegen besteht darauf,

sich stets höflich und korrekt zu verhalten, keinen unnötigen Ärger zu machen und Gewalt in jedweder Form ist ihm natürlich höchst zuwider. Er hat den Rassismus sozusagen im Blut, ist wie jeder andere Schwarzer mit ihm aufgewachsen, hat zig üble Situationen erlebt, Erniedrigungen, Beschimpfungen, Demütigungen ertragen – und im Laufe der Reise gesellen sich noch etliche mehr dazu – und er hat vor allem gelernt, wie wichtig es ist, bei alledem die Würde niemals zu verlieren, und danach hat er sich stets gerichtet. Tonys Umgang mit Rassismus ist logischerweise längst nicht so reflektiert, er ist einfach nur in der Bronx großgeworden und hat gelernt, sich zu wehren, sich zu behaupten und notfalls seinen Platz zu erkämpfen. Aber eben als Weißer, und die Bedeutung des Unterschieds wird er auf der Fahrt mit Dr. Shirley erkennen. Er wird auch lernen, sich anständig zu kleiden, romantische Briefe an die schnuckelige Gattin daheim zu schreiben und nicht in jeder Situation gleich die Fäuste rauszuholen. Im Gegenzug klärt er Dr. Shirley darüber auf, dass es sowas wie Little Richard gibt und Aretha Franklin, also eine Welt jenseits von Tschaikowski und Brahms, dass man auch gelegentlich mal den Stock aus dem Hintern nehmen kann und dass man sich gelegentlich auch mal wehren muss. Und so ergibt es sich, dass sich der distanzierte, unnahbare Schwarze und der kumpelhafte Weiße im Lauf der Zeit näherkommen, einander zu respektieren lernen und schließlich auch in Krisenmomenten für einander da sind. Shirleys Privatleben bleibt ein wenig nebulös, er berichtet von einer gescheiterten Ehe, wird später in flagranti mit einem jungen Mann erwischt, und so recht kann man sich keinen Reim darauf machen. Tony ist da viel durchsichtiger, der klassische Italiener mit Mamma und Bambini und dezent mafiosen Beziehungen. Zu seinem Hintergrund gehört ein „gesunder“ Rassismus den Schwarzen gegenüber, der im Italoviertel der Bronx gängig ist und den er selbst fast wie nebenbei Schritt für Schritt hinter sich lässt. Der klassische pädagogische Gestus dieser Filme, schön ausgewogen muss es sein, beide Seiten lernen gleichermaßen dazu.

   Es ist schon schwer, diesen Film nicht zu mögen, dazu hat er zuviel Witz und Charme und Timing für die jeweilige Situation. Und natürlich auch die richtige Mischung zwischen Ernst und Unterhaltung, alles perfekt ausgestattet im Vintage-Look und untermalt von schön nostalgischem Soul und Doo Wop und ein bisschen höherer Kunst, wenn der Herr Doktor selbst in die Tasten greift. Gekonnt inszeniert, pointiert geschrieben und von den Herren Mortensen und Ali zugegeben wunderbar gespielt, nuanciert, schwungvoll, irre sympathisch. In einigen durchaus eindrucksvollen, starken Szenen wird das ganze Ausmaß des täglichen Rassismus in den USA jener Zeit deutlich, die erschreckende Selbstverständlichkeit, mit denen die Rednecks ihn weiterleben, als habe es nie einen Bürgerkrieg gegeben. Widerstand oder Protest wird zunächst fast erstaunt zur Kenntnis genommen, so als käme niemand dort auf den Gedanken, an der Rassentrennung könne etwas falsch sein. Die Southerners gebärden sich einerseits als Gentlemen, elegante Gastgeber, charmante Plauderer und andererseits als menschenverachtende, miese Faschisten. Man genießt das Pianospiel des schwarzen Mannes und behandelt ihn in der nächsten Sekunde schon wieder wie Abschaum, und darin sieht niemand einen Widerspruch. Der Rassismus zeigt viele Gesichter, von gepflegt bis ungeniert brutal und vulgär, und er scheint so tief in die Gesellschaft des Südens eingepflanzt zu sein, dass es kaum vorstellbar ist, ihn einmal restlos ausrotten zu können. Und der Rassismus ist die eine Erfahrung, die Shirley und Tony niemals werden teilen können, die sie immer trennen wird. Das weiß Shirley und das bringt er wiederholt zum Ausdruck.

 

   Dennoch gibt es auch einige handfeste Argumente, diesen Film nicht ganz so gern zu mögen. Ich denke nur an das extrem rührselige Kitschende an Weihnachten in New York, das in dieser Geschichte echt keinen Platz hat und das eher an einschlägige Familienfilme aus den 40ern oder 50ern erinnert. „Green Book“ ist eh schon gut über zwei Stunden lang, und diese fünf Minuten hätte er sich dringend sparen müssen. Hinzukommt, dass er vielfach mit Stereotypen arbeitet, die oft die Grenze zum Klischee überschreiten, und ich will einfach nicht glauben, dass dies Absicht des Regisseurs ist. Tony und seine Famiglia bilden rein solches Klischee – Bilderbuchitaliener, wie es sie nur im Film gibt, und sowas hätte ich hier lieber nicht gesehen. Auch wenn man im Verhältnis von Shirley und Tony ein wenig in die Tiefe ginge, ließen sich durchaus Fragen und Zweifel anmelden, doch das will ich gar nicht tun. „Green Book“ ist immer mal ein bisschen zu grobmaschig geraten, zu sehr auf den Effekt ausgerichtet und wie gesagt gegen Ende mit zuviel Wohlfühlattitüde belastet, um letztlich als eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Rassismus durchzugehen, so wie ich sie mir vorstelle. Er kann sich als Verdienst anrechnen lassen, das Thema publikumstauglich aufbereitet zu heben, und ich würde jetzt auch nicht behaupten, dass er seine Absichten verrät, die sind durchaus ehrenwert, wie gesagt. Es ist eben Hollywood, so war es immer und so wird es wohl immer sein. (8.2.)