Greta von Neil Jordan. Irland/Kanada, 2018. Isabelle Huppert, Chloë Grace Moretz, Maika Monroe, Stephen Rea, Colm Feore
Neil Jordan ist für mich immer ein Unberechenbarer gewesen, aber einer, dessen Filme ich mir ungeachtet einiger böser Reinfälle wieder und wieder angesehen habe, weil er eben auch ein Abenteurer ist, einer, bei dem man nie weiß, was als nächstes um die Ecke kommt. Schrilles mischt sich mit Seriösem, wüster Trash mit Poesie, manchmal kam (früher) auch mal die Politik ins Spiel, aber die hat er leider scheinbar gänzlich hinter sich gelassen, erst recht die seiner irischen Heimat - was zu bedauern ist. Mittlerweile muss ich zufrieden sein, wenn ihm ein passabler Unterhaltungsfilm gelingt, mehr scheint nicht mehr drin zu sein. Egal, diesmal bin ich zufrieden, denn ihm ist mal wieder ein passabler Unterhaltungsfilm gelungen, oder eigentlich sogar ein richtig guter.
Und wie jeder richtig gute Psychothriller fängt auch dieser ganz harmlos und unverfänglich an. Die junge Studentin Frances findet in der U-Bahn eine Handtasche, die offenbar jemand dort vergessen hat. Und weil Frances aus Boston stammt und sich mit den Gepflogenheiten in Manhattan gar nicht auskennt, bringt sie das Ding nicht augenblicklich zur Polizei und entledigt sich damit weiterer Verantwortung, nein, sie öffnet sie, kramt drin herum, findet einen Pass mitsamt Namen und Adresse und trägt das Ding doch tatsächlich dorthin, um es der rechtmäßigen Besitzerin zurückzugeben. Diese Besitzerin heißt Greta, ist eine ältere Dame, die offenbar allein in einem versteckt gelegenen kleinen Häuschen lebt, die sich äußerst dankbar und gastfreundlich zeigt und die junge Finderin erstmal auf einen Tee zu sich hereinbittet. Frances‘ Mitbewohnerin Erica (die aus New York kommt und Bescheid weiß) warnt die naive Landpomeranze ausdrücklich, doch Frances denkt sich nichts dabei und geht auf Gretas freundliche Kontaktangebote ein. Ein Fehler, wie sich bald zeigt, doch als Frances das endlich auch kapiert und Ericas Warnungen ernst zu nehmen beginnt, ist es zu spät…
Alle denkbaren Stadien der Eskalation werden hier sauber berücksichtigt und bedient. Und was einer Story in vielen Fällen zum Nachteil gereichen würde, empfand ich hier komischerweise überhaupt nicht negativ, im Gegenteil, ich hatte großen Spaß dabei. Jordan setzt hier nicht auf Überraschung und Schock, er arbeitet geschickt mit unseren an vielen ähnlichen Geschichten geschulten Erwartungen und anstatt sie zu unterlaufen, bestätigt er sie und bereitet uns erst dadurch wohligen Grusel. Wir wissen oder ahnen zumindest von Anfang an, dass mit der freundlichen schrulligen Greta irgendwas nicht stimmen kann und warten folglich auf die ersten kleinen Symptome, die dann natürlich auch häppchenweise gereicht werden. Wir warten auf die ersten bedrohlichen Momente, die ersten Übergriffe, die ersten Situationen, in denen selbst die wohlmeinende, gutmütige Frances nicht mehr geduldig und tolerant reagieren kann, und schon geht’s los mit handfestem Stalking. Greta erzählt Frances (und uns) von ihrer Tochter Nicola, die angeblich am Pariser Konservatorium Piano studiert, und natürlich argwöhnen wir sofort, dass an dieser Geschichte etwas faul ist, was uns eine ehemalige Freundin Nicolas im Gespräch mit Frances prompt bestätigt. Spätestens jetzt ist klar, dass Greta ernsthaft einen an der Waffel hat und dass Frances sicherlich nicht ihr erstes Opfer ist, was ja bereits die Zettel mit Mädchennamen und Telefonnummern an den vielen Handtaschen im Schrank angedeutet haben. Wir befürchten, dass Frances früher oder später ganz in Gretas Hände fallen wird, und so geschieht’s, und als der getreue Jordan-Spezi Stephen Rea als Privatermittler aufkreuzt und bei Greta anklingelt, ist uns sofort klar, dass er keinen langen Auftritt haben wird, und siehe da, er wird von Greta ziemlich kaltblütig abserviert. Als dann am Schluss eine Brünette bei Greta aufkreuzt mit einer neu ausgelegten Tasche, wissen wir auch, dass dies die treue Erica sein muss, die jetzt aufs Ganze geht, um die Freundin zu retten. Der Showdown zwischen den drei Frauen ist dann vielleicht etwas over the top, aber das gehört eigentlich auch zum Spiel, denn wieviel Thriller kennen wir, in denen das Monster schlichtweg unkaputtbar zu sein scheint und immer wieder vom Tode aufersteht, so wie Greta auch, und wenn die in der letzten Szene am Truhendeckel rüttelt und sich der kleine Eifelturm, der als Riegel dienen sollte, bedenklich wackelnd neigt, ahnen wir schon, dass die fiese Dame noch lange nicht am Ende ist.
Jordan inszeniert das total straight und straff, spart nicht mit trockenem Witz (vor allem Erica ist eine Kanone) und baut in den grundsätzlich unblutigen Plot die eine oder andere kleine Garstigkeit ein, die dann umso stärker wirkt. All das ist auf angenehmste Weise Oldschool und hat es absolut nicht nötig, mit irgendwelchen Tricks und Effekten aufgepimpt zu werden. Hier ist ein erfahrener Filmemacher am, Werk, der weiß, wie er eine Story erzählen muss und was es dazu braucht. Er nimmt sich New Yorker Flair, das uns in die Tage von „Rosemary’s Baby“ zurückversetzt (die ikonischen Brownstone Buildings undsoweiter), akzentuiert die Handlung hier und da effektvoll mit ironischer Säuselmusik und macht al das so gekonnt, dass ich mich bestens unterhalten fühlte, auch wenn jedes Bausteinchen brav an seinem Platz war. Wenn Trash ordentlich gemacht wird, kann er eben auch gut sein. Zudem liefert Madame Huppert auch eine formidable Performance, ihrerseits auch reichlich trashig, aber mit todernster, regungsloser Miene, und wenn sie mit starrem Gesicht wie ein tödlicher Wächter unten auf der Straße vor Frances‘ Wohnung oder Arbeitsplatz wartet, habe ich vollstes Verständnis dafür, dass die junge Dame aus Boston zunehmend nervös und panisch reagiert, denn von jemandem wie Greta möchte wohl niemand gestalkt werden! Also: Wenn da in der U-Bahn irgendwo eine Handtasche rumsteht, einfach wegsehen und weitergehen, so wie es echte New Yorker auch tun… (22.5.)