Hamburger Gitter von Marco Heinig, Steffen Maurer, Luise Burchard und Luca Vogel. BRD, 2018
G20 im Sommer 2017 in Hamburg, das war eine Stadt im Ausnahmezustand. In Erinnerung bleiben erschütternde Bilder wie aus einem Kriegsgebiet, Brände, Verwüstung, Plünderung, dazu ein entfesselter vermummter Mob und jubelnde Krawalltouristen aus der ganzen Republik, die mit der eigentlichen Sache überhaupt nichts am Hut hatten, sondern einzig und allein angereist waren, um ordentlich Dampf abzulassen. Dass die weitaus größte Zahl der Gegendemonstranten friedlich und durchaus von einer politischen Absicht geleitet durch die Stadt zog, und dass es auf Seiten der Autoritätsmächte eklatante Verstöße gegen Recht und Gesetz gab, ging seinerzeit zunächst ein bisschen im Pulverdampf der allgemeinen Empörung unter. Nicht lange allerdings, denn bald schon kamen die ersten Versuche, diese Vorgänge kritisch zu durchleuchten und aufzuarbeiten, und die Resultate waren äußerst peinlich und bitter für die Obrigkeit, die sich nach alter Sitte nichts annahm von alledem. Dieser Film, der Dokumentaraufnahmen vom Gipfel selbst mit später geführten Interviews mischt und dann noch ein paar Daten und Zahlen dazugibt, ist auf jeden Fall Teil dieser Bewegung und dazu ein ziemlich effektiver. Ganz einfach, unabhängig und ohne jeden technischen Aufwand in Szene gesetzt, verfolgt er ganz unverblümt das Ziel, das rechtwidrige Vorgehen der Einsatzkräfte als Teil einer übergeordneten Strategie hinzustellen, und ich finde, das tut er auch ziemlich überzeugend, auch wenn er zu keiner Zeit den Anspruch erhebt, in irgendeiner Weise unparteiisch und neutral zu argumentieren. Das tut er natürlich auch nicht – zu Wort kommen mit einer Ausnahme (nämlich der eines ätzend selbstzufriedenen Polizeisprechers) Leute aus dem linken Spektrum, Demonstranten, Aktivisten, Politwissenschaftler, Anwälte, Journalisten, Soziologen undsoweiter, und natürlich ist alles, was sie beizutragen haben, kräftig in der Wolle gefärbt – aber erstens ist mir persönlich das ziemlich sympathisch und zweitens bin ich erwachsen und mündig und kann mir ein eigenes Urteil bilden, zur Not auch in Abgrenzung von dem hier Gesagten und Gezeigten. Wir sehen größtenteils schwer uniformierte und bewaffnete Einheiten, die mit Knüppeln, Wasserwerfern, Gummigeschossen und anderen Hilfsmitteln auf die Demonstranten losgehen, während die Verwüstungen durch die schwarz vermummten Arschlöcher eher am Rande eine Rolle spielen. Man kann dem Film also mit Recht mangelnde Ausgewogenheit vorwerfen, das wäre aber dennoch deplatziert, denn Ausgewogenheit strebt er gar nicht an, und in der Argumentation geht es auch in erster Linie um etwas anderes. Ich persönlich hätte mir auch gewünscht, im Film wäre zu den Ausschreitungen der Autonomen wenigstens mal Stellung bezogen worden, aber tatsächlich soll hier nicht Unrecht gegeneinander aufgewogen werden. Es geht um die Frage, welche Haltung dazu führte, dass etliche der eingesetzten Polizisten am Ende genauso entfesselt zu Werke gingen wie der schwarze Mob, nur dass ihre Opfer gerade nicht dort zu suchen waren. Die Interviewpartner kommen übereinstimmend zu einem Ergebnis: Eine auf Deeskalation und Toleranz ausgerichtete Taktik war von Anfang an nicht im Plan, die Demonstrationsteilnehmer wurden bereits im Voraus kriminalisiert, die extremen Sicherheitsmaßnahmen und die enorme Anzahl an Einsatzkräften sprechen eine deutliche Sprache. Leute wurden bereits vor dem Gipfel selbst gefilmt, überwacht, bespitzelt, unliebsame Journalisten mit fadenscheinigen Begründungen ausgeladen, die Demozüge immer wieder durch enge Korridore gezwungen, kurz, von Beginn an entstand eine maximal angespannte, konfrontative, aggressive Atmosphäre. Das Bedrückende daran, wie auch in den Interviews mehrfach zum Ausdruck kommt, ist die Tatsache, dass dieses Vorgehen offenbar als alternativlos angesehen wurde, dass sich also von Seiten der Staatsgewalt niemand auch nur darum bemühte, eine andere Haltung zu propagieren. Dass die Situation immer wieder an vielen Orten außer Kontrolle geriet und chaotische, bedrohliche Ausmaße annahm, ist zu einem guten Teil also auch der Strategie der Sicherheitskräfte zuzuschreiben. In den Gesprächen wird detailliert und eindringlich, dabei zumeist aber relativ sachlich davon berichtet, wie es im Tumult selbst zuging, aber auch, wie Beobachter und Berichterstatter mit den Ereignissen konfrontiert wurden, was sich auch abseits der eigentlichen Schauplätze zutrug, zum Beispiel auf jenem umzäunten Gelände an den Bahngleisen, wo die Sondereinheit eine Art Gefangenenlager eingerichtet hatte, das höchst ungute Assoziationen freisetzte, oder im Zusammenhang mit den vielen willkürlich und völlig widerrechtlich geräumten Zeltlagern in der Stadt, oder auch im Zusammenhang mit der Berichterstattung einer sattsam bekannten deutschen Zeitung, die Fahndungsfotos von Demonstranten aufs Titelblatt setzte wie einst die Fotos von Terroristen. Die Gewalt der Uniformierten nahm zum Teil erschreckende Ausmaße an, ihre Überforderung, ihre Hilflosigkeit, die dann in Hass umschlug, ihre Unfähigkeit, auf die offensichtlich haltlos ausufernde Situation zu reagieren. Die offenkundig bewusste und vorsätzliche Verletzung geltenden Rechts ist dabei ebenso erstaunlich und bedenklich wie die Art und Weise, in den Erklärungen später darüber hinweg zu gehen und die ganze Aktion sogar als Erfolg zu werten, der lediglich durch das Wüten des schwarzen Pöbels getrübt wurde.
Ich gehöre gewiss nicht zu denen, die immer gleich das Gespenst vom Polizeistaat an die Wand malen und das Ende der Demokratie verkünden. Was allerdings in Hamburg geschah, hat mit demokratischem Denken und Handeln zugegebenermaßen nicht allzu viel zu tun. „Hamburger Gitter“ ist genau richtig und dafür gemacht, einige sehr drängende, fundamentale Fragen in den sprichwörtlichen Raum zu stellen: Wie verhält sich ein Staat, wenn ihm Widerstand von Bürgern entgegengebracht wird? Wie behandelt er jene, die von ihrem Recht Gebrauch machen und ihren Protest kundtun wollen? Wie werden die vermeintlichen Ordnungshüter auf ihre Aufgabe vorbereitet, welche Direktiven werden ihnen an die Hand gegeben? Und wer ist bereit, am Ende die Verantwortung für das ganze Desaster zu übernehmen und vielleicht auch mal ein paar Konsequenzen aus dem Erlebten zu ziehen? Man hat an diesem Wochenende im Juli 2017 gesehen, dass in solchen Fällen die Demokratie auch mal ihre hässliche Seite zeigen und sich damit selbst zugleich in Frage stellen kann, gerade in einer Situation, wo sie ihre Stärke und Selbstsicherheit hätte demonstrieren müssen. Man kann daraus die Frage ableiten, wie des denn mit Stärke und Selbstsicherheit dieser Demokratie bestellt ist, wenn teilweise derartig hasserfüllt und blindwütig auf Demonstranten losgedroschen wird. Und man kann eigentlich nur hoffen, dass es ein paar besonnene, kluge Leute da oben gibt, die Einfluss haben und die in der Lage sind, den Lauf der Dinge bei einer weiteren ähnlichen Gelegenheit vielleicht in eine andere Richtung zu lenken. So richtig glauben mag ich’s indessen nicht… (3.4.)