High Life von Claire Denis. Frankreich/England/BRD, 2018. Robert Pattinson, Juliet Binoche, Mia Goth, Jessie Ross, André Benjamin, Gloria Obianyo, Agata Buzek, Lars Eidinger, Claire Tran
Muss man sich mal klar machen, dass das olle Klärchen nun schon Anfang bis Mitte siebzig Jahre alt ist – wenn ich nur diesen Film hier sehe, würde ich nie auf diesen Gedanken kommen, denn von so etwas wie einem Alterswerk im Sinne von versöhnlicher Einkehr kann man da nun wahrlich nicht sprechen. Claire Denis hat mal wieder alle überrascht und einen lupenreinen Science-Fiction-Film gedreht – cool, spöttisch, smart, bizarr und tiefgründig, einen ihrer besten Filme, jedenfalls für meinen Geschmack. Kein leichter Stoff für den späten Abend, manche sprachen beim Verlassen des Kino von „ganz schön beklemmend“, bei mir blieb eher das satirische Element hängen, und allgemein stellte ich fest, dass ich diesmal fast schon von „Unterhaltung“ sprechen würde, wobei man die Anführungszeichen ganz dick setzen muss, denn mit gängigem Sci-Fi hat das Klärchen natürlich gar nix zu tun.
Aber sie bedient sich des Genres und seiner Erzählmuster durchaus bewusst und sehr souverän. Immer wieder tauchen Motive und Klischees auf, die sich in vielen Filmen wiederfinden und die hier mit grimmiger Lust aufgegriffen und auf ganz eigene Art verarbeitet werden. Diese grimmige Lust zeigt sich für mich zuallererst im Design, in der Ausstattung: „High Life“ ist auf fast provozierende Weise old-school, low-tech, ein genüsslicher Gegenentwurf zur überkandidelten und oft auch sehr naiven Technikfaszination des durchschnittlichen Sci-Fi-Films, einer Faszination, die ja sehr häufig das Kommando übernimmt, sich verselbstständigt und dafür sorgt, dass unterm Strich nicht viel mehr bleibt als eine schick gestylte Effektshow. Claire Denis hat sich dagegen entschieden und mit Nachdruck abgegrenzt und hat als Filmemacherin die Zügel jederzeit fest in der Hand behalten, und auch daran sehe ich, dass sie seit bereits drei Jahrzehnten eigene Filme macht und über ein entsprechendes Standing verfügt. Nicht viele hätten, denke ich, den Schneid, uns ein derart skurriles Retroraumschiff zuzumuten, das ausschaut wie eine durchs All fliegende Holzkiste, einfach nur viereckig mit zwei Triebwerken irgendwo und zwei Lichtern irgendwo anders, jeder Zoll also eine Parodie auf die lächerlich aufgepimpten Superdinger, die uns sonst angeboten werden. Innen sieht’s dann genauso schäbig aus, hier und da blinken ein paar Lichter, um uns daran zu erinnern, dass dies ja ein Science-Fiction-Film ist, aber sonst ist die Ausstattung denkbar uncool, schmuddelig, schräg. Und was sich dann in diesem merkwürdigen Ding zuträgt, das ist noch viel schräger.
Die Menschheit merkt, dass die Energiequellen knapp werden und versucht deshalb, die Schwarzen Löcher im All zu erforschen, um herauszufinden, ob sich dort nicht vielleicht gigantische Ressourcen abzapfen ließen. Eine Mission, die direkt an den Rand eines Schwarzen Lochs führen soll, ist natürlich kein Pappenstiel und ziemlich lebensgefährlich, also beschließt man, die Raumschiffe mit Leuten zu bemannen, die nichts mehr zu verlieren haben, in erster Linie Gefängnishäftlinge mit hohen Strafen oder besser noch gleich aus dem Todestrakt, und so setzt sich im Wesentlichen auch die Besatzung unseres Raumschiffs mit der Rückennummer 7 zusammen. Wilde Typen und taffe Mädels, Mörder, Totschläger, was das Herz begehrt, und mitten unter dieser illustren Schar weilt Dr. Dibs, die selbst den Tod ihrer Familie auf dem Gewissen hat und die nun eifrig versucht, hier im All auf ihrem endlos langen Weg neues Leben zu erschaffen, zu züchten eher. Sie behandelt ihre Crew regelmäßig mit Psychopharmaka, Tranquilizern, die sie dämpfen sollen, die auch für Ruhe an Bord sorgen sollen. Sie überredet die Boys, in Plastiktöpfe zu wichsen und tauscht das Erzeugnis dann gegen schöne bunte Pillen. Dann versetzt sie die Girls in pharmazeutischen Schlaf und appliziert ihnen das Sperma mit einem langen dünnen Glasrohr. Ab und zu kommt dann mal ein Baby zur Welt, doch nur ein einziges wird überleben, ein kleines Mädchen namens Willow. Es ist vermutlich deshalb so widerstandsfähig, weil beide Eltern total unfreiwillig an Dibs‘ Experimenten teilnehmen, beide wollen sich nicht für ihre Obsession missbrauchen lassen, Monte nicht als Samenspender, Boyse nicht als Zuchtstute. Indem Dibs beide austrickst, erzeugt sie viel Zorn, und den nutzt Willow ihrerseits zum Überleben (hab ich mir jedenfalls so zurechtgesponnen). Auch sonst ist das Klima an Bord chronisch aufgeladen. Der Besatzung dämmert natürlich bald, dass sie kaum, eine Chance haben werden, jemals wieder zur Erde zurückzukehren, jedenfalls nicht zu der Erde, die sie einst verließen, denn die Zeit in der Lichtgeschwindigkeit vergeht ein wenig langsamer als im gewöhnlichen Leben. Männlein und Weiblein leben dicht aufeinander, Intimsphäre ist nicht vorhanden, und sie alle haben eine gewisse Neigung zur Aggressivität gemeinsam, die sie dahingebracht hat, wo sie vorher warne, nämlich im Knast. Der chronische Luststau kann in der sogenannten Fuck Box abreagiert werden, wo sich Dibs beispielsweise vorzugsweise austobt, doch wenn das mal nicht reicht, kommt es auch zu Übergriffen, Vergewaltigung und dem anschließenden Vergeltungsakt. Auf diese Weise dezimiert sich die Crew weitgehend gegenseitig selbst, oder endet wie Boyse in einer wütenden Selbstmordmission, allein Dibs lässt sich, beseelt von ihrem Glück über die letztlich dann doch geglückte Geburt einfach so und ganz friedlich ins All hinausgleiten. Übrig bleiben Monte, der sich irgendwann gegen Sex und für die Enthaltsamkeit entschieden hat, und seien Tochter Willow, die zum jungen Mädchen heranwächst und anfängt, Fragen zu stellen. Claire Denis erzählt das nicht linear, sondern in eine Art Kreiselbewegung, zeigt uns die beiden am Anfang, sie als kleines Baby, er als sorgender Vater, der einerseits versucht, die Kleine jederzeit im Blick zu behalten und andererseits bemüht ist, seine Pflicht den irdischen Auftraggebern gegenüber zu erfüllen, wohl wissend, dass diese kaum noch am Leben sein können. Eines Tages trifft Raumschiff Nummer 7 auf Raumschiff Nummer 6, das scheinbar nur noch Hunde transportiert, manche tot, andere verwildert, und Monte kann seine Tochter nur mit Mühe überzeugen, keinen der kleinen Welpen an Bord zu nehmen. Schließlich nähert sich Nummer 7 dem angestrebten Schwarzen Loch. Monte und Willow nehmen einen kleinen Raumgleiter, verlassen die fliegende Holzkiste und steuern den glitzernden Wirbel an, ohne eine Ahnung davon zu haben, was sie dort erwarten könnte.
Ich habe „High Life“ als fantastisch realisierte, grimmige Parabel auf die ewige Schizophrenie der Spezies Mensch gesehen: Einerseits zerstören und vernichten wir unaufhörlich, andererseits streben wir ebenso unaufhörlich nach Neuem. Das Destruktive und das Schöpferische duellieren sich in unserer Geschichte seit jeher, und bislang hat weder das eine noch das andere einen Sieg auf Dauer davontragen können – vielleicht zum Glück. In dem einen ist immer zugleich das andere angelegt – keine Katastrophe ohne die Hoffnung auf einen Neubeginn, keine bahnbrechende Entdeckung ohne den Missbrauch derselben, ohne die sofortige Pervertierung eines eigentlich gutgemeinten Gedankens. So sind wir halt und können nicht anders. Auch eine kleine Schicksalsgemeinschaft wie die Crew des Raumschiffs Nummer 7 ist nicht imstande, ist auch nicht willens, friedlich und konfliktfrei miteinander zu leben. Die Entmenschlichung des Menschen durch den unvermeidlichen Mad Scientist (den die Binoche mit köstlicher Exzentrik verkörpert) soll angeblich einem guten Zweck dienen, der aber wird aber verunreinigt durch Hybris und Gewalt. Die beiden Geschlechter werden jeweils auf ihre elementaren Funktionen reduziert, und was uns bizarr und irgendwie grausam anmutet, ist im Grunde nur eine ganz zu Ende gedachte Tendenz, die längst schon im Gang ist, und unsere Ethik immer wieder auf den Plan ruft: Wir werden eingeteilt in die Samenspender und die Gebärmaschinen, da gibt es keine Bedenken und keine Skrupel, jedenfalls nicht bei Dr. Dibs, die total überzeugt und besessen von ihrer „Mission“ ist. Denis lässt an manchen Stellen einen der Alien-Filme anklingen, spielt an anderen Stellen auf die Öko-Fantasien einiger Sci-Fi-Machwerke an und liefert so einen der originellsten und zwingendsten Beiträge zur Gattung. Stuart Staples steuert einen effektvoll dräuenden Soundtrack bei, das Design ist wie gesagt ein Ereignis für sich, und als Zuschauer bin ich genauso hin- und hergerissen in meinen Reaktionen, wie die Betroffenen selbst. Hoffnung, Wut, Sinnlosigkeit, Sehnsucht, Einsamkeit und, wie im Falle Monte, ein ganz elementarer Fürsorgeinstinkt werden angesprochen und ausgedrückt in knapp zwei sehr ruhigen, teilweise fast meditativen, teilweise auch recht bösen, jederzeit aber äußerts eindrucksvollen und anregenden Stunden, die ich sehr gern in etwas wacherem Zustand verbracht hätte, aber Kino mitten in der Arbeitswoche bis gut nach elf ist halt auch eine Herausforderung… (5.6.)