Joker von Todd Phillips. USA, 2019. Joaquin Phoenix, Robert de Niro, Zazie Beetz, Frances Conroy, Marc Maron, Brett Cullen, Josh Pals

   Für alle, die unbedingt wissen wollen, wie der Joker zu dem wurde, was er letztlich geworden ist – der fieseste Batman-Antagonist und zugleich eine Kultfigur unter Comic-Nerds. Ein kleiner Junge, seiner Psychomutter ausgeliefert, misshandelt, isoliert, später dann ein großer kleiner Junge, noch immer seiner Psychomutter ausgeliefert und emotional fest an sie gebunden, noch immer isoliert, ein Freak und Außenseiter, der als Clown auftritt, der die zunehmende Verrohung und Gewalttätigkeit in Gotham City am eigenen Leibe zu spüren bekommt, der zusammengetreten und gedemütigt wird, gegen den gemein intrigiert wird, und der von seiner Mutter erfährt, wer sein leiblicher Vater ist – angeblich. Niemand geringeres als Mr. Thomas Wayne, ebenfalls Vater von Bruce Wayne, und da schließt sich dann ein Kreis, falls Ma die Wahrheit sagt, was Mr. Wayne natürlich vehement leugnet. Arthur Fleck erlebt eine weitere Erniedrigung, als er von seinem großen Idol, dem TV-Comedian Murray Franklin, öffentlich der Lächerlichkeit preisgegeben wird, und dabei will er auch ein guter und erfolgreicher Comedian sein. Arthur wird immer isolierter, negativer, aggressiver, sein hysterisches, krankhaftes Lachen ist seiner Umwelt unheimlich, und schließlich wird ihm eine Waffe zugespielt, mit der er in der U-Bahn ein erstes medienwirksames Zeichen setzt. Die Geburt des Jokers hat stattgefunden, und die Gewaltspirale, die Arthur unbewusst in der Stadt losgetreten hat, nimmt jetzt so richtig Fahrt auf.

 

   Natürlich ist das hier keiner der üblichen Comicfilme, bunt und schrill und das Gute gewinnt letztlich immer. „Joker“ ist eine Mischung aus Psychodrama, Gewalt- und Sozialstudie, möchte es jedenfalls sein, so wie es aussieht, ist meiner Meinung nach für diesen Anspruch aber doch ein wenig zu oberflächlich. Die Herleitung von Arthurs Verwandlung vom einsamen, gepeinigten Loser zum hemmungslosen Verbrecher, der bald Macht über eine ganze Armee von Clowns haben wird und das Gleichgewicht in Gotham City nachhaltig ins Wanken bringt, erfolgt anhand stereotyper Mechanismen, auf die er dann ebenso stereotyp reagiert. Das Problem in diesem Fall ist nur die Klischeehaftigkeit der Ursachen, sondern auch das Fehlen eines positiven Gegengewichts. Gotham City ist eine Stadt, die immer näher an den Abgrund rutscht, in der die Autoritäten zunehmend die Kontrolle verlieren, weil sie sich selbst zu lange und zu sehr in Korruption, Selbstgefälligkeit und Ignoranz gewiegt haben und nun vom rasenden Pöbel überrascht werden. Das hat ja zumindest erstmal einen deutlichen Realitäts- und Gegenwartsbezug, und die Ausstatter haben sehr richtig darauf geachtet, kein utopisches Szenario zu kreieren, sondern ganz im Gegenteil einen tristen, grauen Retrolook, der bewusst und gezielt an die Städte der 80er Jahre erinnern soll. Eine sehr gute, perfekt umgesetzte Entscheidung, wie ich finde. Leider bleibt der aufbegehrende, gewaltbereite Mob letztlich total anonym, zynisch und zerstörerisch, und als Arthurs Dreifachmord in der U-Bahn mitsamt Bildern seines Clown-Outfits medial verbreitet wird, löst sich eine Lawine, sich unaufhaltsam zu sein scheint, die aber weniger sozialpolitisch motiviert ist, als vielmehr den vielen Trittbrettfahrern und Nachahmern zu verdanken ist, die die Idee von dem tödlichen Clown einfach geil und hip finden und diese Masche schnell zum neuen Trend machen. An dieser Stelle verspielen Drehbuch und Regie ganz eindeutig eine Chance. Um dieses Gotham City hat man einfach keine Angst, weil eh nur Arschgeigen, korrupte Politiker oder Gewaltjunkies darin leben. Personen wie die junge Nachbarin Sophie, die Arthur sich kurzerhand als seine Freundin erträumt, haben fast keinen Raum, und andere wiederum wie der populäre Comedian Murray Franklin, sind viel zu üble Zeitgenossen, um irgendwie mein Mitgefühl zu verdienen. Wenn Arthur ihm also letztlich vor laufenden TV-Kameras und in aller Öffentlichkeit das Hirn rausballert, kann mir das schnuppe sein, und das ist eine Reaktion, die ich lieber gar nicht empfunden hätte, die mir aber verrät, in welche Richtung der Film zielt. Nämlich nicht in Richtung ernsthafte Psycho- und Gewaltstudie, sondern viel eher in Richtung cooler, finsterer Reißer. Als solcher ist „Joker“ zugegeben ziemlich effektiv, äußerst bedrückend, psychotisch, psychedelisch und zunehmend brutal. Das ist insgesamt nichts Besonderes, besonders ist einzig die Darstellung von Joaquin Phoenix, eindringlich und erschreckend zugleich, von einer Intensität und Präsenz, die in solchen Filmen nur sehr selten anzutreffen ist, die ich aber von Phoenix schon erwartet hatte, denn der ist wie geschaffen für diese dunklen, abgründigen Charaktere und kann sich wie kaum ein anderer buchstäblich mit Haut und Haaren in diesen Abgrund hineinfallen lassen. Damit geht der noch viel weiter als der einst gefeierte Heath Ledger, aber er hat natürlich auch viel mehr Raum und Material zur Verfügung, anders übrigens als alle anderen Schauspieler, auch de Niro, dessen schmieriger TV-Star aus einem früheren Film entlehnt zu sein scheint und mich im Übrigen auch nicht sonderlich interessiert hat. So ist Phoenix‘ Interpretation des traurigen Antihelden, der zum grimmigen Rächer an allen, die ihm wehtaten, wird, sicherlich die größte Attraktion des Films, der außerdem mit seiner gelungenen Atmosphäre, der schön labyrinthischen, zum Ende hin immer mysteriöseren Handlungsführung und vor allem auch Hildur Guðnadóttirs brillantem Soundtrack punkten kann, und sich dadurch schon abhebt von den vorherigen Batman- bzw. Dark-Knight-Filmen, im Vergleich zu denen er deutlich schwergewichtiger und weniger actionorientiert daherkommt. Das hat mir gefallen, und spannend ist „Joker“ sowieso, man sollte aber nicht mehr erwarten als einen effektvollen Dunkelthriller, denn dafür fehlt doch einiges. (11.10.)