Kursk von Thomas Vinterberg. Frankreich/Belgien/England/BRD, 2018. Matthias Schoenaerts, Léa Seydoux, Peter Simonischek, Artemyi Spiridonov, Tom Hudson, Lars Brygman, Colin Firth, Max von Sydow, Joel Basman, Bjarne Henriksen, August Diehl, Pernilla August, Matthias Schweighöfer

  Der Untergang des Atom-U-Bootes Kursk in der Barentssee im August 2000 als idealer Einstieg für Meister Putin. 118 russische Seeleute starben, einige von ihnen hätten möglicherweise gerettet werden können, wenn die russische Führung schnell reagiert und die unmittelbaren Hilfsangebote aus Norwegen und England angenommen hätte, selbst auf die Gefahr, das eigene Gesicht zu verlieren und eigene technische Unzulänglichkeiten einzuräumen. Man entschied sich aber bekanntermaßen dafür, das Gesicht zu wahren und die technischen Pannen und Mängel nicht öffentlich zu machen, und obendrein war der Kalte Krieg nie ganz richtig vorbei, und also murkste man dilettantisch und erfolglos ein paar Tage herum, hielt die Öffentlichkeit, besonders die besorgten Angehörigen der Besatzungsmitglieder, konsequent im Unklaren, beschied sie stattdessen mit leeren, einfältigen Parolen und tat nach außen hin so, als habe man alles unter Kontrolle. Als man die Norweger nach einer geschlagenen Woche dann doch tauchen ließ, war logischerweise alles zu spät, und selbst die, die sich für kurze Zeit in einen nicht zerstörten Teil des U-Bootes hatten retten können, waren längst tot.

   Politisches und militärisches Kalkül, dem eiskalt Menschenleben geopfert werden – widerwärtig. Die Russen waren tatsächlich so dumm anzunehmen, dass sie ihr Gesicht nicht noch viel mehr verlieren würden, wenn sie sich auf ihr eigenes veraltetes und unzureichendes Equipment verließen, um ja keinen Zweifel an ihrer Souveränität aufkommen zu lassen. Während sich in über 100 Metern Tiefe in der Kursk ein verzweifelter Überlebenskampf abspielt und oben an Land die Frauen der Seeleute vergeblich um Aufklärung ersuchen, machen sie Scheißuniformträger das, was sie immer schon getan haben: Sie schließen die Reihen, halten die Schotten dicht, mauern sich ein hinter ein paar hohlen Phrasen und ihrer Befehlsgewalt. Selbst die Leute vor Ort, die durchaus anderer Ansicht sind, haben keine Möglichkeit, dieses Bollwerk aus Ignoranz, Arroganz und Demenz zu überwinden, und auch der aufrechte englische Commander appelliert vergeblich an den drängenden Zeitfaktor und die Menschlichkeit und die Vernunft. Alles nicht zu haben bei den verknöcherten russischen Militärs, und so müssen sie am Schluss die Reihen der Trauernden abschreiten und jedem einzelnen die Hand schütteln. Bis ein kleiner Junge den Anfang macht und den Handschlag verweigert und alle anderem es ihm nachtun.

   Eine Geschichte, die nicht gerade glücklich macht, die im Gegenteil wütend und empört macht und ganz nebenbei natürlich auch die Frage zulässt, ob irgendein anderer Staat unter denselben Voraussetzungen wohl anders reagiert hätte als Russland. Thomas Vinterberg, der für mich nicht gerade die erste Wahl für solche Stoffe wäre, hat daraus ein sehr konventionelles aber auch sehr wirkungsstarkes Drama gemacht, das den zermürbenden Wettlauf mit der Zeit äußerst effektvoll in Szene setzt und sicherlich als würdige Ehrung der Kursk-Besatzung durchgehen kann. Das Drehbuch erlaubt sich ein paar verräterische Freiheiten mit den Tatsachen – verräterisch insofern, als man Rückschlüsse auf die Finanzierung und die daran beteiligten Länder ziehen kann. So tauchen hier eben keine Norweger sondern Briten runter zur Kursk, damit man den Star Colin Firth entsprechend in Szene setzen kann, und die übrige Cast setzt sich zumeist aus Skandinaviern, Franzosen oder Deutschen zusammen. Die alle machen ihre Sache gut, nur bemerkt man es schon, dass hier auf ganzer Linie gar keine Russen beteiligt sind, und die hatten wohl auch gar kein Interesse daran. Manche Dinge ändern sich eben nie.

   Viele Szenen sind sehr gut gelungen: Die fieberhaften Versuche der Eingeschlossenen, soviel Sauerstoff wie möglich freisetzen zu können, ihre Versuche, sich gegenseitig Kraft und Mut zuzusprechen, ihr Kampf gegen Kälte, Nässe, Luftnot und Angst und immer wieder die grausame Hoffnung, wenn über ihnen das Rettungsgefährt anzudocken versucht und mehrmals kläglich scheitert. Die Reaktion der Verantwortlichen oben im Hafen, die schon wissen, was los ist und dass sie selbst es kaum schaffen werden, die aber vom Militär und der Politik ständig unter Druck gesetzt werden. Die Schlamperei der Russen ist fahrlässig, skandalös wird sie eben dann, wenn man sie mit allen Mitteln vertuschen will, selbst wenn es Menschenleben kostet. Hier ist Vinterbergs Film packend, spannend, aufwühlend. An anderer Stelle verlegt er sich eher aufs gewöhnliche Melodrama, wenn es um die Hinterbliebenen geht, die Frauen und Kinder, ihr Hoffen und Bangen, ihr Ringen um Auskunft und Erklärungen. Der scheinbar unsterbliche Max von Sydow gibt einen schön fiesen Admiral, der alle Zivilisten verachtet und strikt nach Protokoll vorgeht und am Ende die Verachtung der trauernden Angehörigen zu spüren bekommt. Colin Firths Rolle hingegen ist ziemlich eindimensional und polemisch, und er kann nicht viel mehr damit tun, als möglichst würdevoll und cool auszuschauen, und das beherrscht er ja in jedem Fall. Und so ist manches recht schlicht und schematisch, anderes wiederum eindringlich und stark. Alexandre Desplat ist in der Folkloreabteilung unterwegs, und Master Dod Mantle sorgt wie immer für einen tollen Look.

 

   Ich geb zu, dass ich von einem Regisseur wie Vinterberg in diesem Zusammenhang anderes, vielleicht mehr erwartet hätte, mehr Politik sicherlich, doch dies ist eine internationale Koproduktion mit dem Fokus auf kompatible Unterhaltung. Wenn ich mich damit arrangiere, dann ist „Kursk“ durchaus okay, auch wenn er das Rad bestimmt nicht neu erfindet und alles in allem sehr im gewohnten Rahmen bleibt. Es scheint schwer zu sein, eine Produktion zu finanzieren, die sowohl anspruchsvoll und tiefgängig als auch kassentauglich ist. Wahrscheinlich gibt es zu wenige Produzenten, die überhaupt an diese Mischung glauben, und solange das so ist, werde ich mit einem Film wie diesem zufrieden sein müssen. (16.7.)