Dolor y gloría (Leid und Herrlichkeit) von Pedro Almodóvar. Spanien, 2019. Antonio Banderas, Asier Etxeandia, Leonardo Sbaraglia, Penélope Cruz, Nora Navas, Julieta Serrano

 Mit Alterswerken ist das so eine Sache. Nicht unbedingt mein Fall, würde ich verallgemeinernd sagen. Und mit männlichen Alterswerken ist das erst recht so eine Sache – obwohl, es gibt glaube ich sowieso nur männliche Alterswerke, oder? An weibliche kann ich mich jetzt grad nicht erinnern, die Damen stehen offensichtlich auch im Alter eher noch mitten im Leben. Nur Männer haben diese Mischung aus Nostalgie und Wehleidigkeit, angereichert durch eine gehörige Prise Hypochondrie. Wenn man Glück hat, behandeln sie diese herrliche Kombination mit ein wenig Ironie, aber darauf ist leider kein Verlass. Zu der oben genannten Verallgemeinerung füge ich jetzt noch eine zweite hinzu: Die Almodóvar-Filme, die einen Mann im Mittelpunkt haben, sind in der Regel lang nicht so gut wie seine Frauenfilme. So, und jetzt muss ich’s nur noch zusammenbringen: „Leid und Herrlichkeit“ ist ein Alterswerk mit einem Mann als Hauptfigur. Ergo: Nicht Almodovars bester, und zwar längst nicht.

   Meister Pedro schickt sein bewährtes Alter Ego Antonio Banderas nochmal los, um ein Stück Befindlichkeit des Künstlers als alter Mann einzufangen. Salvador hat sich ziemlich zurückgezogen, seitdem die geliebte Mama gestorben ist und er immer mehr körperliche Zipperlein angehäuft hat bis hin zum Tumorverdacht wegen andauernder Schluckbeschwerden. Eine unerwartete Anfrage wegen eines uralten Films von ihm lockt ihn doch noch mal aus dem Schneckenhaus und bringt ihn dazu, sich seinen Erinnerungen und Gefühlen zu stellen. Er nimmt Kontakt zu seinem damaligen Hauptdarsteller auf, wühlt damit auch alte Geschichten wieder hoch, leistet sich zwischendurch eine überflüssige Heroinabhängigkeit wegen angeblicher Schmerzen, kriegt Besuch von einem früheren Geliebten und erinnert sich vor allem immer wieder an die gemeinsame Zeit mit seiner Mutter, die ihm immer ein emotionaler Fixstern war. Vor allem aber kommt ihm wieder jener scheinbar vergrabene Moment wieder in den Sinn, der seine erste sexuelle Begegnung warf, obwohl er als junge das damals noch nicht so klar erkannte. All dies setzt seine Kreativität nach langer Durststrecke wieder in Gang, er beginnt neu zu schrieben und zu inszenieren, und schließlich wird er seine Geschichte und die seiner Mutter in Szene setzen.

 

   Banderas ist zunächst mal sehr überzeugend mit hängenden Schultern, gebeugter Körperhaltung und müdem, warmen Blick, der allerdings eintrübt, wenn er mal wieder was geraucht hat. Seinem Salvador fehlt das Feuer, die Lebensenergie, er ist verbraucht, erschöpft, auch ein wenig depressaiv und viel zu sehr auf seine körperlichen Gebrechen fokussiert. So ganz überzeugend kriegt Almodóvar den Prozess zurück ins Leben auch nicht hin, finde ich. Natürlich rühren ihn die Begegnungen mit zwei engen alten Freunden bzw. Geliebten wieder auf und natürlich kümmert sich seine Freundin oder Assistentin Mercedes aufopferungsvoll um ihn, doch was es genau das, das ihn dazu bewegt, wieder zum Stift zu greifen und sogar eigenhändig Regie zu führen, hat sich mir persönlich nicht recht erschlossen. Almodóvars beabsichtigte Geste ist klar, der Blick geht zwar zurück, die Wurzeln, die Vergangenheit sind unbedingt und maßgebend wichtig, doch der Blick muss zugleich nach vorn gehen, es muss eine Zukunft geben, etwas wofür es sich weiter zu leben und zu schaffen lohnt, jedenfalls wenn von einem Künstler die Rede ist. Dass Almodóvar als Regisseur nicht mehr das Temperament wie vor dreißig Jahren hat, ist normal und richtig und gar kein Problem, seine Filme sind seit etlichen Jahren ruhiger, nachdenklicher, besonnener geworden, und das hat ihn für meinen Geschmack sehr gutgetan. Hier aber fehlt dann doch ein wenig der Pep, der gewohnte Witz, ein bisschen was Freches und Überraschendes. Hier und da klingt die bekannte und geliebte Almodóvar-Magie an, etwa wenn Alberto sehr sexy und innig zu den ersten Takten von „La vie en rose“ von Grace Jones tanzt, und hier und da finden sich noch Spuren der früheren Kühnheit, die Almodóvars wüste Melodramen so viel mutiger und konsequenter und romantischer machte als die schmalbrüstigen Versuche der Kollegen. Insgesamt aber ertappte ich mich dabei, recht wenig Anteil zu nehmen an dem Geschehen auf der Leinwand, und selbst die gewohnt tollen Schauspieler haben daran nicht soviel ändern können. Hypochondrische alte Herren sind halt nicht so ganz mein Thema, und dem alten Pedro ist das sicherlich auch viel zu nahe, um zu einer gewissen ironischen Distanz zu finden, und vermutlich wollte er das auch gar nicht, vielleicht identifiziert er sich selbst viel zu stark mit Salvador. Seine Liebe und Nähe gelten jedenfalls ganz ihm, das ist zu spüren, das ist auch schön, aber es finden sich in diesem Filmen einige Passagen, denen es deutlich an Tempo und Schwung fehlt. Immerhin gibt der Film Anlass zur Hoffnung, dass es Don Pedro geht wie seinem Salvador, dass er nämlich wieder zu mehr Energie und Kreativität findet, und dass wir uns darüber vielleicht schon in seinem nächsten Film freuen können. Dieser hier ist durchaus gefühlvoll und weise und empathisch – aber eben ein Alterswerk. (31.7.)