Marianne & Leonard - Words of love von Nick Broomfield. USA/Kanada/England, 2019.

   Wieder eine Wissenslücke aufgefüllt: Jetzt weiß ich endlich, wer genau die Marianne in Leonard Cohens „So long Marianne“ ist, nämlich eine Norwegerin namens Marianne Ihlen, klassisch blond und hübsch, und die war für einige Jahre ab 1960 sowas wie die Muse des edlen Dichters und Liederschreibers. Dieser Film will ein bisschen ihre Geschichte erzählen, oder besser gesagt, die Geschichte der beiden, aber eigentlich, wie vielleicht auch zu erwarten war, geht es zu gefühlt siebzig Prozent um Cohens Geschichte, denn da gibt’s natürlich auch mehr zu zeigen, und die Promis, die zu Wort kommen, beziehen sich naturgemäß vorwiegend auf ihn.

   Die beiden treffen sich 1960 auf der kleinen griechischen Insel Hydra, die in jenen Jahren zum In-Place für Künstler und Drop-outs aller Couleur wird. Marianne ist mit dem Schriftsteller Axel Jensen verheiratet, doch die Ehe geht bald in die Binsen, Axel verlässt sie und sie bleibt mit dem gemeinsamen Sohn Axel jr. zurück. Erst war sie die Muse von Axel, nun wird sie die Muse eines kanadischen Schriftstellers, und es wird auch Liebe draus, aber Leonard bleibt nie bei einer Frau, und Kinder werden die beiden nicht zusammen haben. Sie trennen sich spät in den 60ern, er wird Musikstar, sie pendelt fortan ziellos zwischen Hydra und Norwegen, und nicht nur ihr psychisch angeschlagener Sohn ist ein Zeichen, dass sie für das jahrelange „freie“ Leben einen Preis zu zahlen hat. Während Leonard rastlos von Frau zu Frau eilt, legt auch sie sich nacheinander mehrere Liebhaber zu, bis sie Ende der 70er endlich bei einem einzigen landet und ihn heiratet. Ihr Kontakt zu Leonard reißt nie vollkommen ab, immer mal wieder laufen sie sich zwischendurch über den Weg. Leonards Leben verzeichnet auch etliche Um- und Abwege, er hat irgendwann genug vom Leben als Star, geht für einige Jahre ins Kloster, ist dann völlig pleite, weil er von seiner Managerin gelinkt wurde und muss in fortgeschrittenem Alter nochmal ganz neu auf der Bühne anfangen, was er auch mit Bravour hinkriegt. Als Marianne 2016 schließlich im Sterben liegt, lässt er ihr, von einem norwegischen Freund benachrichtigt, eine bewegende kurze Abschiedsnote zukommen, bevor er selbst wenige Monate nach ihr stirbt. Diese Note verweist noch einmal auf eine scheinbar ganz besonders tiefe, liebevolle, freundschaftliche Beziehung, die offenbar immer da war, auch wenn die beiden viele Jahre lang keinen Kontakt hatten und auch wenn beide als Liebhaber längst getrennte Wege gingen.

   Nachdem Nick Broomfield die ersten gemeinsamen Jahre mit größerem Detailreichtum schildert, wird er mit fortschreitender Zeit, wie so viele Dokumentarfilme auch, flüchtiger und sprunghafter. Ganze Jahrzehnte fliegen plötzlich vorbei, und über die spätere Marianne erfahren wir so gut wie gar nichts mehr, was entweder bedeutet, dass es schlichtweg nichts mehr zu erzählen gab, oder dass ihr Leben von Broomfield nicht mehr als erzählenswert betrachtet wurde. Cohens wechselvolle Geschichte steht jedenfalls deutlich im Vordergrund, und obwohl das auch mal ganz interessant zu erfahren ist, doch gerade der emotionale Ausklang legt eine Verbindung nahe, die eine enorm lange Zeit überdauert hat, und über die hätte ich dann doch gern etwas mehr gewusst. An der Oberfläche sind die Rollen anfänglich klar verteilt: Er ist der Künstler, tiefsinnig, dunkel, ernst, charismatisch, egozentrisch und prätentiös, der Womanizer mit unstillbarem Hunger und offenbar magnetischer Anziehungskraft auf Frauen. Sie ist die Frau, die sich gern und vollständig in die Rolle der Muse fügt, sitzt zu seinen Füßen, bringt ihm Wein und Brot, wenn er danach verlangt, liebt ihn hingebungsvoll, inspiriert ihn zu einigen seiner maßgeblichen Songs und teilt seine Ideale von der freien, offenen Beziehung unter der Mittelmeersonne. Zwischen LSD und Rumvögelei muss es aber etwas gegeben haben, das die beiden besonders füreinander gemacht hat, und gerade das wäre der Kern dieser Geschichte gewesen. Die blonde Norwegerin mit den klaren Augen und der kanadische Feingeist mit Hang zum Mystischen halten auch nach ihrer Trennung Kontakt, verlieren sich nicht aus den Augen. Wieso nicht? Und wie war das in den späten Jahren? Wie sah diese Geschichte aus ihrer Sicht aus, denn darüber erfahren wir leider nur sporadisch etwas. Ich hätte mir hier einen Film gewünscht, der konsequenter auf der privaten Spur bleibt, aber vielleicht war das auch gar nicht möglich mangels Materials, und so ist es über längere Strecken wieder nur eine Karriereschau eines prominenten Musikers geworden, freilich mit ein paar interessanten Ergänzungen. Die beziehen sich vor allem auf das Leben auf Hydra in einer Art Künstlerkolonie, die den Traum vom freien südlichen Leben praktiziert und irgendwann zu spüren kriegt, dass dieser Traum Grenzen hat und nicht einfach immer so weitergeht. Für Cohen ist diese Szenerie wohl nur eine Station auf seinem Weg als Künstler, Marianne hingegen, die zwei Jahre vor Leonard nach Hydra kam, scheint fast eine Art Produkt dieser Gemeinschaft zu sein und wird später lange Probleme haben, sich der „normalen“ bürgerlichen Welt wieder anzunähern. Cohen hingegen ist der Bohemien, der mit allerlei bewusstseinserweiternden Substanzen jongliert, im Jet Set eine prima Figure macht, Frauen in Serie konsumiert und bei alledem immer mit dem Dunklen, dem Abseitigen kokettiert und sich irgendwo zwischen Sex und Religion verortet.

 

   Ich besitze von dem Mann eine Handvoll Platten, aber die höre ich nun nach dem Film auch nicht mit anderen Ohren als vorher. Broomfield ist es irgendwie nicht ganz gelungen, mich stärker für die Geschichten hinter den Songs und Gedichten zu interessieren (ich lese parallel ein Buch über Joni Mitchell, Carole King und Carly Simon, und da klappt das ungleich besser). Während Cohen angemessen ausführlich in Wort und Bild vertreten ist, bleibt Marianne über die ganze Länge des Films hinweg gesehen ein wenig schemenhaft und fremd, auch wenn sie hier und da mal  auf Norwegisch zu Wort kommt. Aber sie wäre eigentlich der interessant, weil noch zu entdeckende Part gewesen, während man über Cohen sicherlich auf verschiedenen Wegen das Wichtigste erfahren kann. Dem Geheimnis einer jahrzehntelangen Beziehung kommt man eben nicht so leicht auf die Spur. Hier jedenfalls ist es auch nur zum Teil gelungen. Also einmal mehr: Halb gut. (12.11.)